„Diana?! Es ist nicht so, wie es aussieht…“
Tränen flossen auf einmal wieder über ihre Wangen, obwohl Diana gedacht hatte, dass da keine mehr in ihren Augen wären. Blind vor Schmerz und Wut rannte die junge Frau hinaus. Hinaus aus der Wohnung, hinaus aus dem Haus auf die Straße. Rannte und rannte, bis sie ihrem Impuls folgend in eine volle Bar stürmte, um sich in der Menschenmenge zu verstecken.
Natürlich würde er ihr nachlaufen und sie suchen, aber sie wollte von ihm nicht gefunden werden. Und in dieser Bar, ein paar Häuser weiter, wo nur reiche Snobs verkehrten, würde er sie nicht vermuten.
Noch immer hatte Diana ihre Reisetasche in der Hand und schubste unabsichtlich einen großen, schlanken Mann. Dieser hatte ein Smartphone in der Hand, was er daraufhin fast fallen ließ und nach mehrmaligem Auffangen wieder fest in den Griff bekam. Eine dunkle Schönheit saß am Tisch vor ihm, mit der er sich gerade unterhalten hatte.
„Oh, entschuldigen Sie, das war keine Absicht", stammelte Diana verstört und suchte mit wirrem Blick ein freies Plätzchen, wo sie sich niederlassen konnte.
Die hübsche Frau musterte Diana besorgt. „Nichts passiert. Geht es Ihnen gut?“
„Ja, ja, alles bestens, danke“, wiegelte Diana nervös ab und ging weiter, wobei sie andauernd zur Eingangstür zurückblickte. Weiter hinten in der Kneipe, in einem verborgenen Winkel wurde sie fündig und setzte sich an einen leeren Tisch. Verzagt legte sie ihren Kopf in die zittrigen Hände, um sich zu sammeln. Einige Minuten versuchte Diana Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, aber alles was ihr Gehirn fabrizierte, war dieses Bild, wie Quaid eine andere Frau in ihrem Bett liebte.
„Was kann ich Ihnen zu trinken bringen?“
Unschlüssig schaute Diana zu dem jungen Mann auf, den sie zuvor angerempelt hatte, der offenbar die Bedienung war.
Gott sei Dank hatte sie ihre Geldbörse dabei und brauchte sich darum nicht auch noch Sorgen machen. Da ihr Leben jetzt vollends den Bach runtergegangen war, nahm sie keine Rücksicht mehr. Weder auf ihren Körper, der wegen den letzten Strapazen und den Medikamenten eh schon hinüber war, noch auf das wenige Geld, das sie besaß.
„Bringen Sie mir einen Doppelten von irgendwas, das im Hals brennt.“
Nickend entfernte sich der Kellner und Diana rieb sich in einer verzweifelten Geste übers Gesicht.
Ein Gutes hatte die Trennung von Quaid, das Geld, das sie verdiente, würde von nun an nur noch ihr gehören. Die letzten vergangenen sechs Jahre hatte er nämlich auf ihre Kosten gelebt, sie ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen. Sie hatte tagsüber bedient und abends zusätzlich noch in einer Wäscherei geschuftet, um die Kohle zusammen zu bringen, die sie brauchten. Quaid hatte studiert, er musste ja angeblich so viel lernen, dass er keine Zeit zum Arbeiten hatte. Ab und zu, wenn es ihr zu viel geworden war und sie sich beschwert hatte, jobbte er für eine kurze Zeit. Seltsamerweise gab es aber immer Probleme und er konnte nicht mehr weiterarbeiten. Entweder entließen die Arbeitgeber Quaid, sie bezahlten ihn nicht oder er bekam körperliche Beschwerden von dem jeweiligen Job, oder, oder, oder … Die Liste der Gründe, weswegen er nicht arbeiten gehen konnte, wurde endlos.
Diana war jedoch gern arbeiten gegangen, weil sie Quaid liebte. Schon immer. Und der Gedanke daran, dass jeder Arbeitstag, der verging, Quaids Prüfungen und sie ihrer Zukunft als Zahnarztgattin näher bringen würde, ließ sie durchhalten. Nach alldem, was Diana für Quaid aufgegeben und mit ihm durchgestanden hatte, war dies das logische und ersehnte Ziel von ihr gewesen. Sie hatte Quaid auf dem College kennengelernt und gemeinsam beschlossen sie, dass er studieren sollte, während sie arbeitete. Wenn er sein Studium beendet hätte, könnte sie dann endlich Mode-Design studieren, was ihr langersehnter Wunschtraum war.
Nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass Quaid sie betrügen würde. Doch er hatte es getan und nicht mal ihre Schwangerschaft hatte ihn davon abgehalten. Dass er sie nicht liebte, oder nicht mehr, stand nach diesem Verhalten außer Frage.
Dianas heile Welt hatte sich aufgeräufelt, wie ein gestrickter Schal, von dem jetzt nur noch ein gekräuselter Faden übrig geblieben war. Sie hatte gedacht, dass solche Männer wie ihr Vater, der ihre Mutter geschlagen hatte, eine Ausnahme wären. Diana hatte geglaubt, dass ihr Vater nur gewalttätig geworden war, wegen seiner Alkoholsucht, oder seiner Verbitterung, die daher rührte, dass er kein Profisportler werden konnte. Ihr Vater hatte in seiner Jugend Fußball gespielt und stand kurz vor einem Vertrag mit einem bekannten englischen Fußballclub, als der Traum durch eine irreparable Knieverletzung ausgeträumt war. Ihre Mutter, die damals bereits mit ihm zusammen gewesen war, liebte ihn über alles und versuchte ihm über die Enttäuschung seines Lebens hinwegzuhelfen. Doch sie scheiterte. Aus der Enttäuschung ihres Vaters wurde Wut und Zorn auf alles und jeden. Er fing an zu trinken und wenn er nach Hause kam, vermochte nicht mal mehr seine liebende Frau ihn zu beruhigen. Zu Beginn stieß er sie nur von sich, doch aus einem Stoß wurde beim nächsten Mal ein Schlag und irgendwann, als ihm die Schläge keine Genugtuung mehr verschafften, verwendete er seine Fäuste.
Diana, die von ihrer Mutter zum Schutz im Kinderzimmer eingeschlossen worden war, versteckte sich im Schrank und musste dennoch jeden einzelnen Schlag mitanhören. Das Flehen ihrer Mutter, das Rumpeln, wenn sie zu Boden stürzte, das Klatschen der auftreffenden Schläge, das Wimmern, alles war an ihre Ohren gedrungen. Am meisten Angst hatte Diane immer die darauffolgende Stille gemacht, weil sie befürchtete, ihr Vater hätte ihre Mutter zu Tode geprügelt. Erst wenn sie ihren Vater laut schnarchen gehört hatte, war sie zu Bett gegangen, hatte sich tief unter der Bettdecke vergraben und gehofft, dass ihre Mutter am nächsten Morgen die Tür wieder aufschließen würde.
Als Diana sechzehn Jahre alt war, blieb eines Morgens die Tür zu und sie musste zum Fenster hinausklettern. Was dann folgte, war ein Alptraum. Ihre Mutter, die mit dem Krankenwagen ins Hospital gefahren wurde, erlag den schweren Verletzungen, während ihr Vater in Untersuchungshaft saß. Diana kam für zwei Jahre ins Jugendheim. Zu dieser Zeit lernte sie Quaid kennen. Er kam aus ähnlichen Verhältnissen und ahnte wie es ihr ging. Ganz anders als ihr Vater war er liebevoll und gutmütig. Sofort, nach dem sie das College erfolgreich absolviert hatte, war sie mit Quaid zusammen gezogen und arbeiten gegangen, um den Unterhalt für sie beide zu finanzieren.
Und nun, nach all den entbehrungsreichen und harten Jahren, nach all dem, was ihr widerfahren war, brachte er es fertig, ihr das anzutun. War das normal? Waren alle Männer wie ihr Vater und wie Quaid, so grenzenlos egoistisch?
Diana stürzte den Alkohol, der mittlerweile vor ihr stand, in einem Zug hinunter und bestellte sich gleich nochmal dasselbe. Sie schwor sich, nie wieder einem Mann zu vertrauen und Quaid schon gar nicht, denn er war schuld am Tod ihres Sohnes. Hätte er sie nicht betrogen, hätte er sich nicht infiziert, sie nicht angesteckt und ihr Kind würde noch leben. Ohne einen Funken Hoffnung, ohne jegliche Zuversicht auf eine bessere Welt, Ort oder Zeit bestellte Diana sich ihren nächsten Drink, der nicht ihr letzter war.
Es ist nicht leicht der zu sein, der man ist
Marie Thomas hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, als sie beschloss auf einen kalten Smoothie in die Bar in ihrer Straße zu gehen. Sie war Eventmanagerin bei einer kleinen Agentur und liebte ihren Job, der jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung für sie darstellte, aber genau das war ihr Ding.
Ein herrlicher Sommerabend lag noch vor ihr und sie hatte keine Lust ihn alleine in ihrer Wohnung zu verbringen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in diese Bar ging, denn ihr gefiel der Einrichtungsstil, der an einen irischen Pub erinnerte. Praktischerweise lag sie gerade mal fünf Minuten Fußweg von ihrer Wohnung entfernt, was ein weiterer Pluspunkt war.
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