Alle Robben kamen und jubelten. Sie bereiteten sofort ein Fest für ihren gesundeten König vor. Der Fischer musste einen Schwur leisten, dass er nie mehr Robben jagte. Sonst würde er sterben, sagte ihm der Sohn des Königs. Wenn er jedoch den Schwur hielt, bekäme er immer fette Beute in sein Netz.
Der Fischer schwamm wieder an die Küste und bekam von dem Königssohn einen Beutel voll Perlen. Daraus machte er eine Kette für seine Frau und die beiden mussten nie wieder Hunger leiden.“
Sean erinnerte sich traurig daran, wie seine Großmutter ihn sacht zugedeckt und ihm einen Kuss gegeben hatte. Er hatte sich bei ihr geborgen gefühlt, und das vermisste er.
„So ein Quatsch! Ich bin doch kein kleiner Junge mehr!“, sagte Sean laut, was er eigentlich nur denken wollte.
„Was hast du gesagt?“, fragte ihn ein langer Kerl mit Backenbart und schaute ihn gereizt an.
„Ich, äh… nichts“, erwiderte Sean schüchtern. Er hatte großen Respekt vor den Seeleuten, die eher rau waren und nicht so vornehm wie seine Eltern.
„Dann halt den Mund, wenn du nichts zu sagen hast!“
Die Stimmung unter den Matrosen war seit der Flaute sehr angespannt, sie wollten endlich vorankommen.
Da gesellte sich Arthur zu Sean, der beste Laune hatte, weil das Schiff nicht schaukelte. Arthur stellte sich neben seinen Freund und spielte gedankenversunken mit dem Band um seinen Hals und dem daran befindlichen Stein. Plötzlich sagte er:
„Es war ein Geschenk von meinem Onkel Aidan, dem toten Bruder meines Vaters.“
Sean blickte überrascht zu ihm. Er hatte ihren Streit von damals nicht vergessen.
„Wie ist er gestorben?“, fragte er vorsichtig.
„ Vor sechs Jahren bekamen wir die Nachricht, dass er ertrunken ist.“
Sean nickte traurig. „Weißt du mehr über deinen Onkel?“
„Meine Großmutter hat mir ein paar Mal von ihm erzählt als ich klein war, aber ich erinnere mich nicht so gut daran. Aidan war schon weggegangen, bevor ich auf die Welt kam. Ich glaube, er wollte Priester werden. Mir ist es schleierhaft, wie man so etwas überhaupt freiwillig tun kann. Mann, bin ich froh, dass sich dieses Thema für mich erledigt hat.“
Er lächelte Sean an und erzählte weiter: „Soweit ich weiß, hat er uns danach nie mehr besucht. Nur einmal, da war ich acht oder so, habe ich einen Mann beim hinteren Burgtor getroffen, der behauptete, der Bruder von Tevin Burton zu sein. Seltsam, als ich mich vorstellte wurde er rührselig und erzählte mir eine Menge Zeug. Dass er verfolgt würde und fliehen müsse und so etwas. Ich war völlig überrumpelt. Mir war die ganze Situation nicht geheuer und ich wollte mich dringend verabschieden, da zog er auf einmal dieses Lederband mit dem Stein aus der Tasche und gab es mir. Dann ist er Hals über Kopf durch das Tor gehuscht und war verschwunden. Ich stand da mit dem Stein und wusste nicht, was ich tun sollte.“
„Hast du es deinen Eltern erzählt?“, wollte Sean wissen.
„Erst wollte ich, aber dann dachte ich, ich müsste den Stein abgeben und habe ihn erst einmal eine Weile versteckt. Als ich später danach gefragt wurde, log ich, dass ich ihn gefunden hätte.“
„Warum hast du mir nichts erzählt?“, fragte Sean vorsichtig und schaute Arthur mitfühlend an.
„Keine Ahnung. Irgendwie war das immer mein kleines Geheimnis. Jedes Mal, wenn ich den Stein anschaue, muss ich an diesen verstörten Mann denken, der gesagt hat, dass er mein Onkel sei. Ich frage mich häufig, warum er ihn gerade mir gegeben hat. Seit die Todesnachricht kam, habe ich ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil ich meinen Eltern nichts von der Begegnung erzählt habe. Der Stein ist wie ein Fluch für mich geworden, aber ich kann mich nicht überwinden, ihn fortzuwerfen. Eine seltsame Sache.“
Sean nickte. „Darf ich ihn mir mal anschauen?“
Zögernd entfernte Arthur das Band von seinem Hals und legte den Stein behutsam in Seans ausgestreckte Hand. Sean lächelte dankbar und beschaute sich den Stein. Er war tropfenförmig, etwas größer als sein Daumennagel und hatte eine ungewöhnliche feuerrote Farbe. Sean hielt den Stein ins Licht und bemerkte erstaunt, dass das Material durchscheinend war und etwas schimmerte. Mit Bewunderung im Blick gab er ihn Arthur zurück.
„Du kannst froh sein, dass du ihn nicht weggeworfen hast. Der Stein ist bestimmt sehr wertvoll.“
Arthurs Blick erhellte sich. „Denkst du wirklich?“
Sean nickte.
„Aber was hat das zu bedeuten? Denkst du, dass ich jemals hinter sein Geheimnis komme?“
Sean seufzte. „Das kann ich dir wirklich nicht sagen, tut mir leid. Aber jetzt ist es nicht mehr nur dein Geheimnis. Ich werde meine Augen offenhalten, versprochen.“
Er blickte aufmunternd zu Arthur und dieser lächelte dankbar.
Zwölf
- 1697 -
Die Zeeland glitt geschmeidig mit geblähten Segeln durch das graublaue Meer. Angenehmer herbstlicher Wind spielte mit dem braunen, halb langen Haar des schlanken Seemanns. Seine verdiente Pause nach der letzten Wache genoss er am liebsten an der Reling. Sean, nun achtzehn Jahre alt, war ein Mann geworden. Und er hatte die letzten fünf Jahre fast ausschließlich auf dem Meer verbracht.
Mit Arthur in Amsterdam angekommen, heuerten sie auf einem Schiff Richtung Mittelmeer als Schiffsjungen an. Die erste Zeit war aufregend, aber auch sehr anstrengend gewesen. Sie mussten fast die ganze Zeit das Deck schrubben, in der Kombüse Zwiebeln und Ähnliches schneiden, Wasser abpumpen und andere anstrengende Arbeiten verrichten. Doch wenigstens hatten sie diesmal eine Hängematte zum Schlafen.
Es war eine weite Fahrt gewesen bis zum Mittelmeer und Sean und Arthur mussten viele Häfen anfahren. Die Venedigs Glanz , eine Italienische Cocca, tat dabei einen hervorragenden Dienst. Sie war der klassische, mediterrane, bauchige Schiffstyp mit drei Masten. Mit diesen drei Masten wurde die Last besser verteilt und die kleineren Segel ließen sich besser kontrollieren als die großen bei den Zweimastern.
Das Leben an Bord war hart. Durch das karge Essen und das ständige Klettern in den Wanten hatte Sean seine schlanke Figur behalten, aber harte Muskeln schmückten nun seine Arme, den Oberkörper und seine Oberschenkel. Die größte Herausforderung für ihn war jedoch der Drill gewesen, der an Bord herrschte. Die kleinste Befehlsverweigerung wurde mit harten Strafen geahndet. Trotzdem gefiel Sean das Leben auf dem Schiff, das Vorwärtskommen, das fortwährende Abenteuer.
Nach der Reise ins Mittelmeer waren Sean und Arthur weiter auf diversen Schiffen innerhalb Europas unterwegs gewesen und vertieften ihre nautischen Fertigkeiten. Sie hatten viel erlebt und wussten für ihre jungen Jahre bereits eine Menge über die Seefahrt. Sean war nicht nur geschickt im Segelhissen und -einholen, er entwickelte sich auch zum Meister der verschiedensten nautischen Knoten und konnte die meisten davon blind und in hoher Geschwindigkeit schlagen. Auch für Navigation interessierte sich Sean sehr und er durfte manchmal dem Kapitän über die Schulter schauen, wenn er über den Seekarten brütete und mit Kompass und Jakobsstab die Routen berechnete.
Amsterdam war inzwischen so etwas wie ihr Heimathafen geworden und Sean hatte sich in diese Stadt verliebt. Ihre Lage und Architektur beeindruckten ihn. Am meisten faszinierte ihn der Ring von künstlichen Kanälen durch die Stadt, der sogenannte Grachtengürtel. Er diente zur Entwässerung des feuchten Bodens und zur Reinigung der Stadt. Dazu wurden täglich die Schleusen geöffnet und das alte Wasser ins Ijsselmeer gespült. Die meisten Häuser waren aus Backstein gebaut und auch viele der unzähligen Brücken. Ein Einwohner erzählte Sean, dass die Häuser Amsterdams auf Millionen Holzpfählen standen, die zur Stabilität in den festen Sandboden unter dem Morast getrieben waren. Amsterdam war lange eine wichtige und reiche Handelsstadt gewesen und vertrieb vor allem Nelken, Zimt, Seide, Kaffee und Porzellan in viele Länder. Doch England, Frankreich und andere Seemächte drängten sich im Welthandel immer mehr in den Vordergrund. Somit spezialisierten sich die Niederländer auf den Geldmarkt und Amsterdam war nun das finanzielle Zentrum der Welt und der Gulden fast überall anerkannt. Es hatten sich viele Juden mit guten Fähigkeiten auf diesem Gebiet angesiedelt, was die Existenz des Judenviertels mit Synagoge erklärte.
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