Am Ende bleibt nur noch die Abrechnung zu machen und beim geselligen Beisammensitzen mit den Kollegen das wohlverdiente Feierabendbier zu genießen. Diesen Punkt erreicht man wohl zwischen 1 und 3 Uhr morgens. Wer will hat also, sofern man sich nicht unbedingt in der tiefsten Provinz befindet, noch immer genügend Zeit, um selbst noch einmal ordentlich auf die Kacke zu hauen und den Genossen von der Nachtschicht in der Bar um die Ecke einen Besuch abzustatten. Doch zu diesen erbarmungswürdigen Kameraden kommen wir später.
Fassen wir schlussendlich also die Vorzüge einer Spätschicht noch einmal zusammen: der Bartender beginnt seine Arbeit zu einer vernünftigen Uhrzeit und beendet sie rechtzeitig, um immer noch als guter Christ durchgehen zu können; das lästige Kaffee-und-Kuchen-Geschäft entfällt, denn die Leute wollen Alkohol; die zermürbenden Nichts-zu-tun-Phasen beschränken sich in aller Regel auf ein erträgliches Niveau; die Zeit vergeht mit angenehmer Geschwindigkeit. Die Nachteile einer Spätschicht: es gibt keine – es sei denn, Sie beginnen den Tag gerne schon um 5 Uhr morgens und hauen sich spätestens um 22 Uhr wieder in die Falle. Dann allerdings ist eine Bar ohnehin nicht der richtige Ort für Sie.
Eine Teilschicht ist, der Name lässt es bereits vermuten, nichts Halbes und nichts Ganzes, ein zerstückelter Arbeitstag, eine Vernichtung von kostbarer Freizeit, kurzum: kaum eine Schicht ist zu Recht derartig bei Gastronomen verhasst. Glücklicherweise ist man als Barmann nur ausgesprochen selten von den Unbilden einer Teilschicht betroffen, denn in diesem Teilbereich des Gastgewerbes ist sie eher unüblich.
In eine solche Verlegenheit gerät man in stinknormalen Bars und Kneipen praktisch nie, passieren wird das einem schlimmstenfalls dann, wenn man für die Bar eines Hotels engagiert worden ist. In einem Hotel nämlich herrscht rund um die Uhr mal mehr mal weniger starker Betrieb und die Gäste wollen sowohl mittags, als auch abends mit Suff versorgt werden, wohingegen nachmittags meist eine entspannte Ruhe vorwiegt.
Deshalb kann sich der zu einer solchen Schicht verdonnerte Barmann nach dem Mittagsgeschäft in den Nachmittagsstunden wieder nach Hause verdrücken – sofern sich die Fahrt dorthin aus entfernungstechnischen Gründen denn überhaupt lohnt. Denn meist bleibt nicht viel mehr als vielleicht drei oder vier Stunden zwischen den beiden Schichtteilen Zeit, abzüglich An- und Abfahrt usw. Besonders arme Teufel, die recht weite Wege zwischen Arbeit und Heim zurücklegen müssen, geraten daher des Öfteren in die missliche Lage, diese verlorenen Stunden anderweitig zu überbrücken. Im Klartext bedeutet das: Zeit totschlagen.
Bei einer Teilschicht, der buchstäblich zerteilten Schicht, gilt es die Stoßzeiten mittags und abends abzufangen und seine Kollegen der Früh- und Spät- bzw. Schlussschicht zu unterstützen. Man ist gewissermaßen nur eine Hilfskraft, da man keine der regulären Schichten von Anfang bis Ende durchmacht. Gerne werden Neulinge oder Azubis zu solchen unbeliebten Schichten herangezogen. Die einzigen Vorteile, die mir dazu einfallen, sind deshalb auch die folgenden: die Bar muss nicht auf- und nicht abgebaut werden, Putzarbeiten entfallen in der Regel ebenso wie die Kassenabrechnung.
Der letztgenannte Vorteil birgt allerdings auch einen nicht unwesentlichen Nachteil, denn man ist bei der Auszählung des Trinkgeldes am Ende des Abends nicht zugegen und auf das Wohlwollen und die Fairness der Kollegen angewiesen. Ich hatte in der Vergangenheit mehr als nur einmal das Gefühl, bei der Verteilung der Beute übergangen worden zu sein. Doch ist hier guter Rat teuer, man ist seinen Kollegen wahrlich hilflos ausgeliefert und kann kaum mehr tun, als auf ihren Gerechtigkeitssinn zu vertrauen. Leider hört beim Geld nur allzu oft nicht nur die sprichwörtliche Freundschaft, sondern auch die Kollegialität auf, und der ein oder andere überlässt sich seiner Gier.
Als Kellner in einem Restaurant sieht man sich schon weitaus häufiger mit Teilschichten konfrontiert, als das bei einem Bartender der Fall sein wird. Während meiner Lehrzeit war es eine der am häufigsten auftretenden Schichten überhaupt. Die Schicht dauerte damals von 10 bis 14 Uhr und dann noch einmal von 18 bis 22, manchmal auch bis 24 Uhr. Für die 12 km bis nach Hause benötigte ich auf der Landstraße durch kleine und kleinste Dörfer gute zwanzig Minuten. Mit der verbliebenen Zeit wusste ich kaum jemals etwas Sinnvolles anzufangen, der ganze Tag war dank solch einer Teilschicht von vorne bis hinten ruiniert und blähte sich durch die verlorenen Nachmittagsstunden auf stolze zwölf bis vierzehn Stunden auf. Quälend lange Tage waren das, an die ich mich noch heute mit Grauen zurückerinnere.
Die Ursachen, warum einem solcherlei in mehr oder weniger zwei gleiche Hälften geteilte Arbeitstage besonders lang erscheinen, liegen auf der Hand: man muss sich zweimal auf die Arbeit vorbereiten und die Arbeitskleidung anlegen, man begibt sich zweimal auf den Weg zur Arbeit, und in der Zwischenphase hat man kaum Gelegenheit, die Arbeit aus dem Kopf zu bekommen.
Vielleicht waren diese Schichten mit einer der Gründe, weshalb ich mich damals recht bald entschieden hatte, nach Beendigung meiner Ausbildung nicht weiter als Kellner zu arbeiten, sondern stattdessen eine Laufbahn als Barmann einzuschlagen. Tatsächlich musste ich seit meinem Aus-scheiden aus dem Lehrbetrieb im Jahr 2003 niemals wieder auch nur eine einzige Teilschicht schieben. Allerdings war mir damals auch noch nicht völlig klar, dass auch die in Bars üblichen Arbeitszeiten durchaus ihre gravierenden Nachteile mit sich bringen.
Man mag von Tag-, Spät- und Nachtschichten halten, was immer man will. Für mich steht zweifelsfrei fest, keine davon ist auch nur annähernd derartig schlimm, zeitvernichtend und geradezu kaugummiartig wie eine Teilschicht. Sie ist das Schmiedeeisen, die Streckbank, die Höchststrafe für Azubis im Gastgewerbe.
Je später der Abend, desto schöner die Gäste.
Volksweisheit
Auch wenn dieses bekannte Sprichwort dem eigentlichen Sinne nach mehr auf die Wirkung eines fortgeschrittenen Alkohol-konsums abzielt, als auf die vorgerückte Stunde, so ist es doch ungemein bezeichnend für die vielleicht typischste aller Barschichten: die Nachtschicht – auch oder ganz besonders dann, wenn man es einmal von der ironischen Seite betrachten möchte. Denn nirgendwo gilt mehr als hier: je später die Stunde und je näher der Feierabend rückt, desto leidenschaftlicher möchte man als Bartender jeden Gast, der sich noch in die Bar wagt, zum Teufel wünschen.
Lassen Sie mich nun ein wenig weiter ausholen. Von Natur aus sollte es so etwas wie „Nachtmenschen“, also das Gegenstück zu den bekannten „Frühaufstehern“, überhaupt nicht geben. Des Nachts zu arbeiten, wenn die Sonne längst untergegangen und keine natürliche Lichtquelle mehr vorhanden ist, mit Ausnahme des Mondes vielleicht, das kann man selbst mit viel Fantasie nur sehr schwer auf unsere Vorfahren, auf die Menschen der Urzeit übertragen. Sie mögen jetzt vielleicht sagen: „Das ist nun aber ein doch recht großer Spagat vom Urmenschen zum modernen Bartender!“. Doch bedenken Sie: die Gattung Homo Sapiens existiert seit wenigstens 160.000 Jahren, sie reicht also bis in eine Zeit zurück, zu der es noch keine Städte und keinen Ackerbau gab, von des Nachts ausgeführten Berufen ganz zu schweigen.
Auch die Arten, aus denen der Homo Sapiens vor Jahrmillionen hervorgegangen ist, waren tagaktiv – einmal abgesehen von einem unserer entferntesten Vorfahren, einem rattenähnlichen Ursäuger, der zur Zeit der Dinosaurier lebte und vermutlich nachtaktiv gewesen ist. Und kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit irgendeiner religiös kontaminierten Schöpfungstheorie. Eine übergroße, durch die Nacht huschende Beutelratte ist unser Urahn, und nicht irgendein Apfeldieb und seine Feigenblatt tragende, heimtückische Geliebte, basta!
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