„Kann der Schreiberling denn mehr finden, als er sollte?“
„Es gibt immer ein Restrisiko. Daher ist Eile geboten.“
„Verständlich“ seufzte er und wusste, was nun auf ihn zukam.
Hans galt als der pragmatische Typ in ihrem Kreis. Walter hingegen war jemand, der immer mit dem Kopf durch die Wand wollte, selbst wenn die Tür daneben offenstand. Alle drei verband sie eine innige Freundschaft und ein brisantes Geheimnis, dass die Republik in ihren Grundfesten erschüttern könnte, falls es ans Tageslicht käme, schmiedete sie zusammen.
„Ich kümmere mich darum. Aber ich sage euch, das wirbelt Staub auf“.
Hans drehte sich zu Walter und sah in mit einem ernsten Blick an. „Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist.“
„Na lass das Mal meine Sorge sein. Du kümmerst dich wie immer um die Ausführung.“ Walter schien allerbester Laune zu sein. Hans hingegen war am Zweifeln.
„Und Gottfried ist sich da sicher?“
„Er meint, das wäre die einzige Möglichkeit. Lieber kurzzeitig etwas Staub aufwirbeln, als das die Sache an die Öffentlichkeit kommt, denn dann ist hier die Hölle los. Wie hat der Alte damals immer gesagt: Probleme löst man, solange sie noch klein sind.“
Hans seufzte. Er ging die Alternativen durch und kam zu dem Schluss, dass seine Freunde recht hatten.
„Also gut.“ Er drehte sich um. Niemand war weit und breit zu sehen.
„Sie sind uns damals nicht auf die Schliche gekommen, sie werden es auch dieses Mal nicht.“.
Walter steckte seine Hände in die Taschen und streckte seine Beine von sich.
„Fürs Erste würde ich sagen, sollte das genügen. In diesem Zusammenhang wäre da nur noch eine Sache, um die du dich kümmern solltest.“
„Und die wäre?“
„Bei dir gibt es eine undichte Stelle.“
Hans lachte laut auf.
„Wo soll ich eine undichte Stelle haben. Höchstens bei mir zu Hause, wenn der Wasserhahn tropft.
Walter sah ihn mit einer ernsten Miene an und Hans hörte sofort auf zu lachen. Er zog ein zusammengerolltes Foto aus seinem Jackett heraus und gab es kommentarlos an ihn weiter.
„Das ist die undichte Stelle. In deinem und in unserem Interesse solltest du das Leck abdichten.“
Hans sah sich das Bild an. Walter hatte zweifellos recht. Die undichte Stelle musste abgedichtet werden.
„Und noch was: Ich habe gehört, dass es eine Kopie der Rotenbergakten geben soll.“
Hans widersprach. „Die letzte Kopie der Rotenbergakten haben wir damals 1993 an uns genommen, was ziemlich viel Staub aufgewirbelt, und einigen Leuten in Berlin den Job gekostet hat.“
Walter lachte, wurde jedoch gleich wieder ernst.
„Wie gesagt ich habe etwas gehört. Und Gerüchte sind bekanntlich die Rauchschwaden der Wahrheit. Ich gehe mal davon aus, dass es etwas mit deiner undichten Stelle zu tun hat.“
„Ich überprüfe das. Um die undichte Stelle kümmert sich dann der Sanitär.“
Beide wussten was, beziehungsweise wer, damit gemeint war.
Sie standen von der Bank auf, liefen gemeinsam schweigend den Weg zurück zur Wendeschleife, wo sie ihre Autos geparkt hatten, und verabschiedeten sich mit einer freundschaftlichen Umarmung.
Dann rief Hans Meinhardt besagten Sanitär an.
Zwei Tage später kam ein Journalist der Stuttgarter Nachrichten bei einem Autounfall auf der B27 Richtung Filderstadt aus ungeklärter Ursache, wie es im Polizeibericht hieß, von der Fahrbahn ab und starb in den Trümmern seines Wagens.
...„Like Frankie said: ´I did it my way! `. Langsam wachte er auf, als ein amerikanischer Rocksänger ihn aus dem Radio rief, obwohl er ja eigentlich mit vollem Namen Frank Jonas hieß, doch in diesem Moment machte das den Radiowecker auch nicht leiser.
Irgendwie schaffte er es, sich aufzurichten, doch als er seinen Kopf in die Höhe richtete, fuhr es ihm durch und durch. Frank schaute auf die Uhr: Gerade mal fünf Stunden hatte er geschlafen, nachdem er den gestrigen Abend mit ein paar Freunden die Straße runter im Biergarten verbracht hatte. Leider war es nicht nur bei dem Radler geblieben, und das obwohl er heute mit seinem Rad noch auf den Säntis, einer bei Radlern und Motorradfahrern gleichermaßen beliebte Strecke durch das Appenzeller Land, fahren wollte. Eine Tour von insgesamt fast zweihundert Kilometern.
Mühsam quälte er sich aus dem Bett, schlurfte den immer länger werdenden Weg ins Bad, und stellte sich vor den Spiegel. Sein Gesicht war zwar unrasiert, aber mit seinen dreiundvierzig Jahren hatte er sich ganz passabel gehalten, denn man sah ihm sein Alter nicht an.
Sehr lange Radtouren mit ein paar Freunden, die zum einem, wie er selbst, auch nicht mehr arbeiten mussten, oder wollten und zum anderen noch rüstige Rentner waren, hatten einen nicht zu unterschätzenden Anteil an seiner Kondition und seinem Aussehen. Und das obwohl er eigentlich als uneitel galt.
Er drehte das Wasser auf, um zu duschen. Dabei prüfte er mit der rechten Hand äußerst penibel die Temperatur. Nur nicht zu kalt. Als die für ihn annehmbare Temperatur erreicht war, stellte er sich unter den lauwarmen Strahl.
Kurz nachdem er sich unter die Dusche gestellt hatte, klingelte das Telefon. Frank drehte das Wasser ab, zog sich seinen Morgenmantel über, lief ins Wohnzimmer, um den Hörer abzunehmen, doch der Unbekannte am anderen Ende der Leitung hatte bereits aufgelegt. „Arschloch“, entfuhr es ihm.
Er zog sich an, machte sich einen Kaffee und setzte sich auf seine Terrasse, um den Blick auf den Bodensee zu genießen. Die Sonne schien, trotz der Jahreszeit schon sehr kräftig, was aber in den Gefilden rund um den See keine Seltenheit war. Das Wetter versprach für heute ideale Bedingen, sodass der ausgedehnten Radtour nichts mehr im Weg stand. Während er seinen Gedanken nachhing, hörte er hinter dem Haus die Stimme seiner Mieterin. „Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Jonas. Man sieht sie kaum noch. Na ja, bei dem schönen Wetter sind sie bestimmt auch viel unterwegs.“
Er mochte es morgens eigentlich nicht, sich mit jemanden zu unterhalten, denn ansprechbar war Frank prinzipiell erst nach dem ersten Kaffee und den war er gerade dabei zu trinken.
„Haben sie schon gehört? Gestern ist wieder jemand aus Verzweiflung von der Aichtal Brücke in der Nähe von Stuttgart gesprungen.“
Frank nahm es zur Kenntnis, doch eigentlich war es ihm egal, was derzeit in Stuttgart passierte. Man genoss den neuen Alltag hier am Bodensee, oder wie die Einheimischen ihn liebevoll nannten, Schwäbisches Meer. Er schon hatte bemerkt, ja befürchtet, dass sie nur versuchte, ihm das morgendliche Gespräch aufzuzwingen, doch irgendwie war ihm nicht danach zumute.
Das ältere Ehepaar, Herr und Frau Häberle, kümmerte sich auch um seinen Garten, wenn er mal nicht da war, was früher aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Stuttgart, öfters der Fall war. Mit ihren 68 Jahren waren beide noch sehr rüstig. Herr Häberle fuhr ab und an mit ihm eine Runde auf dem Fahrrad. Meist dann, um dem gefürchtetem Mundwerk seiner Gattin zu entgehen, welches allseits bekannt und gefürchtet war. Besagte Frau Häberle war zwar eine nett, hatte aber eine ziemlich schrille Tonlage in der Stimme, die bei Bedarf sicher auch Glas zum Bersten bringen konnte und wusste über alles in und um Öhningen Bescheid.
Höflich, aber bestimmt sagte er: „Tut mir leid, dass ich mich heute Morgen nicht mit ihnen unterhalten kann, aber ich bin spät dran. Ich mache heute eine etwas größere Radtour und muss langsam losfahren. Also dann bis heute Abend.“
Sprachs, verschwand wieder in seiner Wohnung, um sich fertigzumachen, und saß wenig später auf seinem Carbon Rennrad. In der Regel brauchte Frank zwischen zehn und fünfzehn Kilometer auf dem Rad, um in Gang zu kommen. So dachte er zumindest.
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