In den folgenden Tagen, wir waren inzwischen eiligst und unversehrt zum Kaiser zurückgekehrt, regten sich das Herz und der Verstand des römischen Adels. Sie verabscheuten den jungen Papst und tadelten seinen Lebenswandel aus tiefster Seele. Zunächst aber suchte eine drückende, ganz außergewöhnliche Hitze die Stadt heim und der Gestank in den Vorstädten muss zu dieser Zeit noch unerträglicher gewesen sein. Für zwei Wochen verfiel alles in eine schlafende Starre. Als die Wiederkehr des Gestirns der Jungfrau die Hitze wohltätig linderte, erwachte der Lebensgeist der Stadt wieder. Die adligen Römer bemächtigten sich des Kastells Sankt Paulus und sandten dem geheiligten Kaiser ganz offen und sogar unter Stellung von Geiseln eine höfliche Einladung. Der Kaiser sammelte hierauf sein Heer und bezog am dritten Iden des November8) sein Lager vor der Stadt Rom.
Kaum, dass er angekommen war, entflohen miteinander der Herr Papst und der Herr Adalbert. Die adeligen Herren von Rom aber nahmen noch am gleichen Tage den geheiligten Kaiser und sein ganzes Heer in der Stadt auf, erneuerten ihr Treuegelöbnis und schworen überdies einen feierlichen Eid, dass sie niemals einen Papst wählen noch weihen lassen wollten ohne die Zustimmung und Bestätigung des gerechten und erhabenen Kaisers Otto und seines Sohnes, König Otto.
Franco und ich kehrten in Ottos Gefolge nach Rom zurück. Wir bezogen die gleiche Herberge wie schon zuvor und wurden vom edlen Herrn Stephanus de Imiza und seinem Bruder Rikhardus erneut auf das Herzlichste begrüßt, was mich persönlich sehr erfreute, weil es mir die Verheißung auf viele weitere gelehrte und ausgezeichnete Gespräche bei gutem Essen, Wein und Tanz brachte.
Zur Mittagszeit des darauffolgenden Tages klopfte Salek, der Kammerdiener des Herrn Papstes, unerwartet an das Tor unserer Herberge. Rikhardus öffnete ihm und geleitete ihn eine Treppe hinauf, wohin Franco und ich einquartiert worden waren. Ich hatte seine Ankunft bereits bemerkt.
Der Salek war ein gedrungener Bursche, kaum dreißig Jahre alt, so schätzte ich. Von seiner Größe her lag er zwischen der Francos und der meinigen, aber er bewegte sich ständig mit nach vorn geneigtem Kopfe, als trüge er schwer an der Last seiner Gedanken. Sein kurzes und zotteliges Kraushaar war sicher voller Ungeziefer, weshalb ich wohl gut daran tat, mich von ihm ein wenig fernzuhalten. Auch seine Kleidung zeugte nicht von erlesenem Geschmack. Ich fürchtete fast, ihm läge nicht viel daran, nach außen hin eine gute Erscheinung abzugeben, wie es sich für einen Mann seines Amtes gebührte. Als er so die Treppe hinaufkam, blickte ich ihm für einen kurzen Moment in die finsteren Augen. Sogleich wich er mir aus und verlangsamte seinen Schritt, um ihn dann, wiederum mit gesenktem Kopfe, umso schneller fortzusetzen. Mir fiel auf, dass er entsetzlich nach Knoblauch und schlechtem Schweiße stank.
„Der Papst verlangt nach dem Knaben“, sagte er ohne Umschweife und ohne eine Form von Höflichkeit.
„Das kann er nicht“, erwiderte ich etwas unbedacht, denn ich wusste, dass er dies sehr wohl tun konnte, wann immer ihm danach gelüstete. Um meinem Ausspruche zumindest ein wenig mehr Legalität zu verleihen, fügte ich hinzu: „Der Junge ist Teil unserer kaiserlichen Gesandtschaft, er kann nur mit mir oder dem Bischof Landward gemeinsam vor den Heiligen Vater treten.“
Salek sah mich aus seinen dunklen Augen mit erkennbarer Verachtung an. „Ich tue, was mir gesagt wird. Schickt den Knaben heute zur vierten Abendstunde gewaschen und in festlichem Aufzuge vor das Tor. Ich werde ihn hier abholen. Tut Ihr das nicht, wird er geholt werden.“
Daraufhin händigte er mir ein reich besticktes orangegelbes Festgewand aus, welches wohl für den Jungen gedacht war, drehte sich auf dem Absatze und stapfte finster die Treppe hinab, ohne noch ein weiteres Wort oder einen Gruß an mich oder einen der Umstehenden zu richten.
„Sagt, Herr Salek“, rief ich ihm hinterher, „wie kann der Papst nach dem Jungen verlangen, wenn er doch gar nicht mehr in der Stadt ist? Ist sein überstürzter Ausflug ins Umland denn so schnell beendet?“
Der Salek verlangsamte seine Schritte, drehte sich um und funkelte böse hinüber. „Ihr solltet mehr Bedacht auf die Wahl Eurer Informanten legen, Bischof! Manch einer hat in diesen Zeiten schon für weniger seine Zunge verloren.“
Es bedurfte nicht einmal der darauffolgenden abfälligen Geste, um zu wissen, wen er damit meinte.
„Ich hasse ihn“, flüsterte ich.
„Ja, er ist schon ein gemeiner Dreckskerl“, sagte Rikhardus, als Salek kaum das Tor passiert hatte, aber so laut, dass nicht nur ich es hören konnte.
Natürlich wusste ich sofort, was diese Einladung des Papstes zu bedeuten hatte. Mir war während unserer Audienz nicht verborgen geblieben, welche begehrlichen Blicke er auf meinen jungen Schüler richtete. Und ich gestehe auch, dass dies kein Gedanke war, der mich in irgendeiner Weise beruhigen konnte. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass Franco hinter mir im Türrahmen stand.
„Meister?“, fragte er mit sanfter Miene, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. „Ihr seht sehr besorgt aus. Was hat der Camerlengo von Euch gewollt?“
Mit einer Geste gebot ich ihm, Platz zu nehmen und versuchte indes, meine Gedanken zu ordnen. Franco war ein guter Junge. Er tat, wie ihm geheißen und wartete geduldig, was ich zu sagen hätte. Aus den Augenwinkeln musterte ich ihn aufmerksam und fragte mich, wie viel von dem kurzen Gespräch er wohl mitbekommen hatte. Sollte ich ihn zu seinem Schutze belügen, ihn gar verstecken? Konnte ich ihn denn überhaupt beschützen? Vor dem Papste? Vor meinem obersten und heiligsten Dienstherrn? Nein. So entschloss ich mich, nichts dergleichen zu tun. Stattdessen wollte ich ihm reinen Wein einschenken und setzte mich behutsam zu ihm.
„Der Heilige Vater will Dich sehen, Franco. Heute Abend schon“, sagte ich mit einiger Betrübnis und beobachtete, wie er es aufnehmen würde.
Franco jedoch sah keineswegs unglücklich aus.
„Aber ist das denn kein Grund zum Jubel, Meister? Der Papst ist doch sehr mächtig und stark. Ist es denn nicht gut, wenn wir ihn zu unserem Freunde haben können?“
„Nun ja, mein guter Franco. Das wäre wohl durchaus ein guter Grund zum Jubel. Nur leider glaube ich nicht, dass wir aus dieser Beziehung, wie ich es einmal nennen möchte, irgendeinen Vorteil werden ziehen können. Meine Erfahrung sagt mir, dass er Dich nicht eingeladen hat, um Dich nach Deiner Meinung oder einem besonders schwierigen Ratschluss zu fragen, wie es unter Freunden recht schicklich wäre.“
„Meister, Ihr sprecht davon, als wolltet Ihr mich nicht begleiten?“
„Ja, Du hast recht gehört, Franco. Der Papst hat seine Einladung nur an Dich gerichtet. Weder ich noch der Landward werden Dich dorthin begleiten können.“
„Wünscht er denn nicht, Euren Rat zu hören?“
„Oh, nein. Nicht dieser Papst! Für das, was er vorhat, wäre mein Ratschluss nur hinderlich.“
„Das verstehe ich nicht, Meister.“
Ich stöhnte leise, wusste aber keine passende Erwiderung.
Franco lief ein paar Schritte in der Kammer auf und ab. Seine Miene hellte sich plötzlich auf. Er schien nun ob dieser Nachrichten recht freudig erregt zu sein und einer ehrenvollen Aufgabe entgegenzusehen.
„Ich kann sicherlich nicht so gut argumentieren und disputieren wie Ihr, verehrter Bischof Liutprand“, sagte er, „aber ich will gern meinen Teil, so gut ich kann, leisten, wenn Ihr es wünscht.“
Er hatte wirklich keine Ahnung.
Ich forderte ihn auf, sich wieder zu mir zu setzen und legte meine Hand behutsam auf seine Schulter. „Und Du hast keine Vorstellung, weshalb der Herr Papst nach Dir geschickt haben könnte?“, vergewisserte ich mich.
Читать дальше