Irene Dorfner - Tödliche Vetternwirtschaft

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Der erfolgreiche, vermögende und überall beliebte Architekt Gerald Haferstock starb eines natürlichen Todes. Viele Menschen in seiner Umgebung sind nicht davon überzeugt. Susanne Bruckmayer überredet Rudolf Krohmer, Leiter der Polizeiinspektion Mühldorf am Inn, sich der Sache anzunehmen. Leo Schwartz und Hans Hiebler nehmen die Ermittlungen auf. Je tiefer sie graben, desto mehr sind die beiden davon überzeugt, dass Haferstock tatsächlich ermordet wurde. Aber noch fehlen die Beweise. Die Spurensicherung findet im Haus des Toten endlich deutliche Indizien für einen Mord. Wer hatte ein Interesse daran, Haferstock zu töten? Dann wird ein Bekannter Haferstocks auf die gleiche Weise getötet…

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„Laufende Ermittlungen, Sie verstehen?“ Hans zwinkerte der Frau zu.

„Sie stehen also noch am Anfang?“ Die Frau war nicht dumm und deutete die Mienen der Beamten richtig. „Gut, was brauchen Sie für Ihre Ermittlungen? Sie können jederzeit an Geralds Schreibtisch, sehen Sie sich dort in Ruhe um.“

„Die Unterlagen seiner letzten Projekte wären super. Ich beichte lieber gleich, dass Sie uns überhaupt nichts geben müssen, wir haben keinerlei rechtliche Handhabe, hier irgendetwas einzusehen oder gar mitzunehmen. Aber wenn Sie uns die Unterlagen freiwillig geben? Sagen wir, vom letzten halben Jahr?“

„Selbstverständlich bekommen Sie alles, was Sie brauchen. Ich stelle Ihnen die Unterlagen zusammen. Hilft Ihnen eine Telefonliste?“

„Das wäre genial! Dürfen wir auch an den Laptop?“

„Nicht nur das, nehmen Sie ihn einfach mit. Ich habe meinen eigenen. Von den für mich relevanten Vorgängen ziehe ich Kopien, das dauert nur einige Minuten. Solange können Sie sich Geralds Schreibtisch vornehmen.“

„Sie sind eine Wucht Lady, wissen Sie das?“ Hans war begeistert von der Frau, die einen scharfen Verstand besaß.

Das Büro von Georg Haferstock war nur eine Tür weiter und hatte einen schönen Blick auf das Industriegebiet Neuötting, das in den letzten Jahren immer stärker ausgebaut wurde. Früher war das alles Ackerland, was man sich heute kaum mehr vorstellen konnte. Sie durchsuchten den schlichten Schreibtisch; hier war alles sehr sauber und ordentlich. Die Ordner und Ordnerrücken in den Metallregalen hatten alle die gleiche Farbe und waren mit sauber geschriebenen Druckbuchstaben beschriftet.

„Lassen Sie sich nicht stören,“ sagte Frau Winter, als sie mit einem großen Karton in der Hand eintrat. Sie nahm zielsicher verschiedene Ordner aus dem Regal und stellte sie fein säuberlich in den Karton. Nach einigen Minuten war sie fertig und ging mit ihrem Karton wieder nach draußen. Leo drückte auf die Wahlwiederholung des Telefons und landete in einem China-Restaurant. Bei der nächsten Nummer landete er in einer Altöttinger Bank, was ihm jetzt nicht weiterhalf, denn er landete in der Telefonzentrale. Die dritte und vierte Nummer war dieselbe Nummer mit einer Mühldorfer Vorwahl. Leo drückte die Wahlwiederholung und es meldete sich ein Herr Huber mit tiefer, dunkler Stimme.

„Wer sind Sie und warum rufen Sie unter der Nummer von Herrn Haferstock an?“ fauchte ihn der Mann sofort an. „Mein Freund ist tot.“

„Leo Schwartz, Kripo Mühldorf. Wäre es möglich, dass wir uns mit Ihnen persönlich unterhalten könnten?“

„Kripo? Verstehe ich zwar nicht, das müssen Sie mir erklären. Kommen Sie bei mir vorbei, ich bin noch eine Stunde im Büro.“ Huber nannte ihm die Adresse in Mühldorf.

„Hier in dem Karton sind die Objekte des letzten halben Jahres, an denen Gerald gearbeitet hat. Wenn Sie darüber hinaus Fragen haben oder weitere Unterlagen benötigen, melden Sie sich. Hier ist die Telefonliste der letzten zwei Monate, Geralds Telefonate, die ein- und ausgehenden, habe ich grün markiert. Den Laptop haben Sie eingepackt?“

Statt einer Antwort grinste Hans und zeigte auf den Laptop unter seinem Arm.

„Dann bitte ich Sie, hier zu unterschrieben und den Empfang zu quittieren. Ich gehe davon aus, dass ich alles unversehrt und komplett wieder zurückbekomme?“

„Selbstverständlich. Ich habe eben mit einem Herrn Huber gesprochen. Wer ist er?“

„Christian Huber ist Geralds alter Schulfreund. Er besitzt in Mühldorf ein Hotel und hat kürzlich im österreichischen Braunau ein weiteres Hotel erworben, das Gerald umbauen sollte. Sie spielten ab und zu gemeinsam Golf und haben den letzten Urlaub zusammen verbracht. Mehr weiß ich nicht. Christian Huber hat nur das Nötigste mit mir gesprochen. Wenn er hier war, ging er immer direkt in Geralds Büro. Ein unsympathischer Typ, der mich nicht besonders mochte. Ich glaube, in seinen Vorstellungen haben Frauen in technischen Berufen nichts zu suchen, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Fakt ist, dass wir beide uns nicht besonders grün waren und uns aus dem Weg gegangen sind, obwohl zwischen uns nie etwas vorgefallen ist.“

Sie bedankten sich bei Frau Winter und schleppten die Unterlagen bis zu ihrem Wagen, der zum Glück genau neben der Haustür parkte. Ihr nächster Weg führte sie nun zu Christian Huber nach Mühldorf.

„Wo bleibt ihr denn?“ sagte Viktoria Untermaier ungeduldig, als sie Leo anrief. „Wastl und ich müssen uns hier mit trockenen, langweiligen Unterlagen herumplagen, während ihr euch an der frischen Luft vergnügt. Was habt ihr bisher rausgefunden? Gibt es überhaupt etwas von Interesse für die Kripo?“

„Könnte sein. Zumindest haben wir jetzt schon zwei Personen angetroffen, die ebenfalls nicht an einen natürlichen Tod glauben. Zum einen die Haushälterin von Haferstocks Mutter, und zum anderen die Kollegin und Teilhaberin des Toten. Sie hat uns freundlicherweise die Unterlagen des letzten halben Jahres überlassen, an denen Haferstock gearbeitet hat. Wir haben auch eine Telefonliste der letzten zwei Monate und den Laptop des Verstorbenen überlassen bekommen, vielleicht finden wir etwas Relevantes. Wir fahren jetzt nach Mühldorf, um einen Freund des Verstorbenen aufzusuchen. Danach kommen wir ins Büro und nehmen uns die Unterlagen und den Laptop gemeinsam vor.“

„Ich höre an deiner Stimme, dass du auch an ein Verbrechen glaubst.“

„Allerdings.“

„Und wie denkt Hans darüber?“

„Keine Ahnung, frag ihn selbst.“

Sie parkten vor dem Hotel Alpenblick, das von außen einen sehr gediegenen, ländlichen Eindruck machte. Schon allein der Name des Hotels war blanker Hohn, denn von den Alpen war weit und breit nichts zu sehen. Sie gingen zur Rezeption und Leo zählte rasch 48 Zimmer anhand der Zimmernummern an der Wand; die Hälfte der Schlüssel war nicht an ihrem Platz. Die junge, nicht sehr augengefällige Frau grüßte freundlich und strahlte sie mit ihrer Zahnspange an.

„Ich begrüße Sie herzlich in unserem Hotel Alpenblick. Was kann ich für Sie tun?“ lispelte sie. Auf ihrem Namenschild, das schief an ihrem schlecht sitzenden Dirndl angebracht war, stand der Name Margit.

„Mein Name ist Schwartz, das ist mein Kollege Hiebler. Wir möchten Herrn Huber sprechen. Wir haben uns telefonisch angekündigt, er erwartet uns.“

„Ja, mein Vater hat mir schon gesagt, dass die Polizei vorbeikommt. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“ Dieser durch die Zahnspange verursachte Sprachfehler war irgendwie gruselig. Zumindest wussten die beiden jetzt, warum diese junge Frau trotz ihres Aussehens und ihrer fürchterlichen Aussprache an der Rezeption eingesetzt wurde: Sie war die Tochter des Chefs. Die Begrüßung von Christian Huber war kühl und oberflächlich, er machte deutlich, dass er sehr beschäftigt war und keine große Lust hatte, sich länger als nötig mit den Polizisten zu unterhalten.

„Ich kenne Gerald schon aus Kindertagen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, waren damals aber nicht befreundet. Geralds Eltern wollten das nicht. Ich, besser gesagt mein Elternhaus, war ihnen zu gewöhnlich. Vor einigen Jahren stand ich auf dem Golfplatz plötzlich Gerald gegenüber und es war fast so, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Wir haben uns sofort blendend verstanden und seitdem trafen wir uns regelmäßig. Wir waren richtig gute Freunde geworden. Es ist sehr bedauerlich, dass er so früh sterben musste. Er hinterlässt eine große Lücke in meinem Leben.“

Das war zwar warmherzig gemeint, kam aber relativ kühl und sachlich rüber. Während er sprach, sah er fortwährend auf die Uhr, er schien sehr in Eile zu sein. Oder lag es nur daran, dass er nichts mit der Polizei zu tun haben wollte?

„Sie haben auch beruflich mit Herrn Haferstock verkehrt?“

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