„Das Temperament muss sie von dir haben. In dem Alter dachte ich auch oft ‚Gnade mir Gott‘, wenn du einen deiner Anfälle hattest“, meint Dad achselzuckend, dann wendet er sich an seinen Enkelsohn und stupst ihm liebevoll gegen die kleine Nase: „Wie wäre es, wenn wir mit deiner Mamma in die Stadt fahren und uns das Restaurant von deiner Nonna Paola von innen ansehen? Dann kann sie immer noch entscheiden, ob sie es haben will.“
Ich sehe Dad entgeistert an, der diesen Moment sichtlich genießt.
„Das ist es doch, was du mich die ganze Zeit fragen willst, oder?“
„Ja, aber…“
„Da du dich entschlossen hast hier zu bleiben, sehe ich nicht ein, wieso ich dir das Da Paola nicht überlassen sollte. Kochen kannst du ja.“
Sein Blick fällt bedeutungsschwer auf die leeren Teller, den Sugo aus Tomaten, Kräutern und Olivenöl haben alle sogar mit etwas Weißbrot aufgetunkt.
„Da habe ich ja wenigstens etwas von Mum geerbt.“
Dad grummelt irgendeine Zustimmung, während er mit Nathan in den Flur geht, um ihm Schuhe und Jacke anzuziehen.
Mich überläuft ein Prickeln, das mich Schaudern lässt. Einerseits, weil ich es kaum glauben kann, dass Dad mir das Restaurant überlässt und ich bald wieder eine Perspektive für mein Leben haben werde. Andererseits aber auch, weil ich Angst vor dieser großen Aufgabe habe – und den übergroß erscheinenden Fußstapfen, in die ich treten werde.
Der Schlüssel klackt verheißungsvoll im Schloss, als Dad die kleine graue Tür aufsperrt, die in den dunklen Hausflur führt, von dem aus man sowohl zum Restaurant kommt, als auch die Treppe hinauf zu einer großen Wohnung, die zum Haus gehört.
Meine Eltern haben das Haus gekauft, als ich noch ziemlich klein war und meine Mum die Idee hatte, ein italienisches Restaurant in Sheemore zu eröffnen. Die Wohnung ist seit Jahrzehnten an eine Familie vermietet, deren Name mir gerade nicht einfallen will.
Dad geht mit Nathan voraus und entsperrt die Tür, von der aus man direkt in den Vorratsraum der Küche liefern kann. Ich bleibe stehen und nehme alles in mir auf. Ich war so viele Male hier, aber jetzt – ohne Mum – fühlt es sich komisch an. Noch mehr, als ich hinter Dad und Nathan her tappe und die leere Küche betrete, die allerdings so aussieht, als wäre sie jederzeit bereit wieder in Betrieb genommen zu werden. Töpfe und Pfannen sind auf Hochglanz poliert in den Regalen, Teller stehen gestapelt da, als würden sie jeden Moment mit köstlichen Speisen beladen. Nirgendwo liegt auch nur das kleinste Körnchen Staub.
Ich höre mit halbem Ohr wie Dad seinem Enkelsohn erklärt, wie seine Nonna hier gearbeitet hat und wie wunderbar sie kochen konnte. Auch wenn er Schottland nicht gerne verlassen wollte, die italienische Küche hat es ihm trotzdem angetan. Eine nette Alternative zu dem Haggis, das er im Fairytale gerne bestellt. Meine Mum hat sich stets geweigert so etwas zu kochen, selbst wenn sie es durchaus hätte lernen können. Sie behauptete stets, so etwas käme in Italien niemals auf den Tisch. Was, wie ich nun weiß, so nicht stimmt. Innereien werden in Italien sehr wohl serviert und Matteos Mutter macht mit Vorliebe einen Mix aus verschiedenen Innereien mit einer Soße aus Tomate und Minze. Wie Dad wohl reagieren würde, wenn ich ihm ‚Trippa alla romana‘ servieren würde? Wie ich ihn kenne, würde er sich kringelig lachen, weil Mum ihn an der Nase herumgeführt hat. Ich nehme mir fest vor, es mal zu versuchen. Schon allein, um meinen Vater zum Lachen zu bringen.
„Komm, Mamma!“ Nathan zieht ungeduldig an meiner Hand, damit ich ihm und seinem Großvater folge.
So modern und funktional die Küche auch sein mag, das Restaurant selbst wirkt wie aus einer anderen Zeit. Würde es in Italien stehen, würde man auf Tripadvisor vermutlich lesen können: ‚Restaurant mit Lokalkolorit‘. Doch hier wirkt es einfach nur, als hätte jemand eine original italienische Trattoria gepackt und in eine schottische Kleinstadt gestellt. Nur, dass selbst in Italien die gehobenen Restaurants nicht mehr so aussehen, wie es noch Anfang der 90er-Jahre der Fall war, als Mum das Da Paola eröffnete.
Ich sehe, wie Dad förmlich in sich zusammenfällt, während er sich umsieht. Wie von selbst suche ich seine Nähe und greife nach seiner Hand, um sie aufmunternd zu drücken.
„Es ist, als ob Mum jeden Moment auftauchen würde“, sagt er leise.
Was natürlich daran liegen könnte, dass alle Tische aufgedeckt sind. Ebenso wie die Küche ist der Restaurantbereich betriebsbereit. Mich erschreckt der Anblick eher.
„Wer hält das Restaurant so sauber und deckt hier ein?“, frage ich ungläubig.
„Ich. Wer sonst?“ Dad klingt ganz normal, als er das sagt. Nicht so, als wenn das ein wenig sonderbar wäre.
„Aber… Warum?“
Ich lasse seine Hand los, um im Lokal umherzustreifen. Nathan ist schon in der Ecke verschwunden, wo eine große Kiste mit Spielsachen steht. Mum wollte immer, dass Kinder sich besonders willkommen im Da Paola fühlen.
„Mir war es eben wichtig“, antwortet Dad nun leicht knurrig. Anscheinend geht er in Verteidigungshaltung.
Ich streiche mit einer Hand über die rot-karierte Tischdecke an meinem Lieblingsplatz, dem Tisch ganz vorne am Fenster, von dem aus man eine hübsche Sicht auf eine kleine Grünfläche und die Kirche von Sheemore hat. Nicht, dass ich sonderlich religiös wäre, aber als Kind träumte ich immer davon, dort zu heiraten. Ich war ziemlich gut darin, mir meine Traumhochzeit auszumalen, mit Prinzessinnenkleid, meterlangem Schleier und allem Drum und Dran. Letztendlich wurde es dann eine sehr stille und heimliche Zeremonie im Rathaus von Rimini mit anschließendem Essen bei Matteos Eltern.
Die Kirche von Sheemore ist schon sehr alt, ein mittelalterlicher Bau, der über die Jahre restauriert und erweitert wurde. Sie versprüht einen besonderen Charme, dem ich mich wohl als Kind schon nicht entziehen konnte. Meine Mum fand meine Träume von einer Märchenhochzeit immer wunderbar und manchmal saßen wir an eben diesem Tisch und fantasierten zusammen. Die Erinnerung tut weh und ich winde mich innerlich.
„Es sieht aus, als würde das Restaurant nur darauf warten, dass Mum die Vordertür aufsperrt und die Gäste einlässt“, murmele ich vor mich hin.
Dad tritt hinter mich und umfasst meine Schultern. Obwohl ich selbst nicht gerade klein bin, überragt er mich mit seiner hünenhaften Statur. Der perfekte Highlander wie er im Buche steht.
„Es hat vielleicht nur auf dich gewartet“, meint er.
„Nichtsdestotrotz muss einiges getan werden, wenn wir es wirklich wiedereröffnen wollen. Ich weiß, dass dir das Restaurant am Herzen liegt, so wie es ist. Aber die Einrichtung ist unmodern. Hier hat das vielleicht niemanden gestört, aber wenn wir Touristen im Sommer anlocken wollen, sollte das Interieur ein wenig ansprechender sein.“
„Ansprechender?“, fragt Dad empört und lässt mich los, als wäre ich giftig.
„Moderner?“, versuche ich es mit einem unverfänglicheren Wort.
„Ich mag es so wie es ist.“
„Ich auch. Mum hat es so gemacht. Aber du siehst doch ein, dass ich mit der Zeit gehen muss.“
„Du musst ihm deinen Stempel aufdrücken“, sagt Dad nicht eben freundlich.
„Das wollte ich damit nicht sagen.“ Ich zeige anklagend auf die abgeschabten Stuhlbeine. „Alles hier ist dreißig Jahre alt, Dad, und das sieht man auch. Selbst wenn Mum das Restaurant immer pfleglich behandelt hat und du jetzt regelmäßig für Sauberkeit gesorgt hast, wenn wir ein erfolgreiches Unternehmen führen wollen, sollten wir allmählich im Jahr 2018 ankommen.“
„Ich habe noch nicht gesagt, dass du das Da Paola haben kannst“, grummelt Dad sein Kinn kratzend.
„Limonade!“, kräht Nathan begeistert hinter dem Ausschank hervor, der wohl unbemerkt von uns hinter den Tresen geschlichen ist.
Читать дальше