schmalen, hohen Pinien, grüne Striche in der Landschaft, den Charme von Luca, Florenz, Siena...", Hartmut schaute erstaunt zu seiner Frau. Beate hielt Peter den Teller hin.
" Gut, Peter, sehr lecker."
Sie biss herzhaft in ihre Wurst, ein kleiner Spritzer Fett lief ihr das Kinn hinunter. Selbstbewusst unterbrach sie den gemurmelten Widerspruch.
" Und jetzt meine Idee. Widerspruch ist zwecklos! Wir sind doch eine tolle Hausgemeinschaft, wahrscheinlich eine noch tollere Reisegruppe. Wir fahren alle zusammen! Nach
Frankreich! Ans Meer, an die Côte d' Azur, luxuriös. Das gönnen wir uns! "
Unsere Hausgemeinschaft. Ist schon ein tolles Ding.
Peter lehnte sich in der Praxis auf dem schwarzen Lederdrehstuhl zurück und klopfte sich nachdenklich mit dem Kugelschreiber an die Vorderzähne.
Das Gesicht von Beate war schon fast den ganzen anstrengenden Abend wert gewesen.
Hausgemeinschaft war ja nicht unbedingt sein Ding - diese schon gar nicht. Und seine Ehe? Beide Therapeuten, das war schlimm, beide in einer Praxis zusammen war eindeutig noch schlimmer. Gelebte Harmonie. Ständig! Gemeinsam arbeiten,
zusammenwohnen, zusammen... Peter seufzte. Die perfekte Kontrolle Tag und Nacht. Nicht, dass er ...aber da brauchte der Therapeut bald ebenfalls Therapie.
Immerhin war Beates Eifersucht dadurch besser auszuhalten. Auf was wollte sie da eifersüchtig sein, hatte sie doch alles und vor allem ihn unter Kontrolle.
Auch die Klientinnen - die sahen sowieso nicht aus wie Julia Roberts. Die Vergangenheit, nun ja ... eine andere Geschichte. Aber eben auch Vergangenheit.
Die sollte ruhen und nicht ständig hochgewürgt und neu bewertet werden. Aus, Schluss und vorbei.
Und nun die Hausgemeinschaft - das Fest mit den anderen war Beates Idee gewesen. Mit Hanne hatte sie sich befreundet. Aber was war mit Sonja und Ilka? Die eine zu jung, zu punkig, zu sehr an sich selbst interessiert. Die andere? Na, ja. Seins war sie nicht.
Im Nebenzimmer klapperten energisch Absätze über das Parkett. Gemeinsam in den Urlaub! Eine Lachnummer? Ein Experiment? Nun, man würde sehen...
Klettenberggürtel. Haus Sonnenschein.
Sonja stöhnte und legte die Füße auf den Hocker. Fahl blinkten Sonnenstrahlen durch das Fenster, ließen Staubkörnchen in der Luft flirren, fielen auf den beige, braun, gelben Designboden des Gemeinschaftsraums. Designboden? PVC!!
Anderer Name, andere Wirkung. Klang nicht nur besser, sah auch gleich besser aus.
Die Farbe allerdings erinnerte sie an das Erlebnis mit Frau Krummer. Sie schüttelte sich. Bloß nicht denken, einfach ignorieren.
Ilka stürmte herein. Ungewöhnlich für sie, die immer so ruhig und bedacht wirkte. Diese Woche hatten sie zusammen Frühdienst, beide trugen die hellbraunen Kittel über braunen Jogginghosen.
" Hast du die Medikamente für die erste Etage zusammenstellt? Und in die Liste eingetragen? " Ihre Stimme klang müde und traurig.
Sonja lächelte.
" Bei Frau Hartmann musst du aufpassen. Sie hat sich einen neuen Trick zugelegt, Tabletten " schlucken " und später wieder ausspucken. Heute Morgen war sie wieder sehr verwirrt und wollte partout noch nicht frühstücken. Waschen und anziehen ging gar nicht und weil sie nicht zur Toilette wollte, ging das Geschäft auch noch daneben."
Ilka winkte mürrisch ab.
" Heute ist ein grauenhafter Tag! Nichts klappt und unsere Leutchen sind nur ätzend. So alt möchte ich nicht werden, das fühle ich immer mehr. So leben, na ja...", Ilka winkte ab und lehnte sich mit dem Rücken an die Kühlschranktür. Nach Engagement sah das heute nicht aus.
„Wenn das doch klappen könnte mit diesem gemeinsamen Urlaub.
Ich glaube ich würde einen ganzen Tag lang Luftsprünge machen vor
Freude... Frankreich! Vielleicht Côte d'Azur!!"
Ihre Stimme überschlug sich fast.
Sonja richtete sich auf und rüttelte Ilkas Schulter.
" Du, ich habe hin und her überlegt. Besser ist, du träumst nicht davon, Ilka. Und dann, hast du mal über die durchaus möglichen Streitereien nachgedacht. Fahre mit Freunden in Urlaub und vergiss diese Freundschaft.
Wer hat zu viel bezahlt, wer zuviel gegessen, getrunken? Wer zu wenig beigetragen, nicht aufgeräumt, zu viel Klopapier verbraucht und und und...Da habe ich noch nicht einmal negativ gedacht, das kann nicht klappen! Vergiss es!"
Das rote Lämpchen über der Tür begann hektisch zu flackern.
" Das ist Herr Raabe, schnell Ilka! Dem ging es den ganzen Morgen schon schlecht."
" Sprich doch noch mal mit Hanne darüber, Sonja. Man kann
doch alles regeln, wenn man nur will. Bitte! Ich bitte dich."
Ilka schob Sonja durch die Tür auf den Flurbereich.
" Na hör mal! Ich sagte meine Cousine - nicht meine
Verflossene!" Paul schnaubte gequält in den Hörer.
Cousine! Solche Cousinen hatte Karla bereits zur Genüge kennengelernt. Da blieb der Spaß durchaus in der Familie.
" Schau mal", Pauls Stimme quakte aus dem Hörer. Sein Durchhaltevermögen war wirklich erstaunlich.
" Ich weiß ja nicht, welche Herren du vor mir gekannt hast.
Wir spaßen da nicht. Bei uns ist die Cousine tatsächlich Teil der Familie."
Karla gackerte. Teil der Familie! Reizend! Welche Herren du gekannt hast! Respekt, Monsieur!
Ihre gemeinsamen Abenteuer im Gers waren nun schon einige Monate her. Den Herbst und Winter hatte Karla dann wirklich geruhsam mit ihren Freunden, zeitweilig mit ihrer Schwester und kulinarischen Köstlichkeiten verbracht, natürlich Paul eingeschlossen.
Dieses Jahr war es so schnell knackig kalt geworden, dass die letzten gefallenen Blätter frostig gefroren waren und klirrend zerbarsten, kaum, dass der Fuß sie berührte.
Dazu kamen die üblichen Dorffestlichkeiten und sehr löblich das Konzipieren von mehreren Unterrichtsreihen samt Arbeitsblättern, das alles hatte sie auf Trab gehalten. Ihre Schwester Karin und ihre Kollegin Mia waren zu Neujahr zu Besuch gekommen und sie alle hatten den Sylvesterabend - le réveillon de la Saint Sylvestre - traditionell als Familienfest bei den Berry verbracht: Also tatsächlich Familie und Freunde und Bekannte!
Statt Raclette und Raketen ein mehrstündiges Repas de fête, ein Festessen mit Entenleber, Champagner und Austern, den Spéziales de Claire, bis zum Abwinken.
Das Bassin d'Arcachon war ja nicht weit und seine Austern galten als überaus wohlschmeckend.
Weite Kiefernwälder, ausgedehnte menschenleere Strände und gewaltige Dünen. Die Düne von Pilat am Becken von Arcachon
war bekanntlich die größte Wanderdüne Europas und wurde alljährlich von zahllosen Touristen gestürmt.
Ben, c'est la vie! Vor dem Tourismus war halt niemand sicher. Und nun das Fest "en famille"!
Zwischen den einzelnen Gängen kreiste immer wieder mal ein Gläschen höher Geistiges zur besseren Verdauung. Die Stimmung war beschwingt und alle wollten sich schier ausschütten vor Lachen, wenn Guy-Claude, Pauls Vater, wieder einmal mit nur einer Flasche unter dem Arm für 15 Personen aus dem Keller auftauchte, die weißen Haare gesträubt, hochrote Flecken auf den Wangen, die Bewegungen behände, sehr behände.
Um Mitternacht öffnete er weit die Fenster, ließ die kalte stille Nacht ins warme Zimmer und unzählige "bonne année" erschallten.
Karin vermisste allerdings das Feuerwerk, das sie in Köln gerne und ausgiebig mit Freunden angeschaut hatte. Hier auf dem Land wollten die Bauern das ihren Tieren lieber ersparen.
" Sagen Sie, Karla ", meinte der liebe Guy-Claude vertrauensselig am frühen Morgen, als die Suche nach weiteren Flaschen längst an die jüngere Generation übertragen worden war, " mein Paul ist bei Ihnen doch in guten Händen, oder?"
Brüllendes Gelächter und ein hochroter Paul ließen Karla nur mühsam die Fassung bewahren.
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