Von Anfang an war ihm die Arbeitsweise der Arbeiter und Vorgesetzten ein Dorn im Auge. Überall sah er undurchdachte, ineffiziente Arbeitsvorgänge. Er unterstellte dem größten Teil der Belegschaft Faulheit und Müßiggang; nannte es Sich-Drücken-Vor-Der-Arbeit oder Drückebergerei . 3Die Arbeiter würden zu viel schwatzen, zu viele Zigarettenpausen einlegen und vor jeder bereits absehbaren Pausenzeit ihre Arbeitsintensität langsam absenken: „So allgemein verbreitet ist gerade dieses „Sich-Drücken“, dass sich kaum ein guter Arbeiter finden lässt, der nicht einen beträchtlichen Teil seiner Zeit darauf verwendet, ausfindig zu machen, wie langsam er arbeiten kann, um trotzdem bei seinem Arbeitgeber den Eindruck zu erwecken, er arbeite in flottem Tempo“ 4, hielt Taylor in seinen Aufzeichnungen fest. Schuld daran trugen seiner Ansicht nach aber nicht die Arbeiter selbst. In ihnen sah er einfach das menschliche Bedürfnis, den geringsten Widerstand zu gehen und sparsam mit ihren Kräften umzugehen. Dort, wo sie sich dem prüfenden Blick des Vorgesetzten entziehen konnten und sich ihnen die Gelegenheit zum Müßiggang bot, ergriffen sie sie auch. Es waren daher auch nicht die Arbeiter, denen man die Missstände anlasten konnte. Wie Taylor beobachten konnte, schien kein einziger Vorgesetzter eine Ahnung zu haben, wie die einzelnen Tätigkeiten der Arbeiter auszusehen hatten, wie lange sie dauern durften, und mit welchen Mitteln man sie am besten vollzog. Niemand von ihnen hatte sich offensichtlich jemals Gedanken über die einzelnen Arbeitsschritte und Bewegungen der Arbeiter gemacht. Keiner wusste, ob die Arbeitsmittel und Werkzeuge wirklich sinnvoll verwendet wurden oder ob es nicht auch bessere Möglichkeiten für deren Einsatz gab. Beladen mit diesen Eindrücken beschloss Taylor, es zu seiner Aufgabe zu machen, sich alle Arbeitsvorgänge genau anzuschauen, um den Vorgesetzten und Vorarbeitern konkrete Verbesserungsvorschläge zu geben. Eine Zeit lang ging das auch gut, bis sich seine Kollegen zunehmend in ihrer Arbeit eingeschränkt und belästigt fühlten. Sie entzogen ihm das Vertrauen und beschwerten sich bei seinen Vorgesetzten. Die Situation begann zu eskalieren und Taylor musste schließlich das Handtuch werfen und Midvale verlassen.
Aber seine Mühen waren nicht umsonst gewesen. Bei einigen einflussreichen Vorgesetzten hatte Taylor einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. 1898 holte ihn ein ehemaliger Kollege, der inzwischen von Midvale zu Bethlehem Steel gewechselt war, zu sich in die Firma, um als Beratender Ingenieur die Betriebsprozesse zu optimieren. Dort sollte man Taylor ausreichend Gelegenheit bieten, umfangreiche Zeitstudien und verfahrenstechnische Experimente durchzuführen.
Abb. 4: Frederick Winslow Taylor (1856-1915); Quelle: wikipedia.org
Er begann damit ein kleines Team aufzustellen, das ihn dabei unterstützen sollte, die unzähligen Arbeitsprozesse der gesamten Belegschaft zu beobachten und aufzuzeichnen. Gemeinsam erstellten sie einen großen Lageplan, in dem sie sämtliche Vorgänge der Arbeiter festhielten und wie die Figuren auf einem Schachfeld bewegen konnten. 5Roheisenträger, Schaufler und Maurer dienten ihnen als erste Versuchspersonen. Taylors Mitarbeiter notierten peinlichst genau sämtliche Handgriffe, Tätigkeiten und Pausen, die von den Arbeitern eingelegt wurden. Ebenso ermittelten sie die Wege, die während der Arbeit zurückgelegt und Gewichtsmengen, die mit der eigenen Körperkraft gestemmt wurden. Danach begann die eigentliche Analysearbeit: das Zerlegen der Arbeitsprozesse in möglichst kleine Teilstücke. Jedes Element wurde anschließend bewertet, unterschiedlich gewichtet und mit einem Punktebewertungssystem verknüpft. Die Herausforderung bestand darin, für jeden Arbeitsvorgang den optimalen Weg, das richtige Werkzeug und den minimalsten Ressourceneinsatz zu wählen. Alles was überflüssig war, jede Handlung, jeder Anschein von Zeitverschwendung, wurde weggelassen. Hatte man dies erreicht, setzte man die Teilstücke wieder zu festgelegten Arbeitsfolgen zusammen. Übrig blieb der one best way 6, der optimale Weg, um eine Arbeit effizient ausführen zu können. Taylor stellte dabei fest, dass es viel effizienter war, die zerlegten Arbeitsschritte in anderer Form wieder zusammenzulegen. Anstatt Arbeiter eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten ausführen zu lassen, bündelte man gleiche oder ähnliche Arbeiten zusammen und ließ sie fortan von Spezialisten ausführen. Dabei wurde es aber nötig, die einzelnen Arbeiter und deren Funktionen aufeinander abzustimmen. Genaue, minutiöse Zeitvorgaben mussten gemacht werden, um einen reibungslosen Ablauf aller Teilprozesse zu gewährleisten. Nur dann konnte das neue Regime reibungslos funktionieren. Hatte man erst mal jeden einzelnen Arbeitsprozess auseinandergenommen, analysiert, optimiert und wieder neu zusammengesetzt, löste man das Wissen wie ein Produkt hergestellt wurde aus dem Erfahrungsschatz der Arbeiter heraus. Nach dem bisherigen Produktionssystem hatte die Leitung des Unternehmens kaum Zugriff auf das Wissen und die Erfahrung der einzelnen Arbeiter. Taylor schrieb: „Die Leiter der besten Betriebe nach althergebrachter Form erkennen freimütig an, dass ihre 500 bis 1000 Arbeiter, die auf 20 bis 30 Handwerksarbeiten verteilt sind, diese Menge von ererbten Kenntnissen ihr eigen nennen, während sie der Leitung selbst fremd sind.“ 7Taylor wollte diesen Umstand unbedingt ändern: „Den Leitern fällt es z.B. zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe und zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit.“ 8Das neue System extrahierte das Wissen und hielt es in den Betriebsplänen und Büchern fest. Implizites Wissen wurde so zu explizitem Wissen gemacht. Damit konnten die Tätigkeiten jetzt auch ohne Weiteres jedem beliebigen Arbeiter vermittelt werden. Fiel ein Arbeiter aus, ließ er sich wesentlich einfacher als bisher ersetzen.
Taylor nannte seine Methodik Scientific Management . Bekannt wurde sie auch unter seinen Namen: Taylorismus . Seine Arbeiten wiesen den Weg in die fortschreitende Arbeitsteilung und steigende Produktivität. Den Preis, den die Arbeiter zu zahlen hatten, waren Entmündigung, Monotonie, Langeweile aus Unterforderung, Austauschbarkeit und die sklavische Unterordnung unter den Takt der Maschinen. Man darf sich den Wissenstransfer vom Ausführenden zum Denkenden als eine regelrechte Entmachtung vorstellen. Ließ man die erfahrenen Arbeiter bisher weitestgehend selbst entscheiden, wie sie zum Ergebnis kamen, wurde ihnen jetzt jeder einzelne Handgriff vorgegeben. Zogen sie ihr Selbstwertgefühl bisher auch daraus, selbst zu beurteilen, wie sie ihre Arbeit am besten ausübten, wurde ihnen dieses Recht nun vollständig entrissen. Man machte sie zu unmündigen Menschen.
Abb. 5: Scientific Management bei der Tabor Co. um 1905; Quelle: wikipedia.org
Weil Taylors Methodik aber so bestechend einfach und erfolgreich war, verbreitete sie sich rasch auch in anderen Unternehmen. Unternehmer und Manager auf der ganzen Welt folgten seinem Vorbild und sorgten für eine beispiellose Rationalisierungswelle. Die Industrielle Revolution brachte der Welt die Maschinen und das moderne Transport- und Telekommunikationswesen. Aber es war Taylor, der Mensch und Maschine in Einklang brachte, er setzte die menschliche Arbeitsweise den Maschinen gleich. Die Maschine gab das Tempo und den Rhythmus vor. Man sprach von der gut geölten Maschine . 9Nicht der Mensch schien die Maschine zu beherrschen, sondern die Maschine den Menschen; fortan war er zum kleinen Rädchen im großen Getriebe verdammt.
Читать дальше