»Pauwdies schnell«, grunzt Thomas.
»Ja, Pauwdies lassen sich nicht so leicht fangen«, weiß auch Lanzelot. Die beiden sitzen immer noch auf dem Küchentisch. Das Einzige, was den beiden lebendigen Stoffwesen im Moment zu fehlen scheint, ist eine Tüte Popcorn. Das Gefluche und die Diskussionen gehen noch eine ganze Weile weiter. Schließlich schaffen es Paolo und Lara, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass die Pauwdies unschuldig sind. Sicher sind sich die Geschwister jedoch selbst nicht. Vielleicht hat sich das Besteck ja tatsächlich selbst vom Acker gemacht. In einer Welt der Magie scheint alles möglich zu sein.
»Was haltet ihr davon, wenn wir heute Morgen einfach beim Bäcker um die Ecke frühstücken und danach ein paar Gabeln und Messer kaufen, bis alles wieder aufgetaucht ist«, schlägt ihre Mutter ruhig vor und fährt Paolo und Lara liebevoll über den Kopf. Alle sind mit diesem praktischen Vorschlag einverstanden. Thomas und Lanzelot bleiben mit Laras Handy Zuhause. So kann Lanzelot Lara sofort anrufen für den Fall, dass es sich das Besteck anders überlegt und doch wieder nach Hause zurückkehrt. Vorausgesetzt natürlich, es wurde nicht gekidnappt.
Im Supermarkt unterhalten sich Paolo und Lara über die Vorkommnisse im Haus ihrer Eltern.
»Glaubst du die Gabeln haben wirklich Füße bekommen?«, fragt Paolo.
»Denkbar ist alles, aber schwer vorzustellen ist das schon.«
»Und falls nicht, wer könnte es denn dann gewesen sein? Vielleicht waren es ja doch die Pauwdies?«
»Ich habe keine Ahnung, wer oder was dafür verantwortlich ist«, murmelt Lara nachdenklich.
»Wenn es Rudi und seine Kollegen gewesen wären, hätten sie uns doch etwas gesagt oder eine Nachricht hinterlassen. Außerdem ist der Spiegel immer noch zugefroren. Wie sollen sie denn dann auf die Erde gekommen sein?«, grübelt Paolo. Nebenan in der Tiefkühlabteilung hört er mit einem Mal, wie sich eine ältere Frau bei einem Angestellten lautstark beschwert.
»Die Tiefkühltruhen spinnen«, motzt sie den Lebensmittelverkäufer an.
»Gute Frau, das kann nicht sein. Unsere Tiefkühltruhen sind immer in bester Ordnung.«
»Sehen Sie doch selbst«, schimpft die Frau.
»Was ist denn da los?«, fragt sich Paolo und zusammen mit Lara beobachtet er die Szene. Anscheinend lassen sich alle Vitrinen der Tiefkühlabteilung nicht mehr öffnen.
»Ich sag es Ihnen doch, vor einer Minute war noch alles in Ordnung. Aber Sie haben natürlich recht. Die Dinger sind zugefroren. Wo kommt denn nur das ganze Eis her?«, fragt sich der überforderte Verkäufer und versucht die Kundin zu beruhigen. Plötzlich sieht Paolo einen Mann, der am Ende der Tiefkühlabteilung auftaucht. Er ist ziemlich groß, hat weiße Haare, einen weißen langen Bart und trägt einen weißen Pelzmantel. Der Mann berührt eine der Vitrinen und Paolo glaubt, zu sehen wie diese im nächsten Moment total vereist. »Er war das«, denkt Paolo und muss an seinen zugefrorenen Adventskalender denken. »Etwas stimmt mit diesem Mann nicht«, vermutet Paolo instinktiv. »Hey, Sie da!«, ruft Paolo im nächsten Moment. Der Fremde blickt über die Schulter in Paolos Richtung. Er hat eisblaue, durchdringende Augen. Eine Sekunde lang schaut er Paolo direkt an und dann wendet er sich ab und biegt schnell in eine Regalreihe ein. Paolo fasst einen Entschluss und verfolgt den Mann, doch als Paolo um die Ecke biegt und in den Gang schaut, ist der Mann schon verschwunden. Auf dem Boden sieht er seine Fußabdrücke. Auf jedem Abdruck befindet sich eine dünne Schicht Eiskristalle. Genauso wie auf dem Spiegel im Badezimmer. Paolo nähert sich den Fußabdrücken und kann beobachten, wie diese bereits anfangen zu schmelzen. »Träume ich etwa?«, fragt er sich und kneift sich in die Wange. »Autsch!« Das ist der Beweis, dass er wach ist. »Lara, sieh dir das mal an!«, ruft er seine Schwester. Paolo erklärt ihr, was er beobachtet hat und zusammen untersuchen sie die Fußabdrücke. Jetzt sind nur noch Pfützen übrig. In der Zwischenzeit versuchen mehrere Angestellte, die zugefrorenen Vitrinen in der Tiefkühlabteilung zu öffnen. Doch es ist vergeblich.
»Ich bin mir sicher, der Mann hat etwas mit den Tiefkühlvitrinen angestellt«, spekuliert Paolo. »Was, wenn er auch etwas über den zugefrorenen Adventskalender oder unseren Badezimmerspiegel weiß? Außerdem hat er mich so komisch angesehen. So als würde er mich wiedererkennen.«
»Das ist weit hergeholt. Aber es wäre zumindest eine Spur, der wir nachgehen könnten«, überlegt Lara.
»Sollen wir ihn verfolgen? Vielleicht weiß er ja wirklich etwas.«
»Einverstanden.« Sie folgen den Pfützen am Boden bis zum Ausgang des Supermarktes. Dort verlieren sich die Spuren jedoch sehr schnell zwischen all den anderen Fußabdrücken im frischen Schnee.
»Mist! Wir haben ihn verloren.«
»Vielleicht aber auch nicht. Schau mal, ist er nicht das da drüben?«, fragt Lara aufgeregt und zeigt auf die andere Straßenseite. Dort biegt gerade ein Mann in eine Sackgasse ein, der genauso aussieht, wie der Mann, den Paolo beschrieben hat. Groß, weiße Haare, Bart und weißer Pelzmantel.
»Irgendwie sieht er aus wie der Weihnachtsmann, nur die Kleidung passt nicht ganz«, meint Lara.
»Hinterher!«
Es ist nur so ein Gefühl, dem Paolo folgt. Würde er jetzt sein Schutzamulett und die Aufspürbrille haben, dann würde er sich auf jeden Fall sicherer fühlen. Als sie die andere Straßenseite erreichen und in die schmale Sackgasse einbiegen, ist diese jedoch vollkommen leer. Sie sehen Müllcontainer ein paar Fahrräder, ein Motorrad, aber keinen Mann.
»Er hat sich in Luft aufgelöst.«
»Hey, hier sind noch seine Spuren im Schnee«, sagt Paolo.
Sie gehen auf die Knie und betrachten die Fußabdrücke. Es sind nur zwei verschiedene Spuren zu erkennen. Die eines Menschen und direkt daneben befinden sich große Tatzenabdrücke mit einem Hauptballen, fünf Zehenballen und fünf Krallen. Die Fußstapfen im Schnee sind wirklich groß.
»Was sind das für Abdrücke?«
»Vielleicht ein großer Hund«, vermutet Paolo.
Sie folgen den beiden Spuren weiter in die Sackgasse hinein. Nach wenigen Metern, auf Höhe der Müllcontainer, enden die Fußabdrücke des Mannes und nur noch die Tatzenspuren bleiben übrig.
»Die Abdrücke des Tieres sind hier tiefer als die da vorne«, stellt Paolo fest.
»Ich habe eine Vermutung. Ab hier ist der Mann geritten. Deshalb die tieferen Spuren«, schätzt Lara.
»Geritten? Auf einem Hund?«
»Vielleicht war es ja gar kein Hund.«
»Sondern?«
»Keine Ahnung, etwas das groß genug ist, damit man darauf reiten kann.«
Paolo kommt das Ganze immer mysteriöser vor. Trotzdem sind die beiden mutig und folgen der Fährte bis zu der Backsteinmauer am Ende der schmalen Straße. Die Abdrücke des Tieres enden direkt davor.
»Wo sind sie hin?«
»Vielleicht über die Mauer gesprungen«, überlegt Lara und legt ihren Kopf in den Nacken. »Die Mauer ist aber ziemlich hoch«, fügt sie hinzu.
»Hey, was ist denn das für ein Licht?«, fragt Paolo, der für einen Moment ein schwaches Leuchten auf der Backsteinmauer gesehen hat. Es war ein Schimmern, das ihn an das magische Tor in seinem Adventskalender erinnert hat. Paolo geht noch einen Schritt nach vorne, um die Wand zu untersuchen. Das Leuchten ist verschwunden, doch Paolo kickt beim Vorwärtsgehen unabsichtlich mit seinem Fuß etwas weg. Eine kleine, durchsichtige Kugel rollt über den Schnee und bleibt vor Laras Füßen liegen.
»Was ist das?«
Die Geschwister schauen das seltsame runde Ding an.
»Ist das etwa eine Schneekugel?«, flüstert Paolo, weil er in der durchsichtigen Kugel eine kleine Miniaturwelt erkennen kann. Es rieselt sogar Schnee, der durch das Rollen aufgewirbelt wurde.
Lara will die Schneekugel aufheben, aber Paolo hält sie zurück.
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