Die Tränen liefen ihm vor Lachen über sein Gesicht. So lustig fand er die Geschichte im Nachhinein, mit dem Wissen, dass damals alles noch glimpflich ausgegangen war.
„Ich hobb dann ins Dorf renner müssn, dass mer vom Wirdshaus aus an Doggder anrufn hodd könner, weil dee Wundn hodd ja unbedingd gnähd werdn müssn“, setzte Peter die Erzählung fort. „Aber des allerschönsde war dann am nächsdn Tag, wie der frisch zsamm gflickde Kaplan die Feldmesse ghaldn hodd. An dem Tag is ausgrechned dess Maddäus-Evangelium dran gwesn, Kabiddl fünf, Vers neununddreißig, wassi nu wäi heid: „Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn dich einer auf die linke Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“. Dem sei Gsichd hädd ihr sehn solln, wie der die Schdell vorglesen hodd.“
Allgemeines Gelächter begleitete die letzten Worte Peters, zumal dieser dabei das äußerst salbungsvolle Gesicht und die übertrieben andächtige Sprechweise des damaligen Kaplans perfekt nachgeahmt hatte.
„Apropos, widerstehd nicht dem Bösn, wie wärsn wemmer uns etzerdla widder amal dem bösen Spieldeufl zuwenden und weiderkardln däädn!“, brachte Lothar das Thema wieder auf den eigentlichen Anlass dieses lustigen Abends zurück.
Jenseits des Tales
Jenseits des Tales standen unsre Zelte,
zum roten Abendhimmel quoll der Rauch
aus der „Mundorgel“
Wenige Stunden zuvor.
Eine vermummte Gestalt näherte sich dem Zeltlager der katholischen Landjugend Röthenbach. Der fremde Eindringling schob sich vorsichtig Zentimeter um Zentimeter auf dem steinigen Gelände nach vorne, dabei stets peinlichst bemüht, jedes verräterische Geräusch zu vermeiden. Mittlerweile war es später Nachmittag und die Sonne warf bereits lange Schatten, zumindest dort, wo das relativ ebene Gelände von einem einzelnen Busch oder einem der vielen moosbewachsenen Felsen unterbrochen wurde. Trotzdem war es immer noch angenehm warm. Der ungebetene Besucher nutzte diese dunklen Flecken geschickt, um sich unbemerkt immer näher an die beiden weißen, kreisrunden Gruppenzelte heran zu schleichen. Hinter einem dichten Brombeerstrauch ging er endlich in Deckung und versuchte das Lagerleben zu beobachten, das sich nun direkt vor seinen neugierigen Augen abspielen sollte. Doch der Platz schien wie ausgestorben. Keines der Mädchen war zu sehen. Dafür konnte man aus einem der beiden Zelte ein leises Singen vernehmen. Keine Fahrtenlieder von wilden Wellen und wogender See wie bei den Jungs. Es handelte sich eindeutig um die aktuellen Hits der jeweiligen Boygroups, die die Mädels in ihr Herz geschlossen hatten.
Der Spion kannte die Örtlichkeiten von früheren Gelegenheiten her ohnehin in- und auswendig, als er selbst hier mehrfach Wochenenden oder ganze Ferienwochen zeltend mit Freunden verbracht hatte. Es galt heute nur noch die genaue Lage der Zelte und der Feuerstelle, die unter ungünstigen Umständen mit ihren brennenden Holzscheiten die Szene des geplanten Überfalles zu sehr erhellen konnte, auszuforschen. Doch eine Feuerstelle hatten sie offenbar überhaupt nicht eingerichtet. Das wäre Jungs natürlich nie passiert. Jungs und Feuer, das war pure Romantik. Na gut, Mädchen waren halt anders. Alles was der Späher sah, war dazu angetan, das geplante Vorhaben wie ein Kinderspiel aussehen zu lassen. Seine Augen strahlten und seine, von zartem Flaum gekrönten Lippen formten sich zu einem erwartungsvollen Lächeln.
Die Lage erschien äußerst günstig für das Vorhaben, das er und seine Kameraden für die bevorstehende Nacht planten. Es wurde Zeit, sich unauffällig zurück zu ziehen, um nicht doch noch im letzten Moment entdeckt zu werden, was den Überraschungseffekt für den geplanten Überfall auf das Mädchenlager zu Nichte machen würde.
„Schade eigentlich“, dachte Marc.
Jetzt, wo er schon einmal so nah bei seiner Freundin Lena war, da wäre er schon allzu gerne zu ihr hin geschlichen. Er hätte ihr von hinten die Augen zugehalten und sie raten lassen, wer sich da so unbemerkt genähert hatte, um sich anschließend den verdienten Kuss abzuholen. Jetzt waren sie immerhin schon den fünften Tag getrennt und die Sehnsucht nach ihr war nicht zu verleugnen. Aber Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Er war von den Kumpels für die Spähaufgabe ausgesucht worden und konnte den Erfolg jetzt nicht einfach wegen eigensüchtiger Absichten gefährden.
Er zog sich daher unauffällig zurück, wobei er immer noch versuchte jegliches laute Geräusch zu vermeiden. Verflucht! Nur mit äußerster Mühe konnte er einen lauten Ausruf unterdrücken. Irgendetwas hatte sich in seine linke Hand gebohrt, vielleicht ein scharfer Stein oder etwas Ähnliches. Blut tropfte aus dem heftig blutenden Daumen, auf den Boden und die herum liegenden Steine. Schnell zog er ein Tempotaschentuch aus seiner Jeans und versuchte, die Blutung zu stoppen. Eine winzige Glasscherbe war die Ursache für die Verletzung. So viel zur unberührten Natur. Da der Schnitt nicht aufhören wollte zu bluten, nahm er das Halstuch herunter, das er auf ständiges Drängen seiner Mutter hin ausnahmsweise zum Rollerfahren umgebunden hatte und wickelte es um das inzwischen durchgeweichte Taschentuch und um die linke Hand. Dann machte er den Notbehelf mit einem Knoten fest. Er hatte dies alles unter Einhaltung größter Vorsicht durchgeführt, denn immer noch wollte er ungesehen wieder von hier fort kommen.
Wenn er sich unbeobachtet fühlte, dann irrte er. Trotz aller Vorsicht beobachtete ihn mit großem Interesse und ebenfalls aus sicherer Deckung heraus, ein waches Augenpaar, wovon Marc allerdings nicht die geringste Ahnung hatte. Er hatte den Rückzug fortgesetzt, mittlerweile das Lager fast ganz umrundet und wollte sich auf den Weg in Richtung des nahen Dorfes machen, wo er seinen Motorroller im Hof des ländlichen Gasthauses hinter einem dicht blühenden Fliederbusch versteckt hatte. Doch zuvor wollte er noch einmal einen Blick zurück werfen, immer noch in der Hoffnung einen Blick auf seine Lena erhaschen.
Und tatsächlich, eben kam sie aus dem Schatten eines der beiden Rundzelte hervor, neben ihr …. . Aber das konnte nicht sein. Das war ein reines Mädchenzeltlager und die Gestalt neben Lena war eindeutig männlich. Marc machte sich erneut auf, näher an das Lager heranzukommen, diesmal weit weniger auf Unsichtbarkeit bedacht. Kein Zweifel, die zweite Person war sein Mannschaftskamerad Julian. Er hatte die rechte Hand verdächtig nahe an Lenas T-Shirt und es schien so, als ob er versuchen wollte, sie zu küssen. Lena drehte sich offenbar weg und sagte etwas zu ihm, das Marc von seiner entfernten Position aus leider nicht hören konnte, so wie er ohnehin zu weit weg war, um die Situation eindeutig beurteilen zu können. Nun machte Lena Julian ein Zeichen, mit ihr in die andere Richtung, weg von den Zelten zu verschwinden. Was mochte das zu bedeuten haben? Wahrscheinlich wollte sie nicht mit ihm gesehen werden, weil es sonst Ärger mit der Gruppenleiterin geben würde und wollte im nun abseits des Lagers ernsthaft klar machen, dass er zu verschwinden habe. Oder steckten beide eventuell sogar unter einer Decke und wollten deshalb nicht gesehen werden?
Marc war verwirrt und besorgt zu gleich. Was, wenn der Andere gegenüber Lena zudringlich werden würde, das war zumindest der Eindruck, den er von seinem Versteck aus hatte. Andererseits hatte zweifellos sie selbst das Zeichen gegeben, zusammen in Richtung des nahen Wäldchens am Badeweiher zu verschwinden. Das ließ ihm natürlich keine Ruhe. Er musste unter allen Umständen herausfinden, was hier ablief. Daher beeilte sich Marc sehr, den beiden so schnell wie möglich zu folgen. Er hatte es so eilig, dass es ihm im Moment völlig egal war, ob er damit das Ziel seiner Aufgabe als Kundschafter gefährdete, jetzt ging es um etwas sehr, sehr persönliches, hinter dem alle anderen Interessen zurück zu stehen hatten.
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