Franco verneinte arglos, was die Aufgabe für mich nicht eben leichter werden ließ.
„Wie Du sicherlich vernommen hast“, begann ich, „ist er den weltlichen Dingen weit weniger abgeneigt, als er sollte. Er betreibt die Hurerei und allerlei sündigen Frevel in den Gemächern des Lateranensischen Palastes. Seine Begierden sind manchmal wider die Natur, musst Du wissen. Man sagt, er treibt es nach Art der Hunde und hat ungehörigen Verkehr.“
„Wie meint Ihr das, Meister?“
Ich zögerte gewiss etwas zulange und es war mir eine abscheuliche Qual, dem armen Jungen all dies in den Einzelheiten beschreiben zu müssen, glaubte aber, in diesem Falle keine andere Wahl zu haben, damit er wisse, worauf er sich einließ, wenn er der Einladung des Papstes Folge leistete. Und dass er genau dies tun musste, stand außer Zweifel.
„Wir Männer des Glaubens“, erklärte ich deshalb umständlich, „haben die Enthaltsamkeit und die Zügelung unserer Begierden und Lüste zu unserem hohen Ideal erhoben. Wie Du weißt, steht für uns die Liebe zu Gott und die völlige Hingabe im Glauben an ihn weit höher als die profane Befriedigung von Lustgefühl und Triebhaftigkeit. Deshalb haben wir der gemeinen Fleischeslust und auch dem Institut der Ehe abgeschworen. Aus gutem Grund also. Denn wir verstehen die Fleischeslust als Folge des Verlustes der paradiesischen Unschuld. Überdies steht in der Bibel geschrieben, dass der Beischlaf mit dem Weibe allein der Zeugung dienen solle. ‚Seid fruchtbar und vermehret euch!’ steht dort, womit gemeint ist, dass der Beischlaf mit dem Weibe ohne eine Ehe wider die Natur ist und ein Zeichen von Triebhaftigkeit und Gottlosigkeit. Verstehst Du das?“
Franco nickte verständnisvoll, so als könne er spüren, welche Nöte mir dieses Gespräch innerlich bereitete.
„Nun hat der Herr Papst, wie es offensichtlich ist, eine andere Meinung. Er schert sich nicht um sein Seelenheil, versündigt sich gegen den Herrn und gegen das Fleisch. Er schart lasterhafte Weiber um sich, treibt Sodomie und schlimmere Dinge, von denen ich hier nicht sprechen kann.“
„Aber dann droht doch mir keinerlei Gefahr, Meister Liuzo! Ich bin kein Weib!“
„Oh, mein armer Junge“, klagte ich. „Wie kann ich Dir nur begreiflich machen, welches Schicksal Dich erwartet, wo Du doch selbst von den einfachsten Dingen nichts weißt?“
Franco jedoch schien immer noch ohne jede Sorge. Anstatt sich selbst in höchstem Maße zu beunruhigen, versuchte er, mir die Furcht zu nehmen.
„Ängstigt Euch nicht um mich, Meister Liuzo“, sagte er. „Ich werde sorgsam darauf achten, nicht der Sünde, wie Ihr sie mir beschrieben habt, zu verfallen.“
Ohnmächtig stöhnte ich auf. Was konnte ich nur tun, um das kommende Unheil abzuwenden? Die Stunde nahte, zu der Franco sich bereithalten sollte, und ich wusste keinen Weg, wie ich es hätte verhindern können noch wie ich ihm die Gefahr, in die er sich offenen Herzens begab, hätte verständlich machen können.
In der vierten Abendstunde stand der Salek, wie angekündigt, vor dem großen Tore und erwartete den Jungen, der in jenes orangefarbene Gewand gehüllt war. Immer noch hatte ich den Eindruck, dass der gute Franco nicht wusste, was ihn im Lateranensischen Palast erwartete. Ein beinahe glücklich zu nennendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sich zu mir umdrehte und mir zudem aufmunternd zuwinkte. Ich indes machte mir die größten Sorgen. Ich konnte und wollte nicht zulassen, dass er in seinen jungen Jahren schon zur Verderbtheit, zur Triebhaftigkeit und zu Schlimmerem hingerissen wurde. Meine Aufgabe, die ich seinem Vater feierlich in die Hand versprochen hatte, war, ihn zu beschützen, auf sein Seelenheil Acht zu geben und ihn nach besten Möglichkeiten auszubilden. Keinesfalls wollte ich auch nur eines davon auf eine so schändliche und unwerte Art preisgeben. Ich war fest entschlossen zu verhindern, was zu verhindern war.
Als Salek und Franco außer Sichtweite waren, schlüpfte ich in meine besten Sandalen und folgte ihnen. Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, welchen Weg sie nahmen. Salek wählte immer den kürzesten und direkten Weg, denjenigen, der ohne Umschweife zum Ziele führte. Ich entschied mich deshalb für einen anderen, der zwar mit einiger Verzögerung, aber ebenso sicher zum Palast führte. Auf die Verspätung mochte es in diesem Falle nicht ankommen, dessen war ich gewiss, weil der erste Teil dieser unheiligen Gesellschaft ganz sicher ein ausgiebiges Mahl bei Wein und Tanz sein würde. Und dieses beneficium sollte Franco ruhig und in Freuden genießen können.
Als ich den päpstlichen Palast erreichte, war bereits die Dämmerung über die Stadt hereingebrochen. Aus einer seitlichen Gasse kommend, nahm ich die breite Straße zum großen Portale und wurde zu meinem beträchtlichen Erstaunen von der Palastwache schroff abgewiesen, noch bevor ich etwas zu meinem Begehr sagen konnte. Beinahe schien es mir, als sei mein heimlicher Besuch bereits erwartet worden. Ich stellte mich den Männern sodann als Abgesandter des Kaisers Otto vor und verlangte, noch in dieser Stunde in dringender gesandtschaftlicher Angelegenheit zum Papste vorgelassen zu werden.
„Wir haben den Befehl, Euch nicht hereinzulassen, Bischof Liutprand“, sagte eine der Wachen. Ich war darüber sehr beunruhigt und begann, auf die bewaffneten Männer einzureden, als würde ich sie damit überzeugen können, ihrem Befehl abtrünnig zu werden. Alle Reden halfen nichts, ich fiel auf die Knie, bat und flehte, allein die Männer blieben stur und verwehrten mir den Weg, ebenso die Wachen am seitlichen Portale, wo ich einen weiteren Versuch wagte, in den Palast zu gelangen. In mir machten sich Verzweiflung und Verdruss breit. Wie sollte ich Franco aus den Händen dieses Ungeheuers retten, wenn es mir nicht einmal gelang, in seine Nähe zu kommen?
Die Türen dieses Hauses waren offenbar ausdrücklich für mich verschlossen worden.
In meiner Verzweiflung umrundete ich den Palast, demütig betend und still hoffend auf einen anderen Weg hinein. Vielleicht gab es ja eine versteckte Tür oder einen geheimen Kellergang? Alles, was ich fand, war eine kleine Pforte, die wohl zur Küche führen mochte. Sie war kaum groß genug, einen Korb mit Gemüse hindurchzureichen, für einen gut gebauten Mann wie mich indes viel zu klein bemessen. Die Pforte war nicht bewacht und mein Klopfen verhallte ungehört. Es war wohl auch niemand dahinter, der mir hätte aufmachen können. Ich warf mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften dagegen, aber zu allem Übel war sie stark genug, meinem Begehren standzuhalten.
Da ich nun keinen weiteren Weg mehr wusste, wie mir und ihm zu helfen war, machte ich mich gesenkten Hauptes auf den Weg zurück zur Herberge. Schreckliche Vorwürfe ob meines Versagens quälten mich und ich schalt mich wegen meiner Naivität. Natürlich hatten der Papst und sein unsäglicher Diener Salek für den Fall vorgesorgt, dass ich meinen jungen Schüler begleiten wollte.
Ich hätte es wissen müssen.
Gerade als ich in die dunkle Gasse abbiegen wollte, aus der ich gekommen war, begegnete mir der gute Leo, der Kanzler des Herrn Papstes. Ganz plötzlich und wie von Gott selbst gerufen stand er vor mir und schien ebenso überrascht zu sein wie ich von unserem Aufeinandertreffen an diesem ungewöhnlichen Orte. Ich pries ihn und den Herrgott in seiner unendlichen Gnade und Weisheit und dankte ihnen beiden, was Leo mit einigem Unverständnis annahm. Für lange Erklärungen war jedoch nun keine Zeit mehr. Ich bat ihn, mich auf einem geheimen Wege in den Palast zu führen, da ich mit den Wachen nicht gut rechnen konnte. Auch erklärte ich ihm, dass ich eine wichtige Mission zu erfüllen hätte und meinen braven Schüler Franco aus den Händen des päpstlichen Ungeheuers erretten musste. Leo zog die Augenbrauen hoch, weil meine Erklärungen in seinen Ohren doch etwas verwirrt geklungen haben mochten, aber ich drängte ihn zur Eile und er folgte meinem Wunsche in altem Vertrauen, dass ich gewiss nichts Unrechtes vorhatte. Für dieses Vertrauen bin ich ihm, meinem guten Freund Leo, noch heute außerordentlich dankbar. Es hat mir in vielen schweren Stunden der Angst und der Verzweiflung neuen Mut und neue Hoffnung gegeben.
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