„Staubsaung müsserd mer aa amol. Wäis dou scho widder ausschaud!“
Peter verfügte bereits als Kind über eine angeborene Neugierde. Dies hatte sich während seiner Schulzeit eindeutig als sehr hilfreich erwiesen. Diese Eigenschaft, die fehlende Anerkennung seiner Leistung nach dem Wegfall der beruflichen Aufgaben, sowie der eklatante Mangel an akzeptablen Alternativen hatten letztendlich dazu geführt, dass Peter sich immer wieder einmal in Dinge einmischte, die ihn aus Sicht seiner Ehefrau überhaupt nichts angingen. Außerhalb des gemeinsamen Haushalts und aus lauter Verzweiflung. In der Folge war es ihm gelungen einige spektakuläre Mordfälle aufzuklären und dabei seinen hauptberuflichen Konkurrenten, den leider bestenfalls mittelmäßig begabten Hauptkommissar Erwin Schindler das eine oder andere Mal deutlich über dessen wahre Jahre hinaus alt aussehen zu lassen. Der Marga war diese ungebührliche Einmischung in die Angelegenheiten anderer Leute, ja sogar in die der Polizei, äußerst suspekt. Sie mochte es nicht, wenn ihr Peter, wie sie es ausdrückte, sich mit gefährlichen Verbrechern einließ und dabei sein Leben aufs Spiel setzte. Vielleicht sah sie auch einfach zu viel Krimis im Fernsehen.
Wenn sie den Peter darauf ansprach, dann zog dieser höchstens genervt die Augenbrauen nach oben angesichts einer derartigen Übertreibung. In Gefahr war er noch nie wirklich gewesen, jedenfalls war er selbst davon felsenfest überzeugt. Vielleicht mit Ausnahme seines ersten Falles. Damals hatte ihn die Schiffermüllerin, eine Giftmörderin, mit der Jagdwaffe ihres Ehemannes bedroht, als er sie mit ihrer Tat konfrontierte. Dass sie diesen auf hinterhältigste Weise zuvor ermordet hatte, das hatte Peter damals anstelle des eigentlich zuständigen Schindler herausgefunden. Nein, wenn es ernst wurde, dann überließ er das Handeln schon lieber der Polizei. Er beschränkte sein Tun viel mehr auf die Nachforschungen in seiner gewohnten Umgebung, innerhalb des Dörfchens Röthenbach, wo er auf einen entscheidenden Vorteil zurückgreifen konnte. Er kannte fast jeden der gut achthundert alteingesessenen Einwohner und konnte deshalb bei seinen Erkundigungen oftmals auf verborgene Quellen zugreifen, auf Menschen, die ihr Wissen niemals mit dem Kommissar aus der Stadt geteilt hätten. Die hatten oftmals gar nicht die Absicht etwas zu verschweigen. Meistens war den Zeugen selbst nicht einmal bewusst, dass sie tatsächlich etwas Relevantes wussten. Um diese wertvollen Informationen ans Tageslicht und anschließend in den Zusammenhang mit den Fällen zu bringen, dazu brauchte es schon die begnadete Kombinationsgabe eines Peter Kleinlein. Er hatte die große Begabung, aus vereinzelten, zum Teil zufällig aufgeschnappten Informationsfetzen, eine schlüssige Beweiskette zusammen zu setzen. Darin war er Meister, der Peter Kleinlein.
*
Während die Kleinleins noch auf ihren Besuch warteten, war die Zeltneroma endlich mit den Vorbereitungen für das Abendessen fertig geworden. Die Schwiegermutter des Bauern war im ganzen Dorf nur als „die alte Zeltnerin“ bekannt, obwohl sie mit bürgerlichem Namen Gertrud Lämmermann hieß, von fast allen aber nur „die Gerdi“ genannt wurde.
Der Tisch war gedeckt und nun wartete sie nur noch darauf, dass sowohl ihr Sohn samt Frau, als auch deren Sohn, ihr Enkel Lukas nach vollbrachtem Tagwerk pünktlich zum Abendessen erscheinen würden. Es wäre ja jammerschade, wenn der bestens gelungene Auflauf und der im Moment noch knackige Salat in sich zusammenfallen würden.
„Wos ner alle bleim? Irgndwann will unseraans ja aa endlich amal ferdich wern!“, schimpfte sie ungnädig vor sich hin. Just in diesem Moment kam jemand durch den Flur herein. Man konnte deutlich das Geräusch der schweren Arbeitsstiefel auf dem gefliesten Boden vernehmen.
„Und die Schouh homms aa widder nedd draußn auszäing kenner. Zum Dunnerwedder, abber ich hobb ja nix anders zum dou, als wäi hinder alle herzubutzn!“
Die Bäuerin, die diese Tirade gerade noch beim Eintreten in die geräumige Wohnküche mit einem Ohr mitbekommen hatte, beeilte sich, das Versäumte um des lieben Frieden willens umgehend nachzuholen.
„Allmächd Mudder, hobbi scho widder nedd droo denkd. Doud mer Leid“, brummelte sie schuldbewusst und in dem Bestreben, den Hausfrieden sofort wieder herzustellen. Nichts war ihr mehr zuwider, als eine ungute Stimmung während des gemeinsamen Essens.“
„Wo isn der Hans? Hosd den nedd midbrachd?“, fragte die Alte.
„Scho, abber der iss erschd amal nu midn Bulldog hinder in die Maschienerhalln und äs Werkzeich aufrahmer. Der kummd aa glei.“
Das kam der alten Frau doch etwas seltsam vor. Bisher war der Hans immer der erste gewesen, der am gedeckten Tisch Platz genommen hatte. Sein Hunger war geradezu legendär. Hoffentlich steckte nicht etwas ganz anderes dahinter. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass die beiden seit ein paar Tagen sich zwar nicht gerade aus dem Weg gingen, das war denn bei der Feldarbeit auch kaum möglich, aber ihr Umgang miteinander erschien ihr schon etwas verkrampft zu sein. Irgendetwas war zweifellos im Busch, wenngleich sie auch nicht im Entferntesten eine Idee hatte, was dieses eigenartige Benehmen ausgelöst haben konnte.
Es dauerte fast eine Viertelstunde bis der Bauer endlich in der Tür erschien. Auch er hatte die Stiefel natürlich wieder nicht ausgezogen.
„Mensch Hans, du trägsd mer ja den ganzn Dreck rei. Wäi oft muss i denn noch sagn, dass dess nedd gäihd?“
„Endschuldichung Mudder, ich hobb scho widder nedd dran denkd. Ich butz dann glei wech.“
„Nix dou. Etz hoggsd di hie. Dess machi dann scho.“
Der Bauer tat wie ihm geheißen. Um von seinem Versäumnis abzulenken, schob er vorsichtshalber gleich hinterher:
„Wo issn nacher der Bou? Der iss doch scho einiche Zeid vor uns hamm ganger.“
Und als ihm keiner antwortete, sprach er seine Vermutung selbst aus.
„Wahrscheinli isser scho widder zu sein Moddorrad naus. Dauernd hodder woss zum Rumbasdln an dem Deiflsding. Naja, ich gäih hald nu amal nüber in die Maschienerhalln, wo sollern na sunsd sei“.
„Bleib hoggn!“, bedeutete ihm seine Schwiegermutter mit einer entsprechenden Handbewegung. „Ich schau scho selber. Wer wass, nocher kummd er alle zwaa nimmer. Des kennd mer ja! Der Bauer schiggd den Jockl aus, soochi dou bloß.“
Gleichzeitig schlüpfte sie in ihre Pantinen und machte sich auf den Weg zu der großen Halle, die neben den landwirtschaftlichen Fahrzeugen auch das neue Motorrad des Enkels beherbergte. Dort stand es auch, feuerrot und mit allerlei glänzendem Chrom bestückt. Aber von seinem Besitzer war weit und breit nichts zu sehen.
„Herrschaft na, wo isser denn scho widder?“
Sie ging weiter in Richtung des Heuschobers. Dabei kam sie an dem von hölzernen Stangen eingezäunten Bauerngarten mit seinen blühenden Blumen und gepflegten Gemüse- und Kräuterbeeten vorbei. Sie konnte nicht vorübergehen ohne einen von Stolz erfüllten Blick darauf zu werfen. Das war alles ihr Werk. Doch halt, was war das? Irgendjemand hatte schon wieder die Gartentür sperrangelweit offen stehen lassen. Dabei wusste doch jeder, dass sie eine solche Nachlässigkeit nicht duldete. Nicht zum ersten Mal hatte der Harras nämlich schon den einen oder anderen Knochen just in einem ihrer Gemüsebeete vergraben und dabei eine heillose Unordnung hinterlassen.
„Schlamberei, suwoss!“, murmelte sie vor sich hin und ging auf das hölzerne Türchen zum Gemüsegarten zu. Sie kam gar nicht erst dazu, dieses zu schließen, denn sie sah auf den ersten Blick, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. Die Bohnen waren komplett plattgedrückt und oben auf lag mit weit geöffneten, starren Augen und glasigem Blick Vincenzo Perotta, einer der eifrigsten Kunden des Zeltnerschen Hofladens. Da wo sie laienhaft das Herz vermutete, war eine erstaunlich kleine Menge Blut durch sein ehemals blütenweißes Hemd an die Oberfläche gesickert. Der Schädel war eigenartig deformiert, wie mit einem schweren Hammer zertrümmert.
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