Genervt strich sich Tim Bradley durch seine blonden Wellen. Er hatte schon seinen Laptop eingepackt, obwohl er viel zu arbeiten hatte, aber dieser Flug war dermaßen holprig, dass es immerzu vom Tisch abgehoben hatte. Ein Tippen oder Lesen war ein Ding der Unmöglichkeit. Abgesehen davon, war die Internetverbindung eine Katastrophe, was vermutlich ebenfalls auf den Sturm, der da draußen tobte, zurückzuführen war. Er kam aus den Staaten, hatte in Paris eine Zwischenlandung eingelegt um dort ein Unternehmen zu besichtigen, in das er möglicherweise investieren würde. Bald würde er in London landen, aber bis dahin wollte er wenigstens die Statistiken durchgehen. Doch selbst das gelang ihm nicht, das ständige Ruckeln und Schaukeln ließ ihn die Zahlen nicht richtig erkennen.
Frustriert legte Tim die Blätter zur Seite und streckte sich. Seine grünblauen Augen wurden schmal, als er durch das kleine Flugzeugfenster etwas zu erkennen versuchte. Er sah jedoch nur Dunkelheit, die ab und zu durch einen Blitz erhellt wurde. Ganz kurz zeigte sich ihm immer wieder die dichte, undurchdringliche Gewitterfront.
Am besten würde es sein, wenn er seine Piloten fragte, ob sie das Unwetter umfliegen könnten. Weswegen hatte er sich denn einen Jet zugelegt? Um fliegen zu können, wie und wann er wollte.
Sich an den Sesseln, Barhocker und Theke festhaltend gelangte der blonde Mann zum Cockpit. Seine Piloten wirkten nicht gerade hysterisch, aber als gelassen konnte man sie keineswegs bezeichnen.
„Gibt‘s Probleme?“ Tims Augenbrauen zogen sich zusammen, denn so hatte er die zwei Männer noch nie gesehen.
Der Copilot versuchte vergeblich Kontakt mit dem Fluglotsen aufzunehmen, während der ältere Pilot mehrere Schalter drückte und immerzu irgendwelche Instrumente ablas. Dieser war es, der ihm antwortete.
„Probleme insofern, dass wir den Fluglotsen nicht mehr erreichen können und das letzte, was wir verstanden war ‚höher steigen‘, aber das TCAS, das mit dem anderen Flugzeug kommuniziert, welches auf Kollisionskurs mit uns ist, sagt, wir sollen sinken.“
Tim, der sich breitbeinig in die Tür gestellt hatte, um den Turbulenzen zu trotzen, erwiderte darauf in ruhigem Ton: „Was sagt Ihnen Ihre langjährige Erfahrung als Pilot?“
Der Pilot hatte keinerlei Zweifel und zögerte keinen Moment. „Dass wir auf das TCAS hören und in den Sinkflug gehen sollten.“
Tim Bradley nickte. „Gut, dann sinken wir.“
*
Der kranke Copilot der Boeing nahm ermattet in seinem Sitz Platz, als ihn sein Kollege fragte.
„Das TCAS zeigt immer noch das andere Flugzeug an. Wo ist es, ich kann es nicht sehen?"
„Scheiße, hier rechts von uns ..."
Doch es war zu spät, der Jet krachte in die Seite der Boeing und wurde sofort zu einem riesigen Feuerball. Das größere Flugzeug ging sofort in Flammen auf und zerbrach in mehrere Teile. Grelle Explosionen erfüllten den finsteren Nachthimmel. Die brennenden Trümmerteile stürzten zu Boden und beschädigten mehrere HäuHHauser Häuser einer kleinen Siedlung, die in einem bewaldeten Gebiet lag.
...
In dieser Nacht wären über zweihundert Menschenleben vernichtet worden, wenn unser Schicksal unumstößlich wäre. Aber was wäre, wenn es nicht vorherbestimmt ist, wenn es ... veränderbar wäre?
Zu gern glauben wir Menschen, unser Leben lenken oder gar bestimmen zu können und vergessen dabei, dass alle unsere Leben miteinander verbunden sind, verwoben wie ein Netz.
Einige Wochen zuvor...
Es ist nicht so, dass wir das Falsche finden, vielmehr suchen wir nicht nach dem Richtigen
Tim Bradley versuchte dem Mann, der ihm schräg gegenüber saß und ohne Punkt und Komma auf ihn einredete, zu folgen. Aber der Fuß, welcher der Gattin seines redseligen Gegenübers gehörte, lenkte ihn ab. Er konnte von Glück reden, dass auf dem Esstisch eine große Tischdecke lag, die weit nach unten reichte und der Hausherr nicht mitbekam, was seine Frau da trieb.
Jordan hatte ihn zum Abendessen in seine Villa eingeladen und nun saß Tim mit ihm, dessen Frau und Tochter in einem barocken Speisezimmer. Übertrieben pompös war der Tisch eingedeckt und ein goldener Kerzenleuchter mit unzähligen Armen, der eher in ein Spukschloss gepasst hätte, war das Epizentrum des schlechten Geschmacks in dem Raum.
Langsam wanderten die Zehen der Gastgeberin an der Innenseite seines Beines entlang. Wie Elizabeth das zustande brachte, war ihm ein Rätsel. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl nach hinten, aber dass sie ihr Bein so lang machen konnte, war… erschreckend.
Das Gesicht der Fünfzigjährigen wirkte gelangweilt, ab und zu lachte sie über die Anekdoten, die ihr Mann in seinem Monolog von sich gab. Nichts deutete daraufhin, dass sie vor den Augen ihres Ehegatten einen anderen Mann zwischen den Beinen beglücken wollte. Nur ein selbstzufriedenes Glitzern war in ihren Augen auszumachen.
Es war unglaublich, wie eiskalt diese Frau war, und das war es was Tim anekelte. Schon bei den letzten beiden Treffen hatte sie ihm nachgestellt und ihn wissen lassen, dass sie ihren Mann beeinflussen könnte, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten.
Ihrem Mann Jordan gehörte ein Unternehmen, das alles Mögliche für den Sanitärbereich herstellte. Diese Firma war nicht nur Marktführer in der Branche, sondern es hatte auch einen ausgezeichneten Ruf. Die Bilanzen und der Jahresbericht waren grandios. Ein besseres Unternehmen als dieses würde er nicht finden, das stand fest. Er wollte es haben, er musste es haben. Er besaß mehrere Unternehmen und einige davon waren Bauteile-Lieferanten von Jordans Firma. Deswegen war eine Expansion in die Vertikale, der nächste logische Schritt, um den Ausbau seines Imperiums voranzutreiben. Wenn er Elizabeth eine Abfuhr erteilte, was er zu gern täte, würde diese ihren Gatten womöglich dazu bringen, das Unternehmen nicht zu verkaufen oder noch schlimmer, es an einen Konkurrenten zu verkaufen. Andererseits, hatte er seit einiger Zeit eine neue Möglichkeit entdeckt wie er, ohne ein Pfund zu bezahlen, in die Chefetage von Jordans Unternehmen kommen könnte. Und diese Möglichkeit saß neben ihm und war zweiundzwanzig Jahre jung. Es war Jordans Tochter Grace, ein junges Ding, das sicher nicht so unschuldig war, wie sie ihren Vater glauben machen wollte. Sie gab ihm ebenfalls zu verstehen, dass sie ihm nicht abgeneigt war. Denn ihre manikürte Hand wanderte nämlich an seinem anderen Bein entlang und war schon kurz vor ihrem Ziel angelangt.
Tim hatte keinerlei Mitgefühl für diese Frauen, darüber war er sich im Klaren. Aber hatte jemals eine Frau Rücksicht auf seine Gefühle genommen? Schon seine Mutter hatte nur an sich gedacht und ihn im Säuglingsalter vor einem Waisenhaus abgelegt. Die Ordensschwestern, die das Haus betreut hatten, waren auch nicht gerade mitfühlend gewesen. Hielt man sich nicht an die Regeln, egal aus welchen Gründen, wurde man mit eisigem Wasser abgeduscht, musste auf sein Essen verzichten oder es setzte gar Schläge. Diese Frauen hatten kein Erbarmen gekannt. Sogar die kleinen Mädchen in den Kinderheimen, mit denen er versucht hatte Freundschaft zu schließen, waren immerzu nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen. Lange Zeit hatte er deswegen von einer festen Beziehung nichts wissen wollen. Natürlich war er seinen sexuellen Bedürfnissen nachgegangen, aber selbst dabei hatte er schlechte Erfahrungen mit Frauen gesammelt. Unzählige von seinen zahlreichen Affären waren verheiratete Frauen oder Freundinnen in festen Beziehungen gewesen.
Schließlich hatte er in Violett, die erste ehrliche, liebenswerte Frau gefunden, die er heiraten wollte. Das hatte er zumindest gedacht, bis er sie mit seinem Chauffeur, in der Garage, in einer seinen teuren Limousinen, erwischte. Dem Himmel sei Dank hatten sie es in der, mit den Ledersitzen getrieben. Daraufhin hatte sie ihm eröffnet, schwanger von einem dritten, anderen Mann zu sein, denn sie letztendlich heiratete. Violett hatte ihn betrogen, so wie es im Grunde alle Frauen taten, denen er bisher begegnet war. Weswegen sollte er also Mitgefühl mit Elizabeth haben, die ihren Ehemann genauso hinterging oder deren Tochter, die augenscheinlich das gleiche Kaliber wie ihre Mutter war? Nein, er benutzte die Frauen, ebenso, wie sie ihn. Bevor die beiden Damen sich ins Gehege kämen, sollte er das Spiel jedoch wohl besser beenden.
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