„Der Oberste der Balsamierer lässt noch fragen, ob es denn tatsächlich eine königliche Vorbereitung für die Ewigkeit sein soll.“
„Das hat er heute Mittag schon gefragt, obwohl ich klare Anweisungen gegeben hatte.“ Amenhoteps Stimme klang kalt und gebieterisch. „Sollte er noch einmal fragen, lasse ich ihm die Ohren abschneiden. Sag es ihm! Und du, Ani“, wie selbstverständlich legte er dem Freund die Hand auf die Schulter, „bist du bereit, für heute Abschied zu nehmen? Wenn dein Vater für die Ewigkeit vorbereitet ist, wirst du ihn wieder sehen. Und wie ein guter Sohn wirst du dann das Mundöffnungsritual an ihm vollziehen.“
„Einen Augenblick noch“, flehte Ani. „Ein Ehrenkuss noch. Ich werde ihn ja nie mehr wieder sehen …“
Gerade als sie das Einbalsamierungshaus verlassen wollten, kam ein dunkel gekleideter Mann aus einer der Nischen hervor und verbeugte sich tief.
„Ah, dich kenn ich“, schmunzelte Amenhotep nach kurzem Überlegen. „Du bist der Schatzmeister des Hauses, nicht wahr?“
„Hehehe“, mit falschem Lachen versuchte der Beamte, die Peinlichkeit zu umgehen. „Unsere Kasse ist so gut wie leer. Die Außenstände, du verstehst. Wir müssen aber neue Essenzen besorgen und Wachs und Leinenbinden werden auch knapp. Insbesondere die königlichen…“
„Ich verstehe.“ Ohne eine Miene zu verziehen, streifte Amenhotep einen der goldenen Reifen von seinem Arm. „Und die Begleichung durch die Staatskasse dauert dir zu lange, nicht wahr?“ Mit spitzen Fingern hielt er den Reifen in die Luft und ließ ihn schließlich in die begierig darunter gehaltenen Hände des Schatzmeisters fallen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließen der Prinz und sein Begleiter das Haus.
„Aber Amenhotep“, Ani war erschüttert über die Tatsache, dass selbst ein Prinz für alles bezahlen musste. Dachte er doch, dass der sich einfach nehmen könne, was immer er wollte. „Dein Armreif! Er war sicher ein Erinnerungsstück. Vielleicht sogar ein Geschenk.“
„Und ob“, lachte Amenhotep. „Von Sobekmose, dem Vorsteher des Schatzhauses.“ Und gleichgültig fügte er hinzu: „Ich werde mir gleich morgen einen neuen bei ihm holen.“
„Einfach so?“
Amenhotep zuckte mit den Schultern. „Natürlich einfach so.“
Schweigend fuhren sie im letzten Licht der Abendsonne den Kanal zurück. Ani war froh, der ungewohnten Kälte des Einbalsamierungshauses entkommen zu sein. Er spürte wie die warmen Strahlen der Sonne ihn zu liebkosen schienen; wie Hände, die sanft seine Haut streichelten, die Wärme und Leben brachten. Von irgendwo her glaubte er, leise Musik zu hören. Tatsächlich: Jemand spielte auf einer Harfe und sang leise eine Melodie dazu. Amenhotep deutete auf das Größte der Häuser, die vereinzelt an ihnen vorüberzogen. „Unsere Musikschule. Mein Vater liebt Tanz und Musik über alles. Stell dir vor, letztes Jahr hat er Aha, einen Lauten-Spieler, zum Oberhofmeister und Vorsteher der königlichen Musikschule gemacht. Das war vielleicht ein Gerede. Aber“, Amenhotep hob anerkennend den Finger, „Aha hat sich bewährt. Na, du wirst ihn ja bald kennen lernen. Er ist für die musikalische Unterhaltung bei Hofe zuständig und schenkt uns immer wieder wundervolle Abende. Vater hat ihn nämlich die besten Musiker des Landes hier in seiner Schule versammeln lassen, um diese Kunst auf neue Höhen zu heben.“
„Dein Vater ist ein wahrer Künstler“, sagte Ani beeindruckt. „Man wird sich auf alle Ewigkeit seiner erinnern. Und zwar nicht, weil er die Fremdländer mit Feuer und Schwert unterworfen hat, sondern weil er allerorten Schönheit und Kunst erblühen ließ. Er bringt den Menschen das Licht der Anmut.“
„Genau das ist er“, bestätigte Amenhotep nickend. „Ein Künstler. Aber die Widerstände sind nicht zu unterschätzen. Als er die Musikschule gegründet hatte, gab es großes Geschrei im ganzen Land. Es sei nur Tempeln gestattet, Musiker auf Dauer zu beschäftigen. Vater hat sich durchgesetzt.“
„Der Gute Gott ist mutig, stark und ewiglich strahlend.“
Amenhotep lachte. „Das ist er, wie Gott weiß. Sein zweiter Horusname lautet „Starker Stier, Herrscher der Herrscher“. Diesen Namen hat er sich also selbst in sein Lebensbuch geschrieben. Das verpflichtet. Aber meine Mutter hat ihn gezähmt. Sie bewegt in manches Mal zu konzilianterem Verhalten, als es meiner Meinung nach nötig wäre. Im Fall der Musikschule hat man sich spitzfindig einfallen lassen, dass der Palast ja genauso wie ein Tempel als heiliger Bezirk angesehen wird, er also auch über eigene Musiker verfügen können muss. Eine weitere große Niederlage für die Amun-Priester. Denn jetzt ist die Musik frei, außerhalb ihrer Kontrolle, mit der sie dieses verboten und jenes gestattet haben.“ Ani konnte die Freude darüber in Amenhoteps Gesicht deutlich sehen. „Thutmosis und ich hätten die Gelegenheit genutzt, um es auf ein endgültiges Kräftemessen mit der Amun-Priesterschaft ankommen zu lassen. Wir hätten sie vernichtet. So aber haben wir sie noch immer am Hals. Aber Thutmosis’ Zeit wird kommen. Und ich hoffe, dass er sie dann nutzen kann. Er ist manches Mal so wankelmütig und schwach …“ Amenhotep stockte und erschrak sich offenbar über seine eigenen Worte. „Ani, was ich eben gesagt habe, bleibt ungesagt, verstehst du? Ich werde meinem Vater gegenüber immer loyal sein. Und später einmal, in eine Million Mal eine Million Jahren, ebenso meinem Bruder. Ani, ich möchte, dass du bei mir bleibst, weil ich einen Freund brauche. Einen Freund, dem ich all das erzählen kann, was ich sonst niemandem zu sagen wage. Einen Freund der nicht Speichel leckt und kriecht, sondern mir ehrlich sagt, wenn ich seiner Meinung nach ungerecht bin oder in die Irre gehe. Und Ani – solltest du wem gegenüber auch immer je ein Wort darüber verlieren, was ich jetzt oder in Zukunft sage, so werde ich dir die Zunge herausschneiden, dir die Ohren mit flüssigem Blei verschließen und deine Augen mit glühenden Eisen ausstechen lassen. Also erspare mir und dir diese scheußliche Prozedur. Es bräche mir das Herz.“ Amenhotep lächelte.
„Ich werde versuchen, dir zu genügen“, sagte Ani ohne zu lächeln. „Du hast mir ein neues Leben voller Wohltaten geschenkt. Und so gehört es dir. Doch vielleicht bist du es, der mich fortschickt nach den siebzig Tagen … Mein Schweigen aber, das schwör ich dir.“
„Wer weiß“, Amenhoteps Miene hatte wieder jenen Ausdruck angenommen, den er üblicherweise außerhalb des Palastes aufsetzte. „Vielleicht schick ich dich ja wirklich wieder weg. Wir werden sehen …“ Mit einem Strahlen in der Stimme sagte er plötzlich: „Sieh nur, dort, Ani, dort in der Ferne! Das Haus der Millionen von Jahre, das mein Vater sich erbauen lässt, damit man sich auf alle Ewigkeit an ihn erinnern möge. Und schau nur, wie die versinkende Sonne den beiden Statuen am Eingang ihre letzten Strahlen schenkt. Von der anderen Seite des Nils, von Waset aus sieht man ihre Häupter von einem Strahlenkranz aus Sonnenlicht umgeben. Es ist wirkliche Magie. Dies sind die größten Statuen, die jemals aus Stein gehauen wurden. Sie allein werden auf alle Ewigkeit von Vaters Größe künden.“ Und obwohl sie weit entfernt am Rande des überschwemmten Fruchtlandes in den Himmel ragten, war Ani von ihrer schieren Größe überwältigt. Es musste wahrlich ein Gott sein, wer solches erbauen konnte. „Weißt du, Ani, wo ich nun schon einmal dabei bin, dir meine Geheimnisse anzuvertrauen … Mein Vater möchte, dass ich eines Tages Onkel Anen in seiner Führerschaft der Amun-Priester ablöse.“
„Oh“, entfuhr es Ani. Zwar hatte er keinerlei Vorstellung welche Art von Bedrohung die Amun-Priester darstellten, aber dass Amenhotep nicht gut auf sie zu sprechen war, hatte er inzwischen mehr als einmal mitbekommen. Zudem waren sie es gewesen ‑ und das brachte sein Blut in Wallung ‑, die seinen Vater erschlagen hatten.
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