Erneut wandte ich mich zu meinem Schüler um, der sich bei der Erwähnung der Weiber im Lateranensischen Palast wohl ebenso an unseren kürzlichen Besuch erinnert gefühlt haben dürfte wie ich. Unsere Blicke kreuzten sich für einen Moment vielsagend. Stephanus brachte noch weitere Beispiele der Verrufenheit und Lasterhaftigkeit, denen sich der Papst mit jedem neuen Jahr seiner Amtszeit immer offener und verschwenderischer hingab. Er berichtete ebenso von grauenhaften Taten, die der Papst noch vor wenigen Tagen an Ehefrauen und Witwen vollbringen ließ, deren Männern er auf die eine oder andere Art Gewalt und Tod angetan hatte, um sie gefügig zu machen. Mich erschauerte das Gehörte derart, dass ich nicht einmal in der Lage war, es mir in meinem inneren Bilde vorzustellen.
„Der Tod herrscht in den Kirchen!“, fuhr er in Eifer entbrannt fort. „Allerorten stürzen ihre Dächer ein. Uns ängstigt das morsche Gebälk, wie es knarrt und knirscht. Das Regenwasser kommt nicht etwa tropfenweise, sondern wie ein Platzregen auf die geheiligten Altäre hernieder! Er behindert uns, die wir viel zu bitten haben in diesen Zeiten und zwingt uns, das Haus des Herrn so schnell wie möglich wieder zu verlassen.“
Stephanus hatte sich mit der Zeit und dem Wein so in Rage geredet, dass es ihm schwerfiel, einen anderen Sinn zu finden. Er hatte es denn auch verstanden, mir einen guten Eindruck zu vermitteln, warum zwischen dem Herrn Papste und dem Heiligen Kaiser eine solche Feindschaft herrschte wie in der Natur zwischen Wolf und Lamm. Noch am Ostertag des Jahres 962 hatte der Papst Johannes XII. in schönster Einhelligkeit mit dem Kaiser dessen Krönung vollzogen. Die beiden Männer waren trotz des großen Altersunterschiedes von beinahe dreißig Jahren durch eine enge Freundschaft verbunden. Sie war aber nur von kurzer Dauer. Ich verstand, dass der ungeheure Machthunger des Kaisers Otto und seine immer wieder aufflammenden Herrschaftsansprüche in der Provinz Capua und im Benevent6), welche jedoch dem oströmischen Reiche des mächtigen Kaisers Nikephoros untertan waren, den Papst verdrießlich machten und ihn nun umso mehr um seine eigene Position fürchten ließen. Um sich die Feindschaft des Kaisers ungestraft erlauben zu können, machte er sich den mächtigen Berengar von Ivrea und dessen gierigen Sohn Adalbert zum Vormund, zum Beschützer und Verbündeten.
Kaiser Otto, der von dem unerwarteten Kurswechsel des noch jungen Papstes zunächst überrascht war, brachte schon kurz darauf väterliches Verständnis für ihn auf: Er sei noch ein Kind, sagte er zu mir, er werde leicht durch das Beispiel guter Männer zu bessern sein. Und er hoffe noch, fügte er hinzu, dass jener sich durch einen Tadel in Ehren und freimütige Ermahnung mühelos von diesen argen Dingen freimacht.
Doch schon bald waren die Prioritäten für den Kaiser anders gesetzt. Vor der Hand forderte die Reihenfolge, den untreuen Berengar aus den Bergen zu vertreiben, da er sich noch in der Feste San Leo hielt, dann erst wollte er dem Herrn Papste mit väterlicher Ermahnung zureden. Wenn nicht aus freien Stücken, so fügte er dem Gesagten hinzu, so wird der Papst doch aus Scham sich in einen vollkommenen Mann verwandeln. Und wenn er so vielleicht gezwungenermaßen bessere Sitten annimmt, so wird er sich schämen, sie wieder abzulegen. Ich stimmte dem Erhabenen Kaiser zu und machte mich, wie oben beschrieben, mit dem Bischof Landward und den anderen auf den Weg nach Rom, um zu sehen, was wir für ihn ausrichten konnten.
Als die Stunde des nächsten Tages nahte, in der wir erneut vor den Papst treten sollten, um unsere Gesandtschaft zu erfüllen, wurden wir vom Diener Salek direkt vor der Herberge in Empfang genommen. Der Guten-Morgen-Gruß, den er uns etwas mürrisch entbot, war überhaupt das erste Wort, welches er an mich richtete. Nun gut, er mochte uns offenbar nicht, wir ihn aber auch nicht. So taten wir uns wenigstens nichts, da wir das nun voneinander wussten.
Zu meiner und auch Bischof Landwards allgemeiner Überraschung war der Herr Papst auch bei diesem Empfang nicht allein anwesend. Aber weniger dieser Umstand, als vielmehr die erstaunliche Tatsache, um wen es sich bei seinem Besucher handelte, vermochte uns wahrhaftig zu verwundern. Kein anderer als Adalbert von Ivrea, Sohn des Berengar und der Willa, saß seitlings des in goldenem Samte glänzenden Papstthrones auf einem bequemen Stuhle, welcher aber nicht dem Papste, sondern uns zugewandt war, so als wäre er nicht Gast, sondern Gastgeber in diesem Hause.
So kam es, dass wir unsere Ehrerbietung gegenüber dem Herrn Papste in gewisser Weise auch an ihn richten mussten, denn wie es sich gehört, verneigten wir uns tief und lange vor dem obersten Bischofe. Adalbert nahm es mit sichtbarer Genugtuung und Freude auf, worunter ich sehr litt. Dem braven Franco jedoch machte dies nichts aus – er lächelte einfach zurück.
Johannes XII. forderte sodann Bischof Landward auf, des Kaisers Anliegen nun vorzutragen. Der brave Bischof begann etwas umständlich mit der Einleitung, bevor er ein Schriftstück entrollte und daraus des Kaisers Botschaft verlas:
Dass der Papst sich zu bessern und sein Betragen zu ändern verspricht, dafür sage ich ihm meinen Dank. Wenn er mich aber beschuldigt, mein Versprechen nicht gehalten zu haben, so urteilt selbst, ob das wahr ist. Wir versprachen ihm das ganze Gebiet des Heiligen Petrus7), welches in unsere Gewalt kommen würde, zurückzugeben. Und das ist der Grund, weshalb wir uns jetzt darum bemühen, den Berengar mit seinem Anhang aus dieser Festung zu vertreiben. Denn wie sonst können wir ihm dieses Gebiet zurückgeben, wenn wir es nicht vorher den Händen der Räuber entreißen und in unsere Gewalt bringen? An der Festnahme des Zachäus in Capua trifft uns ebenso wenig eine Schuld. Wir wissen aber auch, dass der Herr Zachäus, obwohl er ein verworfener Mensch ist, der göttliche und menschliche Schriften nicht kennt, vom Herrn Papste erst kürzlich zum Bischof geweiht wurde, jetzt aber zu den Ungarn abgesandt ist, um ihnen zu predigen, dass sie über uns herfallen sollten. Dass der Herr Papst solches getan hat, würden wir nicht glauben, wenn es nicht durch einen Brief mit seiner Bleibulle und seinem Namenszuge bestätigt würde.
Als wir dies der Ordnung gemäß vorgetragen und beeidet hatten, sahen wir weder Einsicht bei dem Herrn Papste noch beim Herrn Adalbert. Schon bei der Erwähnung des Berengars sah ich in den Zügen Adalberts eine verabscheuungswürdige Grimasse, die der Papst mit einer ebenso entsetzlichen Geste beantwortete. Ich konnte dem Adalbert dies nicht verdenken, denn schließlich hört niemand gern Unbilliges über seine engsten Verwandten. Aber dem Herrn Papste verüble ich dies sehr wohl!
Johannes XII. schickte uns hinaus, um sich mit seinen Getreuen und seinem neuen Kumpan zu beraten. Auch dies war ein sehr ungebührliches Verhalten, wie mir Bischof Landward, der ebenfalls sehr kundig und geübt in gesandtschaftlichen Angelegenheiten war, bestätigte. Als wir ohne jede Form durch die verschlossenen Türen wieder hereingerufen wurden, standen neben Adalbert auch der Camerlengo Salek und zwei Männer des römischen Klerus beim Herrn Papste, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Ich suchte den Raum nach dem Kanzler Leo ab, konnte ihn aber nirgends entdecken.
Der Herr Adalbert teilte uns mit, dass er dem heiligen Kaiser seine Versprechungen und Eide nicht glauben werde und dass er aus sicherer Quelle wisse, dass der Kaiser auf Rom marschieren werde, kaum, dass er den von Gottes Gnaden einzigen und gerechten König von Italien, wie er seinen Vater Berengar benannte, verjagt oder, was der Herr verhindern möge, gar Schlimmeres angetan hätte. Die anwesenden Kleriker nickten stumm und auch der Papst stimmte dem ohne ein weiteres Wort zu, womit klar war, dass unsere Gesandtschaft an diesem Punkte gescheitert war. Landward und ich sahen uns einige Augenblick lang unschlüssig an, aber genau genommen war er ebenso überzeugt davon, hier nichts mehr ausrichten zu können. Was uns blieb, war nur der Rückzug.
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