„Was willst du denn sonst machen?“, fragte ich, und Sylvia zuckte unwissend die Schultern: „Weißt du, das ist im Moment nicht so einfach.“
Das Telefon klingelte, und Julia fragte: „Warum?“ Ich nahm den Hörer ab, lauschte und sah, wie Sylvia rot wurde und Julia ungläubig den Kopf schüttelte. Dann musste ich mich auf das Gespräch konzentrieren, es war sehr leise.
„Hallo, Magdalena, ich muss dir unbedingt was erzählen!“
„Wer ist denn da?“, fragte ich, weil ich die Stimme nicht zuordnen konnte.
„Jutta“, antwortete das Flüstern. „Magdalena, das komische Verhalten hängt doch mit der Firma zusammen. Der Chef ist völlig fertig und verlangt dauernd nach dir. Hast du irgendetwas angestellt?“
Ich schüttelte den Kopf: „Nein“, hauchte ich.
„Er sagt nichts, aber diese verfluchte Stella hat...“
Im Hintergrund wurde eine Tür geschlagen und dann erlebte ich das Donnerwetter: „Jutta!!!“, schrie er, und Jutta flüsterte: „Ich muss jetzt Schluss machen, ich ruf dich wieder an!“
Was war das denn, so hatte ich meinen Chef noch nie erlebt! Ich setzte mich an den Tisch zurück und nahm einen Schluck Kaffee. Die beiden waren noch immer beim selben Thema.
„Na, ich weiß nicht, Abfindung hin, Sicherheiten her, ich bin lieber meine eigene Chefin, da kann ich machen, was ich will!“
„Du? Du musst doch machen, was die Männer wollen!“, schnaubte Sylvia verächtlich. Aber Julia nahm es gelassen, sie kannte diesen Standpunkt. Er rührte daher, dass Sylvia von Annas Vater verlassen worden war, als Ausgleich für ihre Erziehung diese Wohnung bekommen hatte und seither eigentlich kein großes Glück mehr mit Männern hatte, außer kleineren Spielereien.
„Ach Sylvie, du siehst das völlig falsch, ich mache es, weil ich Spaß am Sex habe, und wenn es mir mal keinen Spaß macht, dann bekomme ich wenigstens gutes Geld dafür. Außerdem entlaste ich so manche Ehefrau. Im Prinzip ist es nicht anders als bei dir. Ich erbringe eine Dienstleistung. Du pflegst deine Männer so und ich pflege sie so, beides tut ihnen gut!“
Sylvia schien nicht wirklich überzeugt zu sein und auch ich überlegte mir, ob ich mich jeden Abend vor einem anderen Mann ausziehen und seine Wünsche erfüllen wollte. So lustig, wie Julia das manchmal schilderte, konnte ich es mir nicht vorstellen.
„Lass uns nicht streiten, in deinem Zustand ist das nicht gut“, lenkte Julia versöhnlich ein, und ich merkte, dass mir vorhin tatsächlich etwas entgangen sein musste.
„In welchem Zustand?“, fragte ich daher.
„Sylvie ist schwanger!“, erklärte Julia so stolz, als sei es von ihr.
Die Eichenholzkommode schaute mich zweifelnd an. Ich fühlte mich schlecht und vermutlich spürte sie es. Nach der letzten Tour hatte ich mich noch mit Obermüller getroffen. Ach, der gute Obermüller.
Julia Fabriosa heißt in Wirklichkeit Andrea Sondelhofer und arbeitet als Callgirl. Sie ist eine richtige Hure; daher der Wohlstand!
Der Inhalt meines Glases war rot. Wodka mit Erdbeersaft. Ich trank und war ein bisschen belustigt über Andrea-Julia-Sondelhofer-Fabriosa.
Natürlich ist das hochinteressant und unheimlich wichtig für mich. Ich will schließlich meine Vergangenheit ablegen, und wie könnte ich es in Passau besser zu etwas bringen, als durch Informationen? Diese Julia empfing bestimmt tolle Männer. Kleine Würstchen trauen sich ja nicht zu so einer, die verdrehten höchstens den Kopf nach einer wie mir. Hin und wieder tun wir uns dann für eine Nacht zusammen und vergessen dabei unser Elend.
Beim nächsten Schluck dachte ich über die Möglichkeit eines Beobachtungspostens nach. Eine kleine Andeutung hier, eine Indiskretion da, schon öffnen sich Tür und Tor, das war überall so.
Meine Vorbereitungen waren ebenso wie meine Informationsquellen immer einwandfrei gewesen - ich trank einen wütenden Schluck - bis man mich zum Ziel des Spottes gemacht hatte. Der Wodka besänftigte mich, in Zukunft wollte ich mir meine Männer genauer anschauen. Ohne Eile erhob ich mich vom Bett. Das Glas war leer, mein Geist leicht. Ich konnte weiter trinken, entschied mich aber für den Sinn des Lebens.
Bei den blonden Frauen war leider keine dabei, die in Frage kam. Meine Hochachtung für so schnelle Arbeit. Mein erster Gedanke war: sie will sich verbergen. Der zweite: Magdalena kennt sie, erkennt sie und sagt aus. In meinem Auto lagen noch die Sachen von Harry Kaufmann. Ich könnte seine Magdalena noch einmal besuchen, sie ihr geben und sagen: „Komm, lass uns ein wenig über deinen Harry plaudern!“
Jutta hatte nicht mehr angerufen. Also war es vermutlich nichts Ernstes gewesen, der Chef wieder ruhig und am Montag alles wie immer. Nachdem Julia und Sylvia mich verlassen hatten, nahm ich mir die Wohnung vor, putzte, suchte mir einen lustigen Film für den Abend heraus und leerte eine ganze Büchse Ravioli. Satt und zufrieden wartete ich auf den Vorspann. Ich hatte mir eine Flasche Weißwein kalt gestellt und freute mich auf den Film. Doch dann kam alles anders. Vor der Tür stand die Kommissarin mit einigen Sachen unter dem Arm, die ich sofort erkannte. Sie wolle nicht stören, sagte sie, und hereingelassen werden. Film adé.
„Wenn Sie schon nicht wissen, wo Ihr Freund an jenem Freitag hin wollte, dann wissen Sie ja vielleicht, wo er herkam?“ Sie hielt mir den Packen entgegen, die Brieftasche obenauf. Zumindest sie war jetzt wieder da, wo sie hingehörte. Die Kommissarin deutete darauf. „Leider war hier noch nicht mal eine Tankrechnung drin, obwohl das Auto erst sechzig Kilometer vor dem Unfall getankt worden war. Wissen Sie etwas darüber?“
Ich roch ihre ziemlich scharfen Pfefferminzbonbons. „Nein, nein, ich weiß nichts darüber!“
„Sie müssen uns helfen, sonst können wir seinen Tod nie aufklären!“
Ich ging zum Kamin und sah sein Bild an. „Können Sie ihn mit Ihren Methoden am Ende auch wieder lebendig machen? Ich meine, so richtig, nicht nur in meiner Erinnerung?“
„Nein, natürlich nicht, aber wir können den Täter verurteilen und bestrafen.“
„Harry bleibt trotzdem tot!“ Resigniert ließ ich mich in den Sessel fallen. Die Kommissarin ging nun ebenfalls zum Kamin und schaute sich Harrys Bild lange an. Noch hatte mich die Trauer nicht völlig überwältigt. Ich stand auf, holte den Weißwein und zwei Gläser und fragte: „Möchten Sie auch ein Glas?“ Mein Film hatte eh längst angefangen, da konnten wir auch ein wenig plaudern.
„Ja gern!“ Sie löste sich von Harrys Foto und setzte sich zu mir. Ich musterte sie heimlich, während sie das Glas gierig in sich hineintrank.
„Harry sah sehr gut aus, er war sehr sportlich.“ Gespannt sah ich auf. „Sicher haben Sie noch mehr Bilder von ihm!“ Sie zeigte zum Kamin. Ich zögerte, dachte nach, dann holte ich mein Lieblingsalbum.
Das war der Moment, an dem es anfing, schief zu laufen. Magdalena reichte mir ein Fotoalbum und ließ mich blättern. Sie sahen unverschämt glücklich aus, für meinen Geschmack zu glücklich. Ein Bild zeigte ihn am Tennisplatz, ein anderes beide gemeinsam am Badesee, Sylvia mit Baby, Harry mit Anna, dann eines in der Wüste in Shorts und Khakihemd, das Gewehr im Anschlag, mit einem Bock als Trophäe unter seinem rechten Fuß.
Ein warmes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, während ich Seite für Seite umblätterte und jedes Detail studierte. Der Pathologe hatte Recht: diesem Körper wurde gehuldigt und er war zu schön für eine Frau allein. Nachdem Magdalena nachgeschenkt hatte, trank ich einen Schluck Wein und gleich noch einen. Dann deutete ich auf das Jagdbild: „Wo war das?“ Magdalena beugte sich vor und Stolz zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Das war in Namibia bei der Oryxjagd!“
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