Urs Triviall
Der Vorfall
oder Illusionen im Jenseits
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Inhaltsverzeichnis
Titel Urs Triviall Der Vorfall oder Illusionen im Jenseits Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Anruf
Jenseitser
Abwegige Gedanken
Echte Wunder
Klipp und klar
Horch und Guck
Unvorstellbare Verhältnisse
Die Anruferin weiß zuviel
Kuhschnappel
Heiliger Bimbam
Wie im Fieber
Das Märchenbuch
Schon wieder ein Virus?
Demo in Leipzig
Die Besucherin
Influencer
Schaum auf der Welle
Brauchbare Erfindungen
Die neue Lage
Tumult im Jenseits
Die Flucht
Das Luder
Empfehlungen
Die Kinder
Bürgerinteressen
Raumschiff via Erde
Einmischung
Die soziale Inklusion
Prinzip Demokratie
Es wird ernst
Allgemeine Hysterie
Sightseeing
Mega-Einmischung
Schwätzen mit Petra
Die Golanhöhen
Politisches Erdbeben
Querschießer
Die Entscheider
Schlusswort
Impressum neobooks
Eines schönen Tages hatte das Telefon geklingelt, etwas lauter als üblich, wie mir schien. Ich hatte mich gerade zu meinem Mittagsschlaf niedergelegt und war übel gelaunt, wie immer, wenn Anrufe zu ungünstiger Zeit stören. Aber natürlich hatte ich zum Telefon gegriffen und mich gemeldet. Und dann war ich zur zitternden Salzsäule erstarrt. Da hatte mir eine Frauen-Stimme gesagt:
„Hallo, Dad! Hier spricht Petra, deine Frau. Wie geht es dir?“
Ich war absolut sprachlos gewesen, hatte fast atemlos die Austaste gedrückt und das Telefon abgelegt. Was war das für eine bodenlose, für eine unverzeihliche Gemeinheit! Wer konnte so unverschämt sein und sich als meine Frau ausgeben? Sie war seit fünf Jahren tot. Sie konnte nicht am Telefon gewesen sein.
An Mittagsschlaf war an diesem Tag nicht mehr zu denken gewesen. Zwar hatte ich mich erneut niedergelegt, aber mich unruhig und aufgebracht immer wieder von der einen zur anderen Seite herumgewälzt. Schließlich hatten sich die Gedanken um eine bohrende Frage gedreht: Wer ist die Frau, die einem Neunzigjährigen dermaßen bösartig mitspielt?
Inzwischen ist einige Zeit verstrichen und es sind Dinge geschehen, die menschliches Fassungsvermögen überfordern und sich außerhalb jeglicher menschlicher Vorstellung bewegen. Vielleicht reicht meine Kraft noch, den Hergang des Übersinnlichen, aber letztlich wohl doch nur irdisch Bösartigen zu schildern. Mögen Leser wie Leserinnen mir verzeihen, wenn sie Unglaubliches zu lesen bekommen. Aber es hat sich zugetragen, so unfassbar es ist. Und wenn man für das Geschehen eine Erklärung zu finden sucht, dann gibt es aus meiner Sicht eigentlich keine. Nur Vermutungen, und zwar zwei, gefunden nach unruhigen Tagen und schlaflosen Nächten.
Nämlich: Bleibt man auf dem Boden dieser Erde, dann steht fest, dass sich jemand mit großer Ausdauer und sehr viel Phantasie einen bösartigen Scherz erlaubte. Begibt man sich jedoch willig in die Sphären des Überirdischen, von wo der Anruf ja gekommen sein müsste, dann beginnt man zu glauben, dass tatsächlich meine Frau aus dem Jenseits anrief.
Zu dieser freilich äußerst fragwürdigen Annahme kann man verblüffenderweise durchaus gelangen, wenn man der aktuellen Wissenschaft folgt. Nach deren Maßgaben ist das Weltall, in der sich unsere Erde bewegt, nicht nur unendlich groß, es fliegt obendrein mit unglaublicher Geschwindigkeit unentwegt auseinander. Es dehnt sich aus!
Also muss nebenan irgendwie noch allerhand Platz sein, leerer Raum also! Was zum Teufel ist dort? Just das Jenseits! Ohne Zweifel. Einschließlich der Möglichkeit, von dort aus mit moderner Technik hier anzurufen! Nichts ist unmöglich! Neuerdings.
Als damals der Anruf gekommen war, war meine Ruhe eines Rentners in gesegnetem Alter dahin. Die unfassbare Unsäglichkeit trieb mich zum Friedhof. Ich wusste, ich würde dort zwar keine Antwort finden, aber eben vielleicht so etwas wie seelischen Trost nach stillem Disput mit dem lieben Menschen, dessen sterbliche Überreste dort ruhen.
Ich trat an das mit einer braunen Marmorplatte abgedeckte Grab, empfand gequält meine absurde Situation und musste, noch ehe ich mit meiner Frau im Stillen hatte sprechen können, ungewollt an ein Ereignis denken, das der Gedenk-Zeremonie am Tage der Bestattung einen unerwartet irren Touch gegeben hatte. Dem extra engagierten Countertenor, der mit der Pianistin einige Zeit in der kalten Friedhofskapelle hatte warten müssen, misslangen nämlich so gut wie alle Töne. Der junge Mann, unglücklich über sein Missgeschick, krähte erbarmungswürdig. Und die Misstöne mischten sich gnadenlos in den tiefen Schmerz. Das Desaster schien mir damals gleichsam symbolisch für die absolute Widersprüchlichkeit unseres Daseins. Die innigste Einkehr war durch einen banalen Zufall tragikomisch gestört worden. Und ich wusste, meine Frau, eine Musikwissenschaftlerin, hätte sich höchstwahrscheinlich pietätlos amüsiert.
Die unerwartete Erinnerung an dies absurde Ereignis holte mich in meine wahnwitzige Gegenwart zurück. Ich stand still und kämpfte mit den Tränen. Dann sagte ich meiner Frau, was mir zur Zeit widerfuhr - dass sich eine Fremde anmaßte, sich als sie auszugeben. Stille umgab mich, Schweigen. Nicht einmal ein Vogel nahm mich wahr. Ich verließ den Friedhof.
Es begann eine trübe Zeit. Immer wieder verfiel ich in Grübeleien. Wenn ich an meine Vernunft appellierte und mich entschied, diesem elenden Anruf und der ebenso elenden Anruferin nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken, dann hatte ich Minuten, in denen der Alltag normal verlief. Zumal kein neuer Anruf gekommen war.
Also morgens möglichst lange schlafen, geruhsam frühstücken, Zeitung lesen, sich an den Computer setzen, zappen, scrollen, Nachrichten gucken, Fußball-Tabellen studieren, Tropico spielen, an den eigenen Homepages basteln. Mittags Spiegelei, Hefeklöße, Waldpilz-, Linsen- oder Spargelsuppe. Naja. Mittagsschlaf, danach Fische füttern und Teichfrosch gucken. Und so weiter. So eben dies und jenes bis in den späten Abend.
Doch der Appell an die Vernunft war offenbar nicht nachhaltig genug. Wohl auch, weil es geraume Zeit vor dem mysteriösen Anruf schon einmal einen seltsamen Anruf gegeben hatte, der sogar zum Besuch durch die Polizei geführt hatte.
Zu später Stunde hatte mich ein Herr mit sehr seriöser Stimme angerufen, sich als Polizeikommissar ausgegeben und mir mitgeteilt, dass sie soeben in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Einbecher-Duo festgenommen hätten, bei dem sie einen beachtenswerten Zettel gefunden hätten. Auf dem Papier stünde, dass in meinem Haus einige Goldbarren und 200000 Euro in bar gelagert seien und die Bedingungen für einen Einbruch günstig wären. Etwas kopflos hatte ich damals dem Herrn Kommissar klar zu machen versucht, dass derlei Beute bei mir nicht zu holen sei, und er hatte mir versichert, dass sie mit genügend Kräften einsatzstark vor Ort seien und derzeit also keine Gefahr bestünde.
Nachdem ich damals aufgelegt hatte, schien mir der beunruhigende Vorgang sehr verdächtig und ich beschloss, die Polizei anzurufen. Von da wurde mir erst einmal mitgeteilt, dass die Polizei grundsätzlich keine Bürger anruft und mir zur Beruhigung würde man eine Streife vorbeischicken. Was denn auch geschah. Die Beamten nahmen meine Anzeige entgegen, amüsierten sich ein wenig über meine Unbedarftheit, klärten mich noch einmal auf und überließen mich meinem Schicksal. Dies befremdliche Ereignis war inzwischen in Vergessenheit geraten, mir jetzt aber wieder in den Sinn gekommen. Was dazu beitrug, dass ich immer wieder ins Grübeln kam.
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