„Ich bin müde. Gute Nacht!“
Sie trat trotzdem ein. Wütend zerrte er am Knoten seiner Krawatte. Ihre geschickten Finger lockerten den Knoten. Dann legte sie ihre Arme um ihn und küsste ihn kurz auf den Mund. Er rührte sich nicht. „Du wirst ja rot, feuerrot!“ lächelte sie und sprach weiter „Glaubst du Richard, ich bin frigide, glaubst du ich bin verrückt? Ich mag eben keine Jungs. Vielleicht auch deshalb, weil ich den tollsten Onkel habe. Welcher Mann könnte mich schon interessieren? Keiner kann dir das Wasser reichen! Das weißt du doch.“, hauchte sie. Ihr Gesicht war dabei keinen Zentimeter mehr von seinem entfernt. Ihre Arme lagen immer noch auf seinen Schultern. Seine Atemzüge wurden rascher, seine Arme hingen seitlich herab. Er war irritiert.
Sie zog seinen Kopf zu sich und küsste ihn diesmal intensiver. Anfangs zögerte er, doch dann gab er nach und erwiderte ihre Küsse, erst sanft, dann drängend. Plötzlich zur Besinnung gekommen, beendete er es rasch, indem er sie von sich stieß und mit belegter Stimme sagte
„Es ist besser du gehst jetzt, Ruth..... bitte!“
Er drehte sich zum Fenster und wartete bis sich die Tür hinter ihr schloss.
In Gedanken versunken lag Ruth im Bett. Sie hatte noch seinen Whiskygeschmack im Mund, spürte die Wärme seines Körpers und hoffte ihn damit getröstet zu haben. Zufrieden dachte sie, dass man einen Mann wie Richard, nur auf eine Weise trösten konnte. Sie war eine Frau und für ihn war jede Frau ein Abendteuer, selbst seine Nichte.
Er drehte sich erst auf die eine Seite, dann auf die andere. Die Nacht schien kein Ende zu nehmen und der Tag begann bereits zu dämmern. Die Uhr zeigte Sieben. Richard hatte die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden.
Elisa und Joseph saßen beim Frühstück im Wintergarten. Verschlafen betrat Richard den Raum. „Na, wie siehst du denn aus, Junge?“
„Morgen, Pa, ist wahrscheinlich das Wetter.“
Joseph räusperte sich „Pah, das Wetter! Die Weiber machen dir zu schaffen. Am besten du setzt dich wieder an deine Staffelei. Seit einem halben Jahr haben wir kein Bild mehr von dir zu sehen bekommen. Arbeit ist immer noch die beste Ablenkung, wenn die Weiber Kummer machen.“
Elisa sah ihren Mann scharf an. Seine derbe Ausdrucksweise hat ihr nie gefallen und seit er trank, wurde es mit den Jahren immer ärger. Richard musste lächeln. Seine Mutter war immer schon ein Snob. Vergnügt kam Ruth herein. „Da, sieh dir die Jugend an, Richard, die ist immer guter Laune!“, rief sein Vater erfreut aus und deutete auf Ruth. Ein unbekanntes Gefühl beschlich Richard, als sie ihm gegenüber Platz nahm. Seit gestern Abend war sie für ihn eine Frau, nicht mehr seine kleine Nichte und er spürte, dass sie ihn verwirren wollte. Es ärgerte und schmeichelte ihm. „Reichst du mir bitte die Butter, Richard!“ „Sie steht vor deiner Nase. Du brauchst nur deine Hand auszustrecken.“, fuhr er sie an und trank seinen Kaffee aus.
„Wenn du schlechte Laune hast, solltest du diese nicht an anderen Leuten auslassen!“, herrschte ihn Elisa an. „Macht nichts Großmutter, wenn Männer älter werden, sind sie launisch.“ lachte Ruth und biss herzhaft in ihr Brötchen.
„Könntest du mich heute in die Stadt fahren, Richard? Ich muss in die Bibliothek.“, schmatzte sie und meinte „Du könntest Manuela wieder besuchen und wir könnten anschließend essen gehen. Ich zieh mir auch die Sachen an, die du mir gekauft hast!“
Ihr glühender Blick folgte seinen Bewegungen. Trocken gab er zur Antwort „Gut, mach dich fertig. In zehn Minuten fahr ich.“
Angespannt wartete er im Wagen. In einer schwarzen Jean und mit einem grünen Oberteil bekleidet, kam sie zum Wagen. Sie sah toll aus. Sein Atem ging rascher und er bekam Angst vor sich selbst, vor dem, was er fühlte. Sie nahm im hinteren Teil des Wagens Platz. Sie sprachen kein Wort. Im Einkaufspark angekommen, hüpfte sie aus dem Wagen und rief ihm zu „Wir treffen uns wieder vor dem französischen Restaurant in zwei Stunden, ok?“ und hastete davon. Er nickte. Nachdem er zwei Stunden herumirrte, wartete er nervös vor dem Lokal. Manuela interessierte ihn momentan nicht, außerdem wollte er mit ihr alleine sein und herausbekommen, was in ihrem Kopf vorging. Er sah in der Auslage sein Spiegelbild und spürte eine Hand auf seiner Schulter. Dasselbe Gefühl wie am gestrigen Abend beschlich ihn wieder.
„Hi, wo ist Manuela?“
„Du hast genau gewusst, dass ich sie dieses Mal nicht mitnehmen würde.“ Sie blickte an ihm vorbei, zuckte unbekümmert mit den Schultern und erwiderte „Ich habe es mir gedacht.“
Schroff befahl er „Komm! Wir fahren.“ Seine Übellaunigkeit war eine Abwehrreaktion seiner verwirrten Gefühlswelt. Sie stiegen ins Auto und fuhren ans Meer. Wieder sprachen sie kein Wort. Am Strand angekommen, stiegen sie aus.
Sie forderte ihn auf „Ich will, dass du fröhlich bist!“
„Mir ist nicht zum Lachen zumute.“, erwiderte er ernst. Sie kam einen Schritt näher und küsste ihn wieder. Zornig riss er sich von ihr los. „Hör auf damit, was ist denn los? Ich verstehe dein Verhalten nicht. Einerseits willst du in ein Kloster rennen und andererseits machst du solche Sachen. Du hast schon eine eigene Art, Mädchen!“, schrie er sie an.
„Na und? Was für eine Art hast du denn? Zwei Mal im Jahr kommst du vorbei und erwartest, dass ich darüber glücklich bin? Gut, ich bin verrückt. Na und, wenn schon!“, schrie sie zurück und rannte weg. Er lief ihr nach. Völlig außer Atem erhaschte er sie und beide fielen auf den sandigen Boden. Sie fiel auf ihn und machte keine Anstalten sich zu erheben. Sie küsste ihn wieder. Er schloss die Augen, drehte sein Gesicht weg und erwartete, dass sie aufhörte, aber sie küsste ihn umso heftiger. Er wollte die Sache beenden, aber er konnte nicht. Dann wollte er ihr nicht mehr widerstehen und erwiderte ihr Drängen. Sie küsste seine Wange, seine Stirn, seine Lippen. Sie spürte seine Erregung und wollte sich ausziehen. „Nein, das geht zu weit, versteh das doch! Es ist unmöglich!“, bat er, während sie sich fortwährend an ihn drängte. „Warum? Du nimmst doch jede Dirne.“ Sie wurde ärgerlich. Sie fand ihn bieder und rollte sich auf die Seite. Frustriert stapfte sie davon. Er rief ihr nach „Es gibt Grenzen..... für alles!“ „Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Spießer bist, Richard... dass du solche Skrupel hast.“
Er hatte sie eingeholt und fasste sie an der Schulter. Sie schlang ihre Arme verzweifelt um ihn und küsste ihn wieder und auch dieses Mal erwiderte er ihre Küsse. Jetzt war er wieder ganz Mann und hielt sich nicht mehr zurück. Gleichgültig, ob sie seine Nichte oder sonst in irgendeiner Weise mit ihm verwandt war. Er wollte sie nicht enttäuschen, er war nicht fähig ein weibliches Wesen abzulehnen und außerdem hoffte er, dass er sie vielleicht vom irren Gedanken Nonne zu werden, abhalten konnte. Sie versank in einen Rausch, spürte seine warmen Lippen, drängte sich an ihn, aber weiter ließ er es nicht kommen. Mit ihr zu schlafen wäre falsch gewesen. So weit hatte er sich noch in der Gewalt. Zärtlich hob er sie von sich weg, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr zum Wagen zurück.
„Wir brauchen beide eine Stärkung.“, lächelte er sanft. „Wie du meinst, Richard.“, antwortete sie wie in Trance und stapfte neben ihm her. Er dachte sich, dass die Kleine nicht in Ordnung ist und dass er alles erwartet hätte, sogar dass sie lesbisch ist, doch niemals, dass sie ihn als Mann wollte.
Das machte die Sache kompliziert, ihr helfen zu können. Während der Fahrt entschied er sich deshalb abzureisen. Ruth war glücklich, wie immer, wenn sie mit ihm zusammen war. Ein Mann war anders, als ein Junge. Sie verglich Richard mit einem guten schweren Wein, von dem man sofort berauscht wurde. Sie verstand jetzt, warum viele Frauen ihn liebten und wollte sich von ihm nehmen, soviel er bereit war, ihr zu geben, aber ihre weibliche Intuition verriet ihr seine Gedanken und leise sprach sie
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