»Zwei Iraner und einer aus Sri Lanka«, erinnerte Heinrich und ließ viel Zeit verstreichen, um nachzudenken. So zeigte er der Anwältin, dass er sich bereits mit den Möglichkeiten eines Entgegenkommens befasst hatte und einen Vorschlag im Sinn hielt. Renate Wuttke ahnte wohl, dass Heinrichs Angebot nicht in ihre Vorstellung passen würde, und kam ihm mit einem eigenen Lösungsvorschlag zuvor:
»Die beiden Iraner befinden sich noch in Ausbildung. Ein unbekannter Gönner würde für sie eine Art von Schmerzensgeld an den Geschädigten zahlen und zudem einen angemessenen Betrag an eine gemeinnützige Organisation spenden. Die Bedingung wäre, dass die jungen Männer bis zum Abschluss der Ausbildung noch geduldet werden würden«, erklärte die Anwältin beflissen. Heinrich erkannte, auf welche Lösung sie zusteuerte und sah sich sogleich bestätigt. »Insgesamt wäre es für das Gemeinwohl am vorteilhaftesten, wenn die Iraner bleiben dürften«, versuchte sie ihn schließlich zu überzeugen.
»Die Regel heißt einer und nicht zwei aus drei«, widersprach Heinrich leicht verärgert. »Sie bekommen nur einen, und zwar den aus Sri Lanka«, entschied er und unterstrich mit einer bedauernden Handbewegung, dass er sich auf keine Diskussion einzulassen gedachte. Er käme ihr mit dem Tamilen weit genug entgegen, den er nach Aktenlage für einen Rebellenhauptmann hielt. Mit der Abschiebung zurück in die Bürgerkriegsregion würde Heinrich den Rädelsführer nur dorthin befördern, wo diesen ein gerechtes und landestypisches Schicksal ereilen musste. Je eher die Kriegsherren sich dort unten gegenseitig massakrierten, so dachte er pragmatisch, je seltener hätten hierzulande Asylbewerber das Gemeinwohl mit Sozialkosten zu belasten. Heinrich wog den Fall der beiden Iraner dagegen. Eine hohe Geldspende, die an eine gemeinnützige Organisation flösse, beeindruckte ihn wenig. Er wunderte sich, warum Renate Wuttke ihn ausgerechnet mit diesem Anreiz locken wollte. Sie musste aus der Erfahrung gelernt haben, dass er in Fällen, in denen in auch Drogenvergehen eine Rolle spielten, kein Entgegenkommen zeigte. Niemals würde er sich von seiner harten und toleranzlosen Haltung abbringen lassen. Er kannte die Strafprozessakten der Iraner. Nur auf den ersten Blick schienen sie kleine Fische im Drogenhandel zu sein. Über einen langen Zeitraum hatten sie tagsüber in Berufsschulen und abends in Diskotheken nicht unerhebliche Mengen synthetischer Drogen und Heroin angeboten und verkauft. Nach einer Schlägerei, bei der sie einen Mitschüler schwer verletzt hatten, wurden sie festgenommen und angeklagt. Zumal die Iraner noch nicht volljährig waren, bestand die Aussicht, dass der Richter ihre Ausweisung aussetzen würde. Einer Duldung würde Heinrich jedoch mit Nachdruck entgegenwirken. Deshalb hakte er bei den Strafermittlern nach und erhielt vorab Hinweise, welche die beiden Asylbewerber in einem noch schlechteren Licht erscheinen ließen. Bis Ende der Woche erwartete er von den Kollegen belastende Ermittlungsergebnisse, mit denen er dem Richter seine ablehnende Haltung begründen konnte. Demnach stellen die jungen Männer durchaus feste Größen in einem gut durchorganisierten Händlerring dar. Heinrich brauchte nicht zu raten, um davon auszugehen, dass der unbekannte Gönner sicher einer der örtlichen Drogenbarone wäre. Überhaupt käme das Geld, das dieser Hinterhofpate spendete, vorwiegend aus den denkbar schmutzigsten Quellen, nämlich aus Drogengeschäften in Schulen.
»Gestalten wie diese haben Floh hineingerissen!«, bekundete Heinrich knapp und ging nicht weiter auf die jungen Drogenhändler ein. Beim Gedanken an Florian fühlte er Wut und Ohnmacht. »Hat Ihnen Marlene davon nichts erzählt?«, fragte er die Anwältin verzweifelt. Renate Wuttke zeigte sich überrascht. Sie schien nichts davon zu wissen. Zwar würde sie ihren Patensohn Florian nicht als Musterknaben kennen, dass er inzwischen weit abgerutscht war, entsetzte sie offensichtlich.
»Ich erinnere mich, dass es vor zwei oder drei Jahren bei ihm zu sehr bedenklichen Vorfällen mit Alkohol gekommen war«, bestätigte sie. »Marlene ließ mich glauben, dass sie Florians Sucht wieder in den Griff bekommen hat.« Renate Wuttke wurde nachdenklich. »Wie schlimm steht es um ihn?«, fragte sie betroffen. Hätte sie von Florians Drogenproblemen geahnt, wäre sie im Fall der beiden Iraner sicher nicht auf Heinrich zugegangen.
»Alkohol ist ihm nicht mehr schick genug. Er ist im letzten Jahr ehrgeiziger geworden und will nach dem Abitur Medizin studieren. Dafür braucht er gute Noten, die er mit seiner mittelmäßigen Begabung kaum erreichen kann. Jedenfalls scheint er von Alkohol über Ecstasy auf Kokain übergegangen zu sein und hat wohl auch Geschmack an Metamphetamin gefunden. Vor drei Wochen war er nachts vor einer Diskothek zusammengebrochen. Er lag einige Tage auf der Intensivstation und war nicht ansprechbar. Dafür sprachen die Ergebnisse der Bluttests Bände und die Ärzte haben uns eindringlich auf seinen ernsten Zustand hingewiesen. Marlene und ich dachten, dass wir Florian wieder auf einen guten Weg gebracht hätten. Dennoch habe ich befürchtet, dass nach den Alkoholexzessen der Vorjahre bei Floh die Entzugstherapie nicht dauerhaft anschlagen würde.«
»Sollte ich einmal mit Florian reden?«, bot Renate Wuttke sich an, »ich bin schließlich seine Patin.«
Heinrich dachte über ihren Vorschlag nur zögerlich nach. Ablehnen durfte er das Hilfsangebot nicht. Zu Florian fühlte er schon seit Monaten, den Zugang zu verlieren. Wenn er seinem Sohn nicht mehr helfen konnte, dann hätte es einen Wert, wenn die Patin an seine Stelle treten würde.
»Ja, sicherlich nützt ein offenes Wort von Ihnen«, willigte Heinrich ein und schob die Verantwortung von sich, »bitte sprechen Sie sich vorher mit Marlene ab. Sie ist empfindlich, wenn jemand sich ungefragt in ihre Angelegenheiten einmischt.« Er hingegen hatte es aufgegeben, ihr Ratschläge zu erteilen, denn beinahe alles, das er bemerkte, fasste sie als maßlose Kritik auf. Im Café wurde es unruhiger und lauter. Zur Mittagspause erschienen viele Gäste, die vor allem Schutz vor dem Regen suchten. Wortlos saßen Heinrich und Renate Wuttke noch einige Minuten beisammen und tranken Kaffee. Schließlich endete ihr Treffen mit der Verabredung eines Vergleichs im Fall des Tamilen. Heinrich versprach, ein Gutachten über die gegenwärtige Lage in Sri Lanka anzufordern, aus der er eine tatsächliche Bedrohung des Flüchtlings vermutlich würde nicht herauslesen können. Ungeachtet, zu welchem Schluss der Experte darin wirklich käme, schlösse das Gutachten dann die Akte im Zweifel für den Tamilen. Im Fall der beiden Iraner hingegen hätten sie sich ordentlich vor dem Richter zu streiten und das Urteil abzuwarten.
Der Weg zur Bank führte Heinrich durch eine überdachte Einkaufspassage. Draußen regnete es noch immer in Strömen. Er nutzte die Gelegenheit, im Trockenen, wenn auch im hastigen Gehen, zu telefonieren. Zunächst versuchte er, Marlene zu erreichen. Sie hatte ihr Mobiltelefon ausgeschaltet. Offenbar befand sie sich gerade in der Vorstellungsrunde. Heinrich wertete die Serviceansage der Telefongesellschaft, dass der Gesprächsteilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei, als ein gutes Zeichen. Dennoch ließ seine Unruhe nicht nach. Marlene konnte sich inzwischen bei Florian gemeldet haben. Heinrich wählte über eine Kurzwahltaste die Mobilfunknummer seines Sohns. Zu Hause auf dem Festnetz brauchte er ihn nicht anzurufen. Florian kam nur noch selten mittags heim. Wenn nicht spät in der Nacht kehrte er oft überhaupt nicht mehr zurück und trieb sich tagelang bei Freunden herum. Wohl wegen der Faschingsferien blieb er seit Tagen unauffindbar. In wenigen Monaten würde er volljährig werden und an der Aufsicht und Kontrolle seines Sohns wollte Heinrich sich nicht mehr aufreiben. Nach dem Abitur, sofern er die Prüfungen bestünde, zöge er ohnehin fort. Als Student würde er in einer anderen Stadt ein vor seinen Eltern vollends verschlossenes Leben führen. Das Einzige, das Florian mit ihm dann noch verbände, wäre die monatliche Banküberweisung. Mit Unbehagen hörte Heinrich das Freizeichen. Er musste lange warten, bis sein Sohn das Gespräch annahm.
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