1 ...7 8 9 11 12 13 ...27 Das Rote Meer liegt rund hundertfünfzig Kilometer weit weg, man muss aber noch den Nil überqueren. Sich nach Libyen durchschlagen ist sowieso zwecklos. Erstens ist die Wüste lebensfeindlich, zweitens wird die Grenze sehr gut bewacht und drittens herrscht in Libyen Chaos.
Nach gründlichem Abwägen entscheiden sie sich, für das Rote Meer. Mustafa wird sich sofort mit seinem Esel auf den Weg machen und auf einer Fähre versuchen über den Nil zu gelangen. Er übergibt Max einige Datteln, dann verabschiedet er sich von seinem Freund. Bis zum Einbruch der Nacht zieht er sich in sein Versteck zurück.
Vorsichtig, jede Deckung ausnützend, schleicht er an das Ufer des Nils und sondiert die Lage. Es ist niemand zu sehen. Max versucht abzuschätzen, wie stark die Strömung ist und wie weit das andere Ufer entfernt liegt. Bevor er sich in das Wasser wagt, verdrückt er noch die restlichen Datteln, welche ihm Mustafa als Proviant mitgegeben hat. Dann beginnt er zu schwimmen.
Ohne Hast, Zug um Zug schwimmt er los. Die Strömung ist stark. Er muss sich nicht allzu sehr beeilen, denn es dauert lange, bis das nächste Dorf kommt. Er versucht seinen Körper so im Wasser zu halten, dass ihm die Strömung hilft, an das andere Ufer zu treiben.
Der Aufenthalt im Wasser kommt Max endlos vor, dank seinem dosierten Krafteinsatz, hat er keine Konditionsprobleme, das Wasser ist angenehm warm. Nur die Strudel sind eine echte Gefahr. Wenn er aufpasst, kann er sie rechtzeitig erkennen und es gelingt ihm auszuweichen. Endlich steht Max tropfnass am andern Ufer und versteckt sich sofort hinter einem Strauch.
Nach Mitternacht macht er sich auf den Weg zum Eingang der Schlucht. Max wählt nicht den Weg im bewachsenen Teil des Tals, sondern entfernt sich sofort vom Ufer. Der Felswand entlang schleicht er weiter, auch wenn er sich nun schlechter verstecken kann. Er hat Angst, dass er im Landwirtschaftsteil, überraschend auf Häuser treffen könnte. Wenn sich die Bauern Hunde halten, könnten diese angeben und sie verraten.
Vorsichtig schleicht er der Felswand entlang nach Süden. Er ist doch sehr weit nach Norden abgetrieben worden, so dass ein längerer Fussmarsch auf ihn wartet. Er erreicht den Treffpunkt noch vor der Morgendämmerung und ist sehr froh, als er die Stimme von Mustafa flüstern hört. Bis zur Dämmerung können sie sich noch einige Kilometer weit das Tal hinaufkämpfen und finden wieder eine Felsnische, in welcher sie den Tag verbringen wollen.
Abwechselnd wird geschlafen. Das einzige kleine Problem ist der Esel, der einfach nicht schlafen will und einen übermütigen Eindruck macht. Es gibt trotzdem keine Komplikationen, da es sich um eine total verlassene Gegend handelt. Wenn Max Wache schieben muss, mustert er die Umgebung. Für einen Europäer ist die Wüste etwas faszinierendes, diese scheinbare Leblosigkeit, entpuppt sich, bei näherem Hinsehen, als ein wahres Paradies für Lebewesen. welche sich dieser extremen Landschaft ideal angepasst haben.
Gegen Abend ziehen sie schon früh los. In dieser verlassenen Gegend ist das Risiko, dass sie von jemandem entdeckt werden gering. Es wird ein strapaziöser Marsch und Max ist froh, dass sie einen Esel bei sich haben, welcher ihnen wenigstens die Lasten schleppt. Wenn es leicht bergab geht, kann einer reiten, doch das Hinterteil von Max schmerzt ihn so, dass er bald freiwillig darauf verzichtet.
Im Morgengrauen haben sie erhebliche Probleme, ein geeignetes Versteck für den Tag zu finden. Die Gegend ist sehr flach und sie müssen noch weit in den Tag hinein marschieren, bis sie sich in einer Bodensenke wenigstens teilweise unsichtbar machen können.
Das Rote Meer erreichen sie in der vierten Nacht. Weit und breit ist keine Siedlung auszumachen, sie wenden sich nach Süden. Nach weiteren zwei Stunden Marsch taucht hinter einem Felsen eine Stadt auf. Sie ruhen sich nochmals aus, dann will Mustafa sich in der Stadt umsehen und frische Lebensmittel kaufen. Max wartet gespannt auf seine Rückkehr. Ist der Spuk bereits vorbei? So ein Putsch dauert manchmal nur ein paar Stunden, und meistens, nach zwei bis drei Tagen, ist wieder alles ruhig.
«Wir sind in der Nähe der Stadt Marsa Alam», berichtet Mustafa, als er nach mehreren Stunden von seiner Erkundungsreise zurückkehrt.
«Am Besten verstecken wir uns in einem verlassenen Hotel», schlägt Mustafa vor, «die sind alle verwüstet. Einrichtungen die mit dem Tourismus zu tun haben, wurden alle zerstört.»
Max findet die Idee gut, die Hotels sind nicht mehr interessant. Alles ist zerstört, aber es rechnet niemanden damit, dass sich jemand dort verstecken könnte. Alle Touristen sind vertrieben und zum Plündern gibt es auch nichts mehr, das ist bereits am ersten Tag der Revolution geschehen.
Als es dunkel wird, lassen sie den Esel an seinem Pflock angebunden und machen sich auf den Weg zu den Hotels. Man hat sich auf ein zweistöckiges Hotel geeinigt und bezieht im ersten Stock Quartier. Das Hotel hat zwei Treppenhäuser und einen übersichtlichen Vorplatz, so dass man nicht so leicht überrascht werden kann.
Mustafa schafft mit dem Esel die Lebensmittelvorräte zum Hotel. Max richtet sich in der Zwischenzeit ein. Als Mustafa zurückkehrt, hat Max schon die Boote inspiziert, mit welchen die Touristen das Korallenriff besichtigen. Eines scheint noch einen dichten Schiffsrumpf zu haben, allerdings ist die Glasplatte im Bootsboden eingeschlagen. Nach langer Suche findet er eine neue Glasplatte in einem kleinen Lager und er versucht, die Platte auszuwechseln. Noch bevor Mustafa zurückkommt, ist Max klar, dass er noch heute Nacht in See stechen will. Er ist mit der Vorbereitung der Bootsreise beschäftigt, als Mustafa mit den Lebensmittelvorräten auftaucht. Das Boot ist schon mit der neuen Glasplatte bestückt, ausserdem bastelt er aus einem Surfbrett ein Segel, ob der kleine Motor noch funktioniert, wagt er nicht auszuprobieren. Für den Fall, dass es ihm doch noch gelingt den Motor zu starten, sucht er in allen Booten nach Benzin. Die Ausbeute ist gering, er wird den Motor nur kurz einsetzten können. Als Antrieb kommt somit nur Segel und Ruder in Frage.
Mustafa hält ihn für verrückt, als er ihm erklärt, er werde noch heute Nacht allein in See stechen. Mustafa will ihn unbedingt begleiten, nach langer Diskussion sieht er ein, dass er in Ägypten nicht gefährdet ist, dagegen hätte er Probleme, im Ausland als Flüchtling anerkannt zu werden.
Als abgewiesener Flüchtling hätte er sicher mehr Probleme. Bei Diktaturen ist das immer dasselbe, solange man sich in der anonymen Masse versteckt, wird man in Ruhe gelassen, nur wenn man sich in irgendeiner Form verdächtig macht, ist es mit der Ruhe und oft auch mit dem Leben vorbei.
Nach der kurzen, aber heftigen Diskussion gibt sich Mustafa geschlagen und hilft Max, sein Boot so gut wie möglich auszurüsten. Alle Lebensmittelvorräte, die sie haben, werden ins Boot gebracht, Mustafa wird sich mit dem Rest des Geldes morgen neue kaufen. Das Hotel wird nochmals durchsucht, alles was nützlich sein könnte, wird eingesammelt.
Beim Plündern mussten die Plünderer darauf achten, dass nur die Dinge mitgenommen werden, welche für einen Moslem nützlich sind. Die Touristendinge wurden nur zerstört. Es ist natürlich interessanter brauchbare Dinge zu finden, als zu zerstören. So konnten doch noch einige brauchbare Utensilien zusammengetragen werden. Ein Kompass, ein Teil eines Spiegels, Töpfe, mit denen er Wasser Schöpfen kann, einige leere Flaschen, welche sie mit frischem Wasser füllen und sogar eine Angelrute verschwindet im Boot.
Der Esel wird vorgespannt und mit vereinten Kräften wird das Boot ins Wasser gezogen. Die Spannung ist gross, schwimmt es noch? Tatsächlich, es schwimmt.
Jetzt muss alles sehr schnell gehen, Mustafa und Max umarmen sich, wünschen sich viel Glück und Max bedankt sich bei seinem Freund nochmals sehr herzlich für alles. Mustafa verspricht, dass er ihm seine Kamera zuschicken wird, oder mindestens will er ihm die Fotos schicken. Max verspricht, zu schreiben, wenn es die politische Entwicklung erlaubt. Auf einer Karte stellt Max noch fest, dass eine Seereise von fünf bis siebenhundert Kilometer auf ihn wartet.
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