Das heutige Bürodesign wird von zwei besonderen Treibern bestimmt: Wettbewerbsdruck und schneller technologischer Wandel zwingen Unternehmen dazu, mehr Innovationsarbeit zu leisten. Das Bürodesign hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Kreativität und Innovationsfähigkeit seiner Nutzer und Nutzerinnen. Neben diesem Nützlichkeitsdenken geht es aber auch darum, Orte zu schaffen, an denen sich Menschen wohlfühlen. Vorbei sind die Zeiten nüchterner, allein auf Effizienz getrimmter Arbeitsplätze. Wer heute um die Gunst der talentiertesten Wissensarbeiter kämpfen möchte, tut gut daran, schöne Arbeitswelten zu erschaffen. Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila schrieb einst: „Wenn wir wollen, dass etwas Bestand hat, sorgen wir für Schönheit, nicht für Effizienz.“ Als Erwerbstätige verbringen wir rund ein Drittel unserer Zeit auf der Arbeit. Geht es uns nur um Produktivität und Effizienz und missachten wir dabei gänzlich Design und Ästhetik, verlieren wir einen wichtigen Teil unseres menschlichen Antriebes. Wir brauchen schöne Arbeitsumgebungen, um in ihnen inspiriert und erfüllt zu arbeiten. Gelungene Arbeitsumgebungen bieten daher auch immer beides: Funktionalität und Ästhetik.
So bunt und vielfältig die Welt ist, in der wir heute leben und die wir uns tagtäglich neu erschaffen, so verschiedenartig sind auch die Anforderungen an das heutige Bürodesign. Nichts steht still, alles ist in Bewegung: Wir arbeiten im Wechsel, allein oder im Team, und wir genießen die Freiheit, nach flexiblen Arbeitszeitmodellen und an verschiedenen Orten im und außerhalb des Büros zu arbeiten. Nur wenig haben Louis Sullivans gleichförmige Zellen noch mit den heutigen Bürowelten gemeinsam. Weitaus besser passt daher das damals von ihm postulierte Designparadigma form follows function in unsere Zeit. Von diesen neuen Arbeitswelten wird hier erzählt. Von den erfolgreichen und weniger erfolgreichen Konzepten, von Gewinnern und Verlierern. Nicht alles ist Gold, was glänzt, aber vieles scheint sich seit den white-collar factories zum Besseren gewendet zu haben. Das bestätigen Stimmungsumfragen unter Angestellten. Nach einer aktuellen Studie unter deutschen Arbeitnehmern mit Bürojobs sind über 80 Prozent zufrieden mit ihrem aktuellen Büroarbeitsplatz. 11Aber sind die Büros damit auch auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet?
Im Bann des
Scientific Managements
Von Kontoren, White-Collar Factories, Curtain Walls und dem vielleicht erfolgreichsten Innovation Lab der Welt
Es gab sie schon im Mittelalter, im Hanseraum des nördlichen Europas und den italienischen Handelsstädten Venedig und Florenz; kleine kaufmännische Niederlassungen und Warenlager, die als Vorläufer der heutigen Büros gelten. Ab dem 16. Jahrhundert nannte man sie Kontore; abgeleitet aus dem französischen comptoir, was so viel wie Zahltisch bedeutet. Seit dieser Zeit, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, haben sich die Arbeitsweise in den Kontoren und deren Ausstattung nur geringfügig verändert. Bis auf wenige große Häuser blieben sie in der Regel kleine, familiengeführte Betriebe, in denen nur eine Handvoll Männer mit der Führung der Geschäfte betraut waren.
Die übliche Gesellschaftsform war die der Partnerschaft. Wenn möglich, beteiligte man die eigenen Familienangehörigen, enge Bekannte oder Eingeheiratete. Dies schuf Vertrauen und ermöglichte eine bessere Kontrolle. Besonders dann, wenn Handelsbeziehungen über große Distanzen verliefen, erwies es sich als Vorteil.
Abb. 2: Kontor Anfang des 19. Jahrhunderts; Quelle: office museum
Da die Kommunikation hauptsächlich per Brief stattfand und Wochen, gar Monate dauern konnte, bot die Bande des eigenen Blutes mehr Sicherheit. Übervorteilung und Betrug ließen sich so wirkungsvoller eindämmen. Größere Partnerschaften besaßen Zweigstellen in verschiedenen Städten. Die familiären Verbindungen konnte man aus den Firmennamen entnehmen. So gab es beispielsweise in Liverpool die Brown Shipley & Company , in New York Brown Brothers & Company, in Philadelphia Browns and Bowen und in Baltimore Alexander Brown & Sons. 1
Die Belegschaft blieb überschaubar. Neben den Partnern gab es in den Handelskontoren vielleicht zwei oder drei Schreiber, einen Buchhalter, einen Kassenwart und einen Vorsteher, der die Geschäfte führte, wenn die Partner gerade nicht im Büro waren. Oft war es nur ein einzelner Raum, in dem man dicht beinander saß. Wie erfolgreich das Kontor war, ließ sich schnell an der Beschaffenheit der Räumlichkeiten und deren Einrichtung ablesen. Einfache Kaufleute konnten sich oft nur bescheidene Zimmer leisten, die sich im Souterrain oder in schwer zugänglichen Etagen eines mehrstöckigen Hauses befanden. Manchmal drang nur wenig natürliches Licht durch die winzigen Fenster. Zur üblichen Einrichtung der Kontore gehörten schwere Schreibtische, Stühle, Pulte, Regale und Schubläden für die diversen Bücher, Papiere und Verträge. Dazu gab es Schreibgeräte und einige arithmetische Hilfsmittel; darunter Feder, Bleistift, Rot- und Blaustift, Lineal und Zinstabellen. Arbeitspensum und -geschwindigkeit waren in den meisten Kontoren nicht sonderlich hoch. Nichts hatte hier mit der Hektik späterer Jahre gemein. Selbst in New York, der Stadt, die um 1840 zu den wichtigsten kommerziellen Zentren der Welt aufgestiegen war, herrschte nur selten Zeitdruck. In den Chroniken des damals in New York lebenden Kontoristen J.A. Scoville fand sich die Aufzeichnung eines typischen Tages wieder:
To rise early in the morning, to get breakfast, to go down town to the counting house of the firm, to open and read letters - to go out and do some business, either at the Custom house, bank or elsewhere, until twelve, then to take a lunch and a glass of wine at Delmonico’s; or a few raw oysters at Downing’s to sign checks and attend to the finances until half past one; to go on change; to return to the counting house, and remain until time to go to dinner, and in the old time, when such things as „packet nights“ existed, to stay down town until ten or eleven at night, and then go home and go to bed. 2
Vermutlich verbrachten die Geschäftsführer tagsüber nicht allzu viele Stunden in ihrem Kontor. Während sie sich bei Geschäftspartnern, Händlern oder Kunden aufhielten und Verträge aushandelten, kümmerten sich derweil die Buchhalter und Schreiber um die Bücher. Es war eine stille Arbeit. Nur ab und an kam ein Bote herein, um eine Nachricht, eine Order oder einen Vertrag zu überreichen. Wenn sich eine größere Lieferung ankündigte, weil vielleicht gerade ein Handelsschiff in den Hafen eingelaufen war oder eine reife Ernte ihre Abnehmer suchte, lebte das Kontor für ein paar Stunden auf. Dann übernahmen die Schreiber das Kopieren und Ablegen der Dokumente und die Buchhalter die Eintragung in das Tagesjournal. Genauigkeit und Akribie waren hier gefordert. Nur wer schreiben oder rechnen konnte und zudem über eine zuverlässige Natur verfügte, konnte sich im Kontor um eine Stelle bemühen. Fähigkeiten, die damals keine Selbstverständlichkeit waren, sondern nur auf eine kleine Minderheit zutrafen. Wenn man zu den Glücklichen zählte, konnte man sich über ein bescheidenes, aber regelmäßiges Einkommen freuen.
Abb. 3: Wells Fargo Express Office, San Francisco, 1867; Quelle: office museum
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