„Emma lernt allmählich das schottische Wetter kennen und vielleicht sogar lieben.“
Ich schnaube ungläubig. Nicht Emma, die Freundin der Sonne, die sich am Liebsten auf unserem sonnenbeschienen Balkon in Bologna auf einem Liegestuhl aus der Fabrik ihrer Großeltern geaalt hat, oder am Strand von Rimini Stunden zubringen konnte, wenn wir den Sommer bei Matteos Eltern verbrachten.
„Ich habe ganz vergessen zu fragen, wie gestern euer Einkaufsbummel in Kirkcaldy war?“
„Ob du’s glaubst oder nicht, Emma war vollauf zufrieden.“
„Wirklich?“
„Zuerst sah es nicht so aus, als würde es ihr dort gefallen“, gibt Dad zu. „Aber dann entdeckte sie so einen Laden… TJ Next oder so ähnlich…“
„TK Maxx?“
„Genau.“
„Okay. Dann war sie sicher im siebten Himmel. Vorausgesetzt sie hatten dort die richtigen Marken.“
„Anscheinend. Sie hat fast ihr ganzes Taschengeld ausgegeben und als wir zu Mittag dort beim Italiener einkehrten, war der Tag ohnehin gerettet. Jedes andere Kind hätte sich mehr über einen Burger bei McDonalds gefreut, als über Rigatoni Vongole im La Gondola.“
Dad kratzt sich wieder über seine Bartstoppeln, die blonden Härchen werden auch hier allmählich durch graue ersetzt. Ich trinke von meinem dampfenden Kaffee und genieße die Klarheit, die die schwarze Flüssigkeit in meinem Kopf verbreitet. Espresso wäre mir lieber, aber Dad kocht einen ziemlich starken Filterkaffee, der bei Kopfschmerzen genau richtig ist.
„Mit richtigem italienischen Essen kannst du bei Emma immer punkten. Nathan ist da weniger wählerisch. Er weiß eine leckere Pizza durchaus zu würdigen, wäre aber über McDonalds nicht undankbar gewesen, zumal wir selten dorthin gehen.“
Mir fällt wieder ein, was Nathan über die Pizza vom Lieferdienst gesagt hat.
„Dad, kann ich mit dir nochmal über das Da Paola sprechen?“
Mein Vater zieht die buschigen Augenbrauen zusammen.
„Erzähl mir doch lieber, wie dein Abend gestern war.“
Hmpf! Ich habe eigentlich keine Lust mit Dad zu plaudern, als wären wir beste Freundinnen. Dafür ist er schließlich denkbar ungeeignet. Dennoch sehe ich es als einzige Chance, damit er nicht komplett zu macht.
„Es war nett mit Jo im Fairytale. Ich wusste gar nicht, dass Pete diese Pubquiz-Abende anbietet.“
„Das ist zur Zeit der Renner in Sheemore. Wir sind ein bisschen spät damit dran, aber irgendwann kommt alles auch zu uns, man muss nur Geduld haben.“
„Jo und ich haben ein Team gebildet mit dem neuen Filialleiter der Bank. Nick Lyle.“
„Ach“, antwortet Dad nur und versenkt sein Gesicht im Kaffeebecher, trotzdem sehe ich sein Grinsen.
„Jo kann ihn nicht leiden, was die Zusammenarbeit ein wenig beeinträchtigt hat. Trotzdem sind wir Dritte geworden. Es war lustig mit den Beiden, nur keiner von uns konnte die Musikfragen beantworten. Kennst du etwa die ‚Travelling Wilburys‘?“
„Klar“, antwortet Dad. „Aber du warst noch ziemlich klein, als die ihre Hits hatten. Kein Wunder also, wenn du sie nicht kennst. Ihr hättet Kayleigh in eurem Team gebraucht, sie kennt sich mit Musik gut aus.“
Herrgott, was hat Dad nur für einen Narren an Kayleigh MacDuff gefressen? Dauernd redet er von ihr. Ich weiß ja zum Glück, dass Dad noch an Mum hängt, ansonsten würde ich denken, er hat eine Affäre mit einer Frau, die seine Tochter sein könnte.
„Das Fairytale ist immer noch das einzige Pub in Sheemore, nicht wahr?“, lenke ich ab, um Dad in die richtige Richtung zu bekommen, vor allem aber, damit er nicht mehr grinst, wenn ich weiter von Nick Lyle erzähle.
„Vor einigen Jahren hat ein anderes Pub aufgemacht, aber es konnte sich nicht halten. In den Sommermonaten kommen vereinzelt Touristen hierher, aber im Winter ist nicht viel los.“
„Ja, ein zweites Pub ist vermutlich zu viel bei einem kleinen Ort wie Sheemore. Aber mehrere Restaurants wären doch ganz schön.“
Dad beäugt mich misstrauisch, dann atmet er tief durch und stößt einen Seufzer aus, der aus den Tiefen seiner Seele zu kommen scheint.
„Das Da Paola war immer gut besucht, wenn du das meinst“, gibt er schließlich zu. Sein wehmütiger Blick trifft mich und er tut mir leid, weil er durch mich an Mum denkt. Aber es muss jetzt einfach sein, denn meine Idee lässt mich seit gestern nicht mehr los.
„In anderen Ortschaften gibt es auch ganz unterschiedliche Lokale und sie werden sehr gut angenommen. Denk doch nur an das La Gondola in Kirkcaldy. Die Leute in Sheemore würden sich sicher freuen, wenn es neben dem grauenhaften italienischen Take-away wieder ein richtiges Restaurant geben würde.“
Dad murmelt irgendwas vor sich hin, was ich nicht verstehe. In diesem Moment kommen Emma und Nathan in die Küche gepoltert, die Turnschuhe voller Dreck, den sie schön gleichmäßig auf dem Fußboden verteilen.
„Wann gibt es Mittagessen?“, fragt Emma.
„Wenn du lernst, dass man mit dreckigen Schuhen nicht ins Haus kommt“, schimpfe ich, stehe auf und schiebe sie und Nathan zurück in den Hausgang. „Außerdem sitze ich gerade noch mit Grandpa beim Frühstück.“
„Grandpa hat mit uns schon vor Stunden gefrühstückt. Wir können ja nichts dafür, dass du so lange schläfst. Ist wohl spät geworden gestern“, meint Emma spitz.
„Ein wenig.“
Ich weiche Emmas vorwurfsvollem Blick aus, indem ich mich bücke, um Nathan die Schuhe auszuziehen. Die Spitzhacke pocht etwas sanfter als vorhin gegen meine Schläfen.
Dads schwere Standuhr aus dem Wohnzimmer schlägt fast genau in diesem Moment elf Uhr. Ich winde mich innerlich. Habe ich wirklich so lange geschlafen? Da ich mit meinen Kopfschmerzen beschäftigt war, habe ich gar nicht auf die Uhr gesehen.
„Und? Wann gibt es denn jetzt Mittagessen? Und kocht Grandpa wieder?“, insistiert Emma weiter, dabei tappt sie ungeduldig mit ihrem Fuß.
„Zieh‘ deine Schuhe jetzt endlich aus“, fahre ich sie an, weil das Fußtappen mich ganz nervös macht und meine Kopfschmerzen schlagartig wieder stärker werden. „Ich fange jetzt gleich zu kochen an, du kannst so lange mit Nathan ein wenig Fernsehen. Grandpa müsste noch meine alten Kinderfilme irgendwo haben. Bambi, Cinderella, diese ganzen Disneysachen eben. Ich werde ihn bitten die Filme rauszusuchen.“
Während Dad sich damit beschäftigt, seine Videokassetten heraus zu kramen und den Kindern eine Palette alter Filme anzubieten, die es längst in besserer Qualität auf DVD gibt, was Nathan jedoch überhaupt nicht stört und Emma darüber lästern lässt, dass sie wohl im finsteren Mittelalter gelandet ist, beginne ich in der Küche nach Lebensmitteln zu stöbern.
Dad mag kein begnadeter Koch sein, aber er hat zumindest ein paar Basissachen im Haus und ich mache mich ans Werk. Zwischendrin schenke ich mir immer wieder von Dads Kaffee ein, der wirklich Tote senkrecht stehen lassen könnte und der erfolgreich Kopfschmerzen und Übelkeit bekämpft. Ich schalte das altersschwache Radio ein, das auf einem Bord steht seit ich denken kann. Es rauscht ein wenig, wie es das schon immer getan hat, weil man hier einfach keinen guten Empfang hat, aber das stört mich überhaupt nicht.
„Dad?“, rufe ich ins Wohnzimmer hinüber, aber da keine Antwort kommt, mache ich mich durch die Vordertür selbst auf den Weg in den Garten, um nach Mums Kräuterschnecke zu sehen, die Dad ihr vor vielen Jahren angelegt hat, damit sie sich Thymian, Basilikum, Rosmarin und noch viele andere Sachen ziehen kann, mit denen sie immer gerne gekocht hat.
Mums Garten ist ein wenig verwildert und Unkraut sprießt zwischen den Kräutern und Blumen hervor, aber dennoch finde ich, was ich suche. Der Geruch von Basilikum verursacht bei mir ein angenehmes Kribbeln im Bauch, weil er mich an Mum erinnert, die damit alles Mögliche gekocht oder garniert hat. Als Schulbrot bekam ich meistens ein Sandwich mit Anster, einem Käse aus der Region, und Basilikum - eine Mischung, die außer mir niemand hatte. Aber so besonders und fast exotisch Mum in einem Fischerort in Schottland gewirkt haben mag, sie war bei allen beliebt und ihre Wärme und ihr italienischer Charme machten das Da Paola zu einem beliebten Ziel bei den Bewohnern der Stadt.
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