Schließlich nickte einer der beiden.
„Komm mit!“ befahl er auf Englisch und drehte sich um. Sein Akzent war grauenhaft, aber immerhin verständlich.
Cathal folgte wortlos und ließ sich durch die Anlage führen. Sie war ähnlich gegliedert wie die Ranger-Zentrale in Minnesota, doch viele Gänge waren durch den rohen Felsen getrieben worden. Ein Aufzug brachte sie nach unten.
Sie schwiegen sich während der Fahrt an, aber das war Cathal nur recht. Die meisten Gespräche fand er überflüssig. Floskeln und unnützes Zeug. Das Wichtigste wurde ihm auch so übermittelt: Sie misstrauten ihm. Aber das war normal. Er war ein Fremder in dieser Zentrale. Niemand kannte ihn und er selbst wusste nur das, was ihm Henry und zwei andere Ranger über die Europe Security erzählt hatten.
Aber auch das war nicht wichtig.
Entscheidend war nur, dass er den Auftrag von Chief Bryan ausführte. Wenn das bedeutete, dass er sich dem hiesigen Chief Martinak stellen musste, dann würde er das tun.
Klar war aber auch: Seine Loyalität galt Bryan.
Chief Bogdan Martinak, Chef der Europe Security, empfing ihn in einem modern eingerichteten Büro. Cathal registrierte nur nebenbei, dass dieser Raum deutlich größer war als der von Chief Bryan, was ihn eher irritierte und nicht beeindruckte. Doch er verzog keine Miene und erwiderte den durchdringenden Blick des Kriegerwolfs gleichmütig.
„Du bist also Cathal, der Bruder von Seoc.“ Auch Martinak sprach ihn auf Englisch an. Sein Akzent hatte einen eindeutig osteuropäischen Einschlag, war aber erträglich.
Jetzt biss Cathal die Zähne doch zusammen, doch er sparte sich eine Bestätigung.
Martinak hatte seinen Zwillingsbruder gekannt. Seoc war einige Zeit bei der Europe Security gewesen, nachdem er die Minnesota-Ranger verlassen hatte. Als er dann wieder in die Staaten zurückgekehrt war, hatte er nie von seinen Erlebnissen dort berichtet. Aber dass er Martinak nicht leiden konnte, war deutlich zu spüren gewesen, wenn dessen Name erwähnt wurde.
„Bist du auch so ein Psychopath wie er?“
Cathal hielt die Kiefer zusammengepresst. Er war nicht bereit, irgendetwas über seinen Bruder zu sagen. Deswegen war er nicht hier.
Bogdan Martinak stand breitbeinig vor ihm und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Er war ein Kriegerwolf, wie er im Buche stand. Groß, breit, finster aussehend und mit einer aggressiven Aura.
Cathal beschloss, ihm noch eine Chance zu geben. Eine!
Er war beinahe enttäuscht, dass der Chief diese nicht vermasselte.
„Was ist in Minnesota los?“
Endlich kamen sie zum Thema. In knappen Worten schilderte Cathal die Geschehnisse. Er wusste, dass Martinak bereits informiert war und ihn nur deswegen befragte, um sich ein Bild von dem Ranger zu machen. Zeitverschwendung in Cathals Augen, aber bei Leitwölfen sehr beliebt.
„Es waren zwei Wilderergruppen in der Nähe von Dark Moon Creek. Erst fünf, dann sechs Teilnehmer. Beide gehörten einer größeren Vereinigung an. Das Jagdziel waren besondere Wölfe. Es gab ein Foto, das herumgezeigt wurde. Sie haben zwei Welpen mit Schlagfallen verletzt und Tucker O’Brians Gefährtin Hannah zweimal schwer verwundet. Wir konnten sie rechtzeitig retten.“
„Hm, und warum hat Bryan dich in die Wälder geschickt?“
„Ich war verfügbar.“
„Ich vermute mal, dass Byers und Graves auch dabei waren.“
Cathal nickte. Die Vermutung war naheliegend, da Henry Graves und Mort Byers sich ebenfalls in Europa aufhielten. Mit Sicherheit war Chief Martinak nicht glücklich darüber. Fremde Kriegerwölfe versprachen meistens Ärger, auch wenn sie in diesem Fall zu den Minnesota-Rangers gehörten.
Lange Zeit herrschte Stille. Schließlich seufzte Martinak theatralisch und schüttelte den Kopf.
„Du bist wirklich ein sprudelnder Quell, Wolf. Bryan sagt, dass du ein guter Krieger bist, und ich muss wohl erstmal davon ausgehen, dass das stimmt. Aber ich erwarte natürlich, dass du dich an meine Regeln hältst!“
Das war doch klar! Warum redete dieser Kerl von Selbstverständlichkeiten?
Wieder herrschte Schweigen. Martinak drehte sich um und griff zum Telefon.
„Bryan! Kannst du mir erklären, warum du mir ausgerechnet diesen Kerl aufgehalst hast? Da ist ja jeder Fisch kommunikativer! – Na, danke vielmals.“
Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck beendete er das Gespräch und drehte sich wieder um.
„Du wirst mit einem meiner Teams zusammenarbeiten. Mir ist egal, dass du sonst allein arbeitest. Bei mir gibt es Teamwork! Kommst du damit klar?“
Cathal hob die Schultern.
„Du bist der Boss.“
„Allerdings. Das solltest du nicht vergessen! Nils, Renaud!“
Die Tür wurde aufgerissen und zwei Kriegerwölfe betraten den Raum. Beide trugen einen Kurzhaarschnitt, der militärisch anmutete. Von der Statur her waren sie ähnlich groß und breit. Der eine war vom Typ her etwas dunkler als der andere und blickte deutlich verkniffener als sein Kollege auf Cathal. Gekleidet waren sie in Jeans und Lederjacke.
„Das sind Renaud Dubos und Nils Hassler. Sie werden dich bei deiner Suche unterstützen. Nils ist aus Deutschland und kennt sich in der Gegend gut aus. Ich erwarte, dass du mir direkt berichtest und nichts zurückhältst.“
Auch das war selbstverständlich, aber Cathal nickte.
Sie ließen ihm keine Pause. Bereits eine Stunde später hockte Cathal mit seinen neuen Partnern in einem anderen Hubschrauber Richtung Deutschland.
Sie hatten sich nur kurz bekannt gemacht.
Renaud Dubos, ein Franzose mit entsetzlicher Aussprache, was das Englische anging, war wohl der Aggressivere der beiden. Er ließ Cathal nicht eine Sekunde aus den Augen.
Nils Hassler war der Kommunikativere und auch für die technische Ausrüstung zuständig. Er hatte während des Fluges einen Laptop auf den Beinen und war mit Recherchen beschäftigt.
Cathal schloss die Augen und ging in Gedanken die Informationen durch, die er von Martinak und seinen Männern erhalten hatte.
Sie kannten drei Namen, bei denen sie ansetzen wollten. Drei Deutsche, die offensichtlich zum Kreis der Jäger gehörten. Sie wohnten in Deutschland verteilt und gingen unterschiedlichen Berufen nach. Cathal brauchte nicht lange, bis er wusste, welchen der dreien er sich zuerst vornehmen wollte. Er sah Renaud an.
„Wir fangen in München an“, sagte er nur.
Der Franzose runzelte die Stirn.
„Wieso da?“
Cathal wusste genau, warum er lieber alleine arbeitete. Dumme Fragen gingen ihm einfach auf die Nerven. Aber er hatte Bryan versprochen, kooperativ zu sein.
„Weil ich glaube, dass das unser Mann ist.“
Renaud wechselte einen Blick mit Nils.
„Geht’s noch genauer?“, schnarrte er dann.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Cathal sich seine Antwort zurechtgelegt hatte. Er wollte zumindest vermeiden, noch vor ihrer Landung in Deutschland einen Streit zu entfachen.
„Dennis Kossmann wohnt nahe an Bolender.“
Es war noch mehr als das.
Cathal wusste es einfach. Aber das würden die fremden Wölfe nicht verstehen. Die Ranger akzeptierten inzwischen, dass er meistens wusste, wo und wen er zu suchen hatte.
Die beiden Krieger sahen skeptisch aus, verkniffen sich aber einen Kommentar. Offiziell hatte Cathal das Sagen, was die Sache für ihn leichter machte. Ob Bryan darauf bestanden hatte? Er traute es ihm zu. Bryan wusste immer, was er ihm zumuten konnte und was nicht.
Renaud gab entsprechende Anweisungen nach vorne, und Cathal spürte, wie sich die Flugrichtung leicht verschob. Zufrieden schloss er wieder die Augen. Ein paar Stunden Schlaf konnte er gut gebrauchen.
Deutschland-Rudel, nahe München
Die Ankunft auf dem Münchener Flughafen gestaltete sich anders, als Hannah Riemann es bisher gewohnt war.
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