Paolo blickt traurig aus dem Fenster. Die Sonne geht schon langsam auf und kleine Schneeflocken tanzen wie winzige Balletttänzerinnen im Garten hinter dem Haus herum.
»Schnee«, grunzt Thomas.
»Papa und Mama sind so gemein!«
»Eltern«, grunzt Thomas.
»Ja, du hast ja recht. Ich weiß, sie machen sich nur Sorgen um uns, aber ich bin trotzdem traurig«, murmelt Paolo.
Thomas kuschelt sich noch enger an seinen Freund. Das Kissen versteht es sehr gut, Trost zu spenden.
Lara kommt an diesem Tag nur zum Essen aus ihrem Zimmer und Paolo würde sich auch am liebsten den ganzen Tag einschließen. Es schneit bis in den Abend hinein und die Kinder der Nachbarschaft spielen draußen auf der Straße. Sie bauen Schneemänner und liefern sich eine Schneeballschlacht nach der anderen, aber Paolo hat keine Lust dazu. Er sitzt nur herum und überlegt, wie es Kasimir und Rudi wohl geht. Und er sucht nach einer Idee, um seinen Vater doch noch umzustimmen, damit sie die Kraftgegenstände wieder zurückhaben können. Aber ihm fällt nichts ein. Als es schließlich dunkel wird, liegt Paolo ohne Abendessen im Bett. Ihm ist der Appetit vergangen. Er blickt müde aus dem Fenster und schaut den Schneeflocken noch eine ganze Weile dabei zu, wie sie vom Himmel fallen. Irgendwann schläft er schließlich betrübt ein.
Paolo hat keinen Grund, am nächsten Morgen früher aufzustehen, denn es gibt an seinem magischen Adventskalender kein Türchen, das er öffnen könnte. Darum schläft er noch tief und fest, als seine Mutter aufgeregt ins Zimmer stürmt.
»Paolo? Aufwachen! Es ist schon wieder etwas passiert!«
Paolo schafft es, langsam ein Auge zu öffnen und blinzelt seine Mutter an. Sie steht im Schlafanzug vor dem Bett und hat knallbunte Wollsocken an. Paolo erinnert sich noch gut daran, wie sie gestern den ganzen Nachmittag damit verbracht hat, für jedes Familienmitglied mindestens ein Paar Socken zu stricken. Dafür hat sie alle Wollreste zusammengekratzt, die noch übrig waren und dementsprechend sind die Strümpfe ganz schön bunt ausgefallen.
»Die Pauwdies waren wieder im Haus«, verkündet seine Mutter völlig aufgekratzt.
Sofort richtet sich Paolo in seinem Bett auf und reibt sich den Schlaf aus den Augen. »Wenn die Pauwdies im Haus waren, dann ist das eine wundervolle Nachricht. Der Spiegel müsste wieder aufgetaut sein und so könnte ich an die andere Hälfte von Kasimirs Nachricht herankommen«, denkt er hoffnungsvoll.
»Ehrlich? Die Pauwdies?«, fragt Paolo, der sich über diese Nachricht mehr zu freuen scheint als seine Mutter. Ohne auf ihre Antwort zu warten, springt er aus dem Bett und spurtet Richtung Badezimmer.
»Lara, die Pauwdies sind zurück«, ruft Paolo auf dem Flur, doch als er im Bad ankommt, stellt er fest, dass der Spiegel immer noch zugefroren ist. Die andere Hälfte von Kasimirs Nachricht befindet sich weiterhin unerreichbar auf der anderen Seite des Spiegels. Als Lara, Thomas und Lanzelot ins Bad kommen, berührt Paolo gerade die Eiskristalle auf der Spiegeloberfläche.
»Durch den Spiegel können die Kartoffelköpfe nicht gekommen sein«, brummt Lanzelot, der noch ziemlich verschlafen aussieht.
»Das habe ich auch nicht behauptet. Jetzt hört doch erst einmal zu!«, spricht ihre Mutter, die vom Flur aus ins Badezimmer blickt. Aber Paolo denkt überhaupt nicht daran. Statt zuzuhören, was seine Mutter zu sagen hat, eilt er in den Keller, wo sich der Tresor seines Vaters befindet. »Vielleicht sind sie ja durch den Adventskalender gekommen und haben es geschafft, den Tresor von innen aufzubrechen«, schießen die Gedanken durch seinen Kopf. Doch als er in der Werkstatt ankommt, bemerkt er sofort, dass der Tresor noch fest verschlossen ist. Trotzdem ist etwas faul, denn die Werkstatt ist so aufgeräumt. Normalerweise herrscht hier unten ein heilloses Durcheinander. Außerdem fragt sich Paolo, wo sein Vater die ganzen Werkzeuge hin geräumt hat.
»Paolo, komm in die Küche!«, hört er Lara von oben rufen.
Paolo wirft noch einmal einen Blick auf die leeren Regale, kann sich jedoch keinen Reim darauf machen und stürmt los. Die Treppe nach oben, den Flur entlang und schließlich kommt er ganz außer Atem in der Küche an.
»Durch ... den ... Tresor ... sind sie auch nicht gekommen«, schnauft er.
»Das Essbesteck ist weg«, klärt ihn Lanzelot auf.
»Wie jetzt?«
»Es hat sich in Luft aufgelöst«, sagt Lara nachdenklich und kratzt sich am Kopf.
»Waren das die Pauwdies?«, fragt Paolo.
Mittlerweile sind auch alle anderen Familienmitglieder, einschließlich Kater Jojo, in der Küche eingetroffen.
»Das Essen haben sie glücklicherweise da gelassen«, stellt Vater Maring erleichtert fest. Jojo, der Kater frisst derweil gemütlich die letzten Überreste aus seinem Napf. Lanzelot und Thomas klettern auf den Küchentisch, beobachten alles von diesem höher gelegenen Aussichtspunkt und warten erst einmal ab.
»Das waren keine Pauwdies. Pauwdies benötigen keine Gabeln und Messer. Sie essen ihre Beeren mit den Fingern«, flüstert Lara, die gerade in ihren Erinnerungen an das Festmahl in der Stadt der Pauwdies versunken ist.
»Aber wenn es keine Pauwdies waren, wer war es dann? Oder sind dem Besteck Beine und Füße gewachsen und es hat sich von ganz alleine aus dem Staub gemacht?«, fragt ihr Vater und blickt nicht ohne Grund zu Thomas und Lanzelot. Es ist ja schließlich gar nicht so unwahrscheinlich, dass im Hause Maring Dinge plötzlich lebendig werden.
»Es war bestimmt der fette Kater«, entschlüpft es Lanzelot.
Vater Maring schaut den Hasen streng an und Lanzelot macht seinen Mund zu und zuckt mit den Schultern. »War ja nur so eine Idee.«
»Wir könnten herausfinden, wo das Besteck ist. Dazu bräuchten wir aber unsere Kraftgegenstände zurück«, schlägt Paolo vor und zwinkert Lara zu.
»Ausgeschlossen. Am Ende ist das nur ein Trick und ihr habt es selbst versteckt«, wirft sein Vater sofort ein.
»Erzähl doch keinen Unsinn, so etwas würden die Kinder nie machen. Aber wenn es keine Pauwdies waren, wer war es denn dann? Oder ist das Besteck jetzt wirklich lebendig geworden?«, fragt ihre Mutter nachdenklich.
»Das ist gut möglich«, antwortet Lara, die sich die leeren Besteckschubladen genauer anschaut und nach irgendwelchen Hinweisen oder Erklärungen sucht.
»Na dann gibt es heute eben kein Müsli. Oder wir machen es wie Jojo und schlabbern aus dem Napf«, brummt ihr Vater mürrisch. »Apropos, der Kater hat schon alles aufgefressen. Paolo würdest du ihm bitte noch eine Portion nachfüllen?«
»Katzenfutter?«, fragt Paolo.
»Ja, was denn sonst?«
»Das geht leider nicht, sogar der Dosenöffner ist spurlos verschwunden. Jetzt wird es wirklich langsam Zeit, dass wir auf Dosen umsteigen, für die man keinen Dosenöffner benötigt«, sagt Mutter Maring, die inzwischen noch einmal alle Schubladen durchsucht hat. »Das macht mir jetzt irgendwie Angst.«
Paolo und Lara verfolgen das ganze Geschehen und können sich ebenso wenig wie ihre Eltern erklären, was in der Küche vorgefallen ist.
»Ich hole im Keller eine Säge, um die Dose aufzukriegen«, murmelt Vater Maring knurrig und stapft aus der Küche hinaus. Alle anderen stehen verwundert herum und überlegen, ob doch die Pauwdies Schuld an dem morgendlichen Chaos sein könnten. Plötzlich hören sie ihren Vater aus dem Keller fluchen: »Verflucht noch eins! Mein Werkzeug hat auch Beine bekommen! Keine Säge, kein Hammer, kein Schraubenzieher oder sonst irgendetwas ist noch da! Kann mir mal jemand sagen, wie wir jetzt die blöde Konservendose aufbekommen sollen?! Wenn ich diese Pauwdies in die Finger bekomme, dann können die was erleben!«
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