Die Damen sollten saunieren, während die Herren es sich bei einem Bierchen im angrenzenden Bistrobereich gut gehen ließen. Damit hatte er elegant die Kurve gekriegt, was die Saunagänge betraf.
„Hallo, Bettina?“, rief Helene fröhlich in den Hörer.
„Helene! Hier ist der Ferdi. Kann ich mal mit Herbert sprechen?“
„Herbert ist nicht da. Er fährt den Sepp zur Krankengymnastik.“ Sofort alarmiert, aufgrund von Ferdinands Tonlage, fragte sie: „Ist irgendetwas mit Bettina?“
„Nein, nein. Bettina geht es gut. Mach dir keine Sorgen.“ Einen Augenblick später: „Ich habe eine Leiche gefunden.“
„Eine Leiche?“ Helene setzte sich auf die Garderobenbank. Nach einem tiefen Atemzug fragte sie: „Wo?“
„Unten an der Mulaule.“
In diesem Moment hörte sie den Schlüssel in der Haustür. „Ich glaube, er kommt gerade zurück.
Ferdi ist dran“, wandte sie sich Herbert zu. „Er hat eine Leiche gefunden, unter an der Mulaule.“
„Was? Net dein Ernst?“
Sie reichte den Hörer weiter.
„Ferdi, was ist los?“
In den nächsten Minuten hörte Helene ein: Aha! ... Wirklich? ... Bist du dir sicher? Ach, die Polizei weiß auch schon Bescheid? ... Na klar, wir komme nach em Mittagesse.“
Nachdenklich legte Herbert das Telefon zurück auf die Station und sagte: „Der Ferdi hat an der Mulaule e Leiche gefunde. Wir solle nach em Mittagesse mal zu dene komme.“
In diesem Moment klingelte es erneut.
Mit Blick auf das Display stöhnte er. „Die kann ich jetzt net auch noch ertrage.“
Er drückte Helene den Hörer in die Hand.
„Habt ihr schon gehört“, zwitscherte Gundel durch die Leitung. „Der Ferdinand hat eine Leiche bei der Mulaule gefunden. Ich habe ihm gleich geraten, euch davon zu unterrichten.“
„Ich kann mir vorstellen, dass die Polizei bestimmt mehr daran interessiert ist“, entgegnete Helene.
„Dort war er doch schon. Ich kam gerade aus der Bäckerei gegenüber, weil ich heute Morgen mal Appetit auf frische Brötchen hatte. Ansonsten esse ich morgens ja nur Vollkornbrot; ist ja viel gesünder.“
Nur einen Sekundenbruchteil wartete Gundel auf Zustimmung, dann plapperte sie weiter: „Auf jeden Fall habe ihn aus der Polizeistation kommen gesehen, mit seiner Lizzy auf dem Arm. Die hat er sogar die Treppe runtergetragen. Die Ärmste hat es bestimmt im Kreuz.“
Als auch hierzu keine Reaktion von Helene erfolgte, fuhr sie fort: „Der Ferdinand kam dann auch zur Bäckerei rüber. Ich habe ihn natürlich gleich gefragt, was er so früh bei der Polizei zu suchen hatte.“
„Natürlich“, unterbrach Helene Gundels Redefluss und brachte sie damit kurzfristig aus dem Konzept.
„Eh, ja. Hätte ja sein können, dass bei denen wieder mal eingebrochen wurde oder die Bettina überfallen worden ist.“
„Kommt bei dene auch ständig vor“, murmelte Herbert. Trotzdem er nicht mit Gundel reden wollte, war er doch neugierig und hing dicht am Hörer.
„Was?“
„Nichts“, erwiderte Helene.
„Eh, ja. Was ich eigentlich fragen wollte. Was unternehmen wir jetzt? Ich meine, der Ferdinand wurde doch schon einmal von der Polizei verdächtigt …“
Helene und Herbert hörten Gundel heftig atmen.
„Es ist aber auch schon merkwürdig, dass der ständig Tote findet, meint ihr nicht auch?“
„Von ständig kann ja wohl net die Rede sein“, sprach jetzt Herbert direkt in den Hörer. „Außerdem, wenn einer eine Leiche findet heißt des noch lang net, dass es um ein Verbrechen geht. Kann ja auch en ganz simple Herzinfarkt sein.“
Gundel nickte. „Ja, möglich. Auf jeden Fall werde ich Sepp und Schorsch berichten.“
„Beeil dich aber“, erwiderte Herbert, „bevor die es aus der Zeitung erfahrn.“
„Der Ferdi sagte nicht, dass schon ein Reporter dort gewesen ist“, antwortete Gundel nachdenklich. „Aber ja, du hast recht. Ich muss mich beeilen.“
Gundula Krämer legte auf.
„Wette, dass des heut nix wird, mit de Frühstücksbrötchen bei der Gundel?“ Herbert grinste.
Mit Bedacht lenkte Harald den fabrikneuen Dienstwagen über das heikle Pflaster aus teils großen, groben Steinen und vorbei an der Lüschebank , die in die Reste der Stadtmauer eingelassen war.
Wie die Bank zu dem kuriosen Namen kam, erfuhren er und seine Lebenspartnerin Marion Haus von Polizeihauptkommissar Josef Maier, während einer persönlichen Stadtführung.
Nach der Überlieferung warteten in früheren Zeiten, die älteren Fischersleute auf der Bank auf die Rückkehr ihrer Söhne und deren Ausbeute. Dabei erzählten sie ihre ganz eigenen Fang-Geschichten und schmückten diese natürlich aus; bedeutete – es wurde kräftig Fischerlatein gesponnen – also enorm geflunkert.
Selbstverständlich, so versicherte Josef Maier damals zwinkernd, darf dort auch heute immer noch ungestraft gelogen werden. Der Spruch über der Bank lädt ja gerade dazu ein.
Hier kannst du lügen, bis sich die Balken biegen
Ein klein wenig abgeändert würde sich der Satz gut in unseren Verhörräumen machen , überlegte Harald ironisch und fuhr weiter auf dem asphaltierten Mainuferweg zum Fundort der Leiche.
„Unsere Kollegen sind schon fleißig bei der Arbeit“, stellte Nicole fest, als sie sich näherten.
Die beiden Fahrzeuge der Kriminaltechniker parkten auf dem befestigten Weg, direkt neben die Streifenwagen der Seligenstädter Polizei.
„Stell dich hinter die Polizeifahrzeuge“, schlug sie vor. „Man kann nie wissen, wie feucht der Untergrund der Wiese tatsächlich ist. Es wäre ein gefundenes Fressen für unsere Kollegen, wenn wir da nicht mehr rauskämen.“
Gleichzeitig machte Nicole Lars, der direkt hinter ihnen fuhr, ein Zeichen, damit er ebenfalls auf dem Asphalt bleiben sollte – aber zu spät. Er hatte einen neuen Ford Focus ergattert und rollte gerade auf die Mainauen.
Das Gebiet rund um den Turm war durch ein Plastikband abgesperrt. Ebenso die seitlich entlangführende Treppe und der größte Teil der oberen linksseitig angrenzenden Altstadtmauer.
Am Fundort nahmen die Kollegen der Spurensicherung, zusätzlich zu den Aufnahmen mit ihren Spezialkameras, nach althergebrachter Methode, die Abdrücke der Schuhspuren, mithilfe von flüssigem Kunststoff.
Auf dem restlichen Teilstück, oberhalb der Mauer, drängten sich zahlreiche Schaulustige, die die Polizeiaktion mit ihren Handys filmten. Ein Vertreter der Presse witterte ebenfalls eine Sensationsstory und hielt seine Profikamera direkt auf die Beamten.
„Frau Wegener. Hallo, Harald.“ Josef Maier, der Leiter der Seligenstädter Polizeidienststelle, kam auf die Kriminalkommissare zu. „Man glaubt es nicht, schon wieder ein Mord in unserem schönen Städtchen.“
Nicole und Harald nickten grüßend und Lars, der jetzt hinzukam, reichte Maier die Hand. „Josef.“
„Wo genau wurde die Tote gefunden?“, fragte die Kriminalbeamtin.
„Dort oben, direkt an der Ecke des Turms.“ Der Polizeihauptkommissar deutete auf die Stelle zwischen einem mit Graffiti-Tags beschmierten Trafohäuschen und dem Turm. „Er wurde vor etwa 20 Minuten ins Rechtsmedizinische Institut gebracht.“
„Ja, die Kollegen vom Dauerdienst haben mich unterrichtet“, bestätigte Nicole. „Weiß man schon etwas über die Todesursache?“
„Äußere Anzeichen eines gewaltsamen Todes konnte der Notarzt, nach der ersten Beschauung, nicht feststellen. Heißt … keine Strangulations- oder Würgemerkmale und auch keine Einstichwunden. Allerdings zeigten sich erste Todesflecken an den Armen. Demnach könnte das Opfer hierher transportiert worden sein. Dort hinten befindet sich ein Anwohnerparkplatz. Wie ihr seht, haben wir das Gelände ebenfalls weiträumig abgesperrt.“
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