„Sind das Koi-Karpfen?“, frage ich, woraufhin Jakob nickt. Wir gehen beide in die Hocke, um die Fische besser betrachten zu können.
„Die sind wirklich schön“, sage ich, während ich die Fische beobachte, wie sie sich schnell und wendig durchs Wasser bewegen.
„Der weiße heißt übrigens Daenerys.“
Ich muss lachen.
„War Johannas Idee“, erklärt er, „Der orangefarbene heißt Goldie – auch Johannas Idee.“
„Sehr kreativ“, erwidere ich, während ich mein Lachen unterdrücke.
„Nicht wahr?“, entgegnet er, „Genauso wie die Namen der Zwillinge“, er deutet auf die beiden weiß-orange gemusterten Fische, „Mario und Luigi.“
Nun pruste ich vor Lachen. „Sind das überhaupt Männchen?“
„Wer weiß, wer weiß…“, entgegnet Jakob, „Frag Lukas, der hat die Namen ausgesucht…“
„Und durftest du auch einen Namen aussuchen?“, frage ich.
„Oh ja, für mich blieb der orange-schwarze übrig“, erwidert er.
„Und wie hast du ihn genannt?“
„Nemo“, entgegnet er lächelnd.
„Oh, das ist süß!“, erwidere ich und lächele ihn ebenfalls an.
Einen Moment lang sieht keiner von uns weg, dann ertönt plötzlich das Geräusch der Terrassentür, die zufällt. Wir schauen beide zurück und sehen Eva, die von der Arbeit zurück ist.
„Jakob, fährst du dann zu Opa?“, ruft sie.
„Ja, mach ich“, erwidert Jakob und erhebt sich.
„Kann ich mitkommen?“, frage ich.
„Bist… du dir sicher?“, entgegnet er zögernd, „Er ist nicht immer gut drauf, und seine Demenz kann manchmal echt anstrengend sein…“
Ich will aber noch mehr Zeit mit dir verbringen! , denke ich, aber sage stattdessen: „Ich würde gerne mitkommen, wenn ich darf.“
„Okay“, erwidert er lächelnd.
Wir gehen zurück ins Haus, wo Eva bereits eine Kühltasche mit Lebensmitteln vorbereitet hat.
„Wie war euer Tag? Irgendwas Neues?“, fragt sie an mich gewandt, während sie ihre Einkäufe aus einer anderen Kühltasche in den Kühlschrank legt.
„Nein, leider nicht“, erwidere ich und habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich keinerlei Fortschritte mache. Sie nickt abwesend und sagt dann an Jakob gewandt: „Das ist sein Abendessen für heute, und ich habe noch Kuchen für morgen gekauft. Jakob nickt und nimmt die Tasche, bevor wir wieder nach draußen gehen und in sein Auto steigen.
„Funktioniert die Pumpe eigentlich?“, frage ich, als wir kurz darauf erneut an dem Brunnen auf dem Dorfplatz vorbeifahren.
„Was?“
„Die Pumpe am Brunnen, passiert etwas, wenn man sie betätigt?“
„Nein“, lacht er, „Das ist nur Deko. Aber wir haben dort früher, als Kinder, die ein oder andere Wasserschlacht veranstaltet.“
Ich lache.
„Das Wasser ist aber eiskalt, also nicht unbedingt die beste Idee. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht…“
Ich lächele und frage mich im selben Moment, wie meine Kindheit wohl gewesen ist. Ob ich auch Eltern und Geschwister habe, die mich vermissen? Aber wenn dem so wäre, hätten sie dann nicht schon längst nach mir gesucht?
Ich spüre, wie ich bei dem Gedanken traurig werde, während Felder und in der Ferne der Wald an mir vorbeiziehen. Ein Ortsschild zeigt einen Moment später, dass wir uns jetzt in Gossersweiler-Stein befinden. Schon wieder.
„Kommt deine Familie aus dem Ort?“, frage ich.
„Die meines Vaters ja, meine Mutter kommt aus einem anderen Ort in der Nähe. Der Ort heißt Lug .“
„L-U-G?“, frage ich. Er nickt.
„Drei Buchstaben?“ Ich bin verwirrt.
„Könnte der kürzeste Ortsname in Deutschland sein“, erwidert Jakob lachend. „Ja, die beiden haben sich schon als Jugendliche kennengelernt und sind mittlerweile seit fünfundzwanzig Jahren zusammen.“
„Krass“, erwidere ich, „Das ist eine echt lange Zeit…“
„Ja, aber wenn man sich liebt, warum nicht?“
„Hast du denn eine… Freundin?“, frage ich nach einem Moment des viel zu kurzen Überlegens, und würde gleich danach am liebsten im Boden versinken.
„Nein“, erwidert er und ich atme innerlich auf. Er wartet ebenfalls einen Moment, bis er weiterspricht: „Ich könnte dich jetzt fragen, ob du einen Freund hast, aber die Antwort darauf kenne ich ja…“
Ich lache und hoffe, dass er mich nicht gleich anschaut und sieht, wie rot ich geworden bin. Der Gedanke kam mir bisher noch gar nicht. Was, wenn ich einen Freund habe, der mich vermisst? Ich habe plötzlich einen Kloß im Hals. Wie ist das wohl, wenn man plötzlich weiß, dass man mit jemandem zusammen ist, sich aber an keinen einzigen Moment mit der Person erinnern kann? Ist eine Beziehung dann überhaupt noch möglich?
Wir biegen in eine kleine Querstraße ein, die so eng ist, dass ich mich frage, wie Jakob es schafft, nicht beide Seitenspiegel abzufahren. Aber er scheint es gar nicht mehr zu bemerken, so oft ist er die Strecke wahrscheinlich schon gefahren…
Wir halten an einem Haus, dessen hölzerner Balkon mir sofort ins Auge springt. Auf dem Balkon stehen mehrere Gartenstühle, und auf einem davon sitzt ein Mann, der Jakob fröhlich zuwinkt, als dieser aus dem Auto steigt.
„Hallo, Opa!“, ruft Jakob nach oben. „Hallo!“, rufe auch ich. Dann schließt er die Tür zum Haus auf und wir treten beide ein. Ich fröstele. Im Vergleich zu draußen ist es hier ziemlich frisch. Ich folge Jakob eine Marmortreppe hinauf und trete dann durch eine weitere Tür in einen Raum, der das Esszimmer zu sein scheint.
Die Tür zum Balkon steht offen und wir gehen nach draußen zu Jakobs Großvater. Dieser sitzt mit seiner Zeitung auf einem Gartenstuhl, trägt ein T-Shirt und eine Jogginghose, und scheint gerade vollkommen entspannt zu sein.
Jakob wechselt nun wieder in den Pfälzisch-Modus und stellt mich seinem Großvater als eine Freundin vor.
„Schön, Sie kennen zu lernen“, sage ich. Meine Aussprache scheint ihn zu irritieren, denn er erwidert: „Ebenso, ebenso“, woraufhin Jakob leise und mit amüsiertem Grinsen zu mir sagt: „Ich habe ihn noch nie hochdeutsch reden hören!“
„Wie war dein Tag, Opa?“, fragt Jakob, immer noch auf pfälzisch.
„Gut, gut. Ich hab Zeitung gelesen und war im Garten“, entgegnet dieser, nun ebenfalls wieder in seinem Dialekt, „Und du?“
„Wir waren auch draußen, mit Luchsi“, sagt Jakob, „Und jetzt machen wir dir was Gutes zum Abendessen.“
„Was gibt’s denn?“, fragt sein Großvater.
„Selbstgemachte Pizza“, erwidert Jakob.
„Oh, die esse ich gerne“, sagt sein Opa.
„Weiß ich doch“, entgegnet Jakob lächelnd. Ich folge ihm in die Küche die, ehrlich gesagt, mal wieder renoviert werden könnte. Die Fliesen sind in diesem komischen Siebziger Jahre-Grün gehalten, und passen nicht gerade gut zu den braunen Fliesen auf dem Boden… Aber immerhin scheinen noch alle Geräte zu funktionieren.
Jakob holt einige Lebensmittel aus der Kühltasche, die uns Eva mitgegeben hat: Pizzateig, Tomatenmark, eine Paprika, Salamischeiben, frische Champignons und Streukäse.
„Wir haben Glück, heute ist er gut drauf“, murmelt er, während er alles auf der Ablage ausbreitet.
„Man merkt ihm gar nicht an, dass er dement ist“, sage ich leise.
„Jetzt gerade nicht, aber es gibt auch schlechte Tage“, meint Jakob und wäscht sich an der Spüle die Hände. Ich tue es ihm gleich, bevor wir anfangen. Ich schneide die Pilze und die Paprika, während Jakob den Pizzateig ausrollt und mit Tomatenmark bestreicht. Wir sind ein gutes Team, und so haben wir ruck zuck die fertig belegte, und gewürzte Pizza im Ofen.
„Lust auf noch mehr Kinderbilder von mir und den anderen?“, fragt er lächelnd, nachdem er den Ofendeckel hochgeklappt hat.
„Aber immer doch“, erwidere ich, und er führt mich ins Wohnzimmer, in dem auf einer Kommode unzählige gerahmte Bilder stehen. Ich erkenne Eva und Paul auf einem alten Hochzeitsbild. Die beiden sehen so jung und glücklich aus; gerade der griesgrämig wirkende Paul ist mit dem breiten Lächeln im Gesicht kaum wieder zu erkennen. Als nächstes fällt mein Blick auf ein Bild eines Jungen in einem schicken Anzug, in dem er sich nicht unbedingt wohlzufühlen scheint. Schüchtern lächelt er in die Kamera.
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