„Also, wenn man mich fragen würde“, druckste Ani herum, „ich würde auf die Perücke lieber verzichten wollen.“
„Ohne Perücke? Mit kahl geschorenem Kopf?“ Schesehmu stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Das ist bei Hofe aber nicht üblich. Außer, man gehört zur Dienerschaft.“
„Es ist bestimmt unwahrscheinlich heiß unter solch einer Perücke“, gab Ani zu bedenken. „Und offen gestanden, ekelt es mich davor, die Haare anderer Menschen auf dem Kopf zu tragen.“
Amenhotep lachte laut. „Wollten wir nicht sowieso eine neue Mode kreieren? Die Landmann-Mode?“
So galt es dann als abgemacht, dass Ani die Perücke erspart blieb. Und selbst das drastische Rouge der Wangen musste Schesehmu wieder etwas abwischen, was er unter halblautem Klagen und Gezeter widerstrebend tat.
Zufrieden schaute Amenhotep Ani ins Gesicht. „Interessant“, nickte er schließlich. „Man wird über deine Aufmachung reden. Und nun los, der Mond geht gerade auf.“
Subira hatte Amenhotep mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedet sowie Ani noch einen frisch gepflückten Strauß mit Kornblumen in die Hand gedrückt, als sie Amenhoteps Wohnung verließen. Ani hatte erwartet, dass sie, so wie des Nachmittags, zu zweit durch die endlosen Flure, Innenhöfe und Räume toben würden, um auf die Dachterrasse des Pharao zu gelangen. Aber er sah sich getäuscht. Eine Sänfte mit vier Trägern und einem nubischen Fächerträger stand bereit und sollte sie - Amenhotep in der Sänfte, während Ani nebenher lief - in einer gemächlichen Prozession zum königlichen Appartement bringen. Es schien Ani eine Ewigkeit zu dauern, bis sie durch prächtig ausgeschmückte Flure geschritten waren, leere Säle durchschritten hatten, um endlich vor der Wohnung des Königs anzukommen. Zwei Bewaffnete standen vor der Türe, verneigten sich und öffneten sie ehrerbietig.
Ani sah sich abermals getäuscht, hatte er doch ein prächtiges Gemach voller Gold und Pretiosen erwartet. Doch das Appartement des Königs war ebenso schlicht und zweckdienlich eingerichtet wie das Gästezimmer, das ihm in Amenhoteps Wohnung zugeteilt worden war. Die Wandmalereien waren allerdings von einer derartigen Qualität und Detailgenauigkeit, dass es Ani schlicht den Atem verschlug. Am liebsten wäre er sofort hierhin und dorthin gelaufen, um jede der wirklichkeitsgetreuen Einzelheiten zu begutachten, die er bereits aus der Ferne entdecken konnte. Doch schon hörte er Rechmires Stimme, gerade als sie die Terrasse betreten wollten: „Prinz Amenhotep, die Frucht des Leibes der Großen Königlichen Gemahlin Teje und Sohn des Guten Gottes, er möge leben eine Million mal eine Million Jahre“. Zunächst küsste Amenhotep die Rechte seines Vaters und drückte sie anschließend an seine Stirn, dann gab er seiner Mutter einen ehrfürchtigen Kuss auf die Stirn, die aber darauf bestand, dass er sie auch auf die Wange küsste. Schließlich aber sprang er wie ein kleiner Bub auf eine alte, doch rüstige Frau zu, die auf einem goldenen Sessel thronte und ihn schon die ganze Zeit über angestrahlt hatte. Sie saß auf dem bei weitem prächtigsten Möbelstück in der ganzen Wohnung, wie Ani erstaunt feststellte. Stürmisch umarmte Amenhotep sie, was diese sich strahlend gefallen ließ und küsste immer wieder ihre Hände. Dies musste die Königsmutter Mutemwia sein, die neben Teje mächtigste Frau des Reiches, vermutete Ani. „Mein Liebling“, sagte sie mit einer von jahrelangem Hanfkonsum rauchigen Stimme, „mein Herz jubelt, dich wieder zu sehen. Du bist ja fast zum Mann geworden, in der Zeit meiner Krankheit. Wann kommst du mal wieder nach Achmim, um mich zu besuchen? Unsere Bildhauerwerkstatt ist eine Zierde für das ganze Reich. Ein ganz junger Bildhauer, kaum älter als du, vermag uns alle in Erstaunen zu versetzen. Er ist der Meister der wirklichkeitsnahen Wiedergabe. Du wirst seine Arbeit lieben!“ Schon hatte Amenhotep neben ihr Platz genommen und hielt zärtlich ihre Hand, als ob er fürchtete, sie könne jederzeit davonlaufen. Stumm stellte sich Ani hinter ihn und reichte ihm in einem unbeobachteten Augenblick den Kornblumenstrauß, den Amenhotep sogleich teilte, um die eine Hälfte seiner Mutter und die andere der Königsmutter Mutemwia zu übergeben. Seine Schwestern quittierten diese herzliche Geste mit gerührten Ahs und Ohs und selbst Pharao lächelte zufrieden. Ani sah sich um. Alle anderen Anwesenden, bis auf einen älteren Mann, der leicht versetzt hinter Sit-amun saß, hatte er schon anlässlich des gemeinsamen Mittagsmahls kennen gelernt. Nebet-tah lag in einer vergoldeten Wiege, die neben ihrer Mutter stand, und schlummerte friedlich. Henut-tau-nebu und Iset ließen kaum einen Blick von ihm und schmachteten ihn regelrecht an, was Ani ein wenig irritierte, denn er konnte nicht recht einschätzen, was überhaupt ihr Interesse hervorgerufen hatte: Der seltsame Schurz, der bunte Schmuckkragen, die fehlende Perücke oder gar er selbst. Währenddessen spielte Thutmosis geistesabwesend mit seiner Katze, die er auf dem Schoß hielt. „Ihr Mädchen“, sagte Pharao plötzlich, „was guckt ihr ständig nach Amenhoteps Diener hin? Ist es sein neuartiger Schmuckkragen oder sein perückenloses Haupt, was euch so fasziniert?“ Ani meinte einen Anklang von Eifersucht in der Stimme des Guten Gottes zu hören. „Seine ganze Erscheinung“, entgegnete Iset mit strahlenden Augen. „Ja, sieh doch nur“, pflichtete Henut-tau-nebu ihr bei, „wie edel einfache Bauern sein können!“ Ani war heilfroh, dass Rechmire gerade eben die letzten Gäste ankündigte und das Thema somit erledigt war: „Der Vorsteher der Pferde und Bruder der Großen königlichen Gemahlin, der ehrenwerte Eje mit seiner Gemahlin Tij und den Töchtern Nofretete und Mutnedjmet!“
Noch nie hatte Ani ein schöneres Menschenkind gesehen als die älteste Tochter des Vorstehers der Pferde. Und er hatte, so wahr er hier stand, an diesem sonderbaren Tag die schönsten Frauen und Mädchen des ganzen Landes gesehen. Nofretete, so musste er sogleich feststellen, trug ihren Namen wahrlich zu Recht. Denn er bedeutete nichts weiter als „Die Schöne ist gekommen“. Sie trat zu den anderen auf die Terrasse und genoss es sichtlich, dass sich alle an ihrer außergewöhnlichen Schönheit ergötzten. Nach den üblichen Begrüßungen – der Pharao küsste sie sogar auf die Stirn, was Teje mit einem leichten Kräuseln ihrer Brauen zur Kenntnis nahm - setzte sie sich seitlich hinter Thutmosis, der ihr gerade einmal halbwegs freundlich zunickte. Ani konnte sich an ihrer Erscheinung gar nicht satt sehen. Wie Amenhoteps Mutter Teje hatte sie eine natürliche, majestätische Ausstrahlung. Nur dass sie von einer derart perfekten Schönheit war, dass Ani fast glauben wollte, der von Großmutter Mutemwia soeben hoch gelobte Bildhauer in Achmim habe sie aus einem Block Rosenquarz geschlagen und von den Göttern zum Leben erwecken lassen. Nofretete bemerkte Anis Blicke, sah ihm ins Gesicht und lächelte kurz. Doch wie vollkommen anders war ihre jüngere Schwester! Ein dickliches, vorlautes Kind, das einen tiefschwarzen Zwerg mit sich führte, den es soeben erst von ihrem vollkommen in sie vernarrten Vater geschenkt bekommen hatte. „Heute erst ist er zusammen mit den wilden Bestien aus Nubien oder Punt oder woher auch immer bei uns angekommen. Ist er nicht niedlich?“, rief sie verzückt und klopfte dem kleinen, kaum ebenso großen Mann auf den Kopf. „Los, tanzen!“, plärrte sie ihn an, was er aber nicht verstand und sie nur aus traurigen Augen ansah. „Lass es gut sein“, meinte Tij, der man die Ähnlichkeit mit Mutnedjmet, ganz im Gegensatz zu Nofretete, deutlich ansah, so dass man sofort Mutter und Tochter in ihnen erkannte. „Er ist ja schon ganz durcheinander unser armer Däumling und muss erst einmal unsere Sprache lernen.“ Und an den Zwerg gewandt fuhr sie freundlich fort: „Nicht wahr? Du ganz müde. Viel Tanzen machen heute. Schwere Beine, nicht?“ Und an die Runde gerichtet, meinte sie schließlich. „Wenn er nur nicht so hässlich wäre, der kleine Wicht. Ich verrate aber nicht zu viel, wenn ich euch sage, dass er nicht überall so winzig ist. Meine Dienerin war vorhin regelrecht erschüttert, als sie ihn gebadet hat.“ Beifall heischend blickte sie in die Runde, strich aber schließlich ihr mit Goldfäden durchwirktes Kleid glatt, als sie merkte, dass niemand Lust verspürte, auf ihre Bemerkung weiter einzugehen. Amenhoteps Onkel Eje lächelte verlegen und versuchte das Thema zu wechseln, indem er Thutmosis nach seinen Fortschritten in den militärischen Disziplinen fragte. Unwillig und maulfaul murmelte der irgendetwas vor sich hin, was niemand so recht verstand.
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