Deshalb berichtete sie, wie sie im Alter von zehn Jahren an den Tempel verkauft worden war. Ihr Vater, ein Soldat, war in Ausübung seines Dienstes getötet worden. Obwohl sein Herr keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass sein Untergebener einen ehrenvollen Tod gestorben war, hatte seine Witwe nur eine Handvoll Münzen als Entschädigung erhalten. Das reichte nicht lange, um sich und die kleine Tochter zu ernähren.
Andana hatte begonnen, ihren Körper zu verkaufen. Doch als ihre Schönheit mit dem Alter geschwunden war, hatte sie nur noch die Möglichkeit gesehen, dasselbe mit ihrer Tochter zu tun oder diese als Dienerin zu verkaufen. Sie hatte sich für letzteres entschieden, nicht zuletzt, weil bekannt war, dass die meisten Priester im Tempel Amuns wenig Interesse an fleischlichen Genüssen hatten. Sie stellten den Dienst an ihrem Gott über alle körperlichen Bedürfnisse.
Merit berichtete von ihren täglichen Aufgaben. Es war kein schwerer Dienst. Sie hatte schon in jungen Jahren gelernt, für sich und ihre Mutter den Haushalt zu führen.
Shokar hatte sein Mahl beendet und drängte nun Merit zum Essen. Sie war nicht daran gewöhnt, vor einem Herrn zu essen, doch Shokar bestand darauf, dass sie es tat. Es war nicht zu übersehen, dass er Gefallen an ihr fand. Merits Herz begann zu klopfen. Würde er sie heute auf sein Lager holen? Es sah ganz danach aus.
Shokar wartete, bis Merit gegessen hatte. Dann sprach er sie an.
„Merit, ich will dich etwas fragen. Bitte antworte mir ehrlich.“
Merit sah ihn an. „Möchtest du heute Nacht hier bleiben oder möchtest du lieber gehen?“
Merit war erstaunt. Warum fragte er sie? Er musste doch nur befehlen und sie würde tun, was er verlangte.
„Es ist mir wichtig, dass dies deine freie Entscheidung ist“, fuhr er fort. „Ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht auch möchtest. Auch im Haus meines Vaters habe ich nie eine Dienerin gezwungen, bei mir zu liegen. Sie konnten sich immer frei entscheiden.“
Merit betrachtete ihn überrascht. Er hatte also doch schon Erfahrungen gemacht. Als er sie am ersten Abend weg schickte, hatte sie etwas anderes vermutet. Nach einer kleinen Pause erklärte sie ihm: „Ich möchte hier bleiben. Aber ich habe noch nie…“
Ihre Stimme geriet ins Stocken.
„Hab keine Angst. Ich werde sanft zu dir sein. Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst.“
Shokar sprach weiter zu ihr in ruhigen Worten, während er sie zu seinem Lager führte. Auch während er sie langsam entkleidete, sprach er weiter. Allmählich schwand der ängstliche Ausdruck aus Merits Gesicht. „Du bist so schön! Weißt du das?“
Sie sollte schön sein? Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Aber Shokar sagte es. Und er meinte dies auch. Sie konnte es an seiner Stimme hören.
Shokar schälte sich langsam aus seiner Tunika, gab ihr Zeit, sich an seinen Körper zu gewöhnen. Ihre Augen wurden rund, als sie ihn genau ansah.
„Das geschieht mit mir, wenn ich eine Frau sehe, die ich begehre.“ Seine sanfte Stimme verführte sie, versetzte sie in eine Traumwelt. Die Wirklichkeit um sie herum begann zu verblassen.
Shokar begann sie zu streicheln und ermutigte sie, das auch bei ihm zu tun. Er erklärte ihr, dass er zuerst eine kleine Barriere in ihrem Körper überwinden musste, bevor sie beide das Zusammensein genießen konnten. Deshalb würde es einen kurzen Schmerz geben, um sie zu öffnen.
Sein Streicheln versetzte Merit in eine Stimmung, in der sie bereit war, ihm alles zu gestatten, was er mit ihr tun wollte. Seine Worte zeigten, dass er sich um sie sorgte. Sie fühlte, wie ihr Streicheln auch seinen Körper in Aufruhr versetzte. Sie hatte nicht gewusst, dass eine Frau dies bei einem Mann erreichen konnte. Es war eine machtvolle Gabe.
Die Zeit verstrich, ohne dass es den beiden Menschen auf dem Lager gewahr wurde. Sie waren mit sich selbst beschäftigt und genossen ihr Zusammensein. Als Shokar schließlich in sie eindrang, war Merit gegen den Schmerz gewappnet. Er dauerte wirklich nur einen Augenblick.
Die Empfindungen, die danach kamen, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Während sie auf dem Gipfel der Extase dahin trieb, nahm sie wahr, dass auch Shokar sich in einem Rausch befand, genau wie sie. Sie sahen sich tief in die Augen und es ermöglichte ihnen, ihre Empfindungen zu teilen. Merit wusste nicht, ob Shokar das Gleiche empfand. Sie selbst hatte sich in ihn verliebt und es erschien ihr wie ein Wunder, dass ihr etwas Derartiges geschah.
Eng umschlungen schliefen sie den Rest der Nacht zusammen. Das Dröhnen des Gongs, das Shokar zum Unterricht rief, ließ sie erschrocken auffahren. Shokar streifte sich seine Tunika über, stopfte sich rasch etwas von den Überresten des Abendmahls in den Mund und spülte das Ganze mit einem langen Schluck aus dem Krug mit dem Wasser hinunter.
„Wir sehen uns heute Abend!“, rief er. Dann stürzte er zur Tür hinaus.
Merit war beschämt. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihm ein frisches Morgenmahl zu bringen und das rechtzeitig, damit er ohne Hast den Tag beginnen konnte. Sie wusste doch, wie sehr die Priester Eile verabscheuten.
Was noch schlimmer war, Shokar hatte nicht ausreichend essen können. Nun musste er bis zum Mittag ausharren, bis er etwas zu sich nehmen konnte und auch das würde nicht viel sein. Wegen der Hitze gab es mittags nur wenig zu essen. Das Hauptmahl des Tages gab es abends.
Merits Blick wanderte zum Krug. Er sollte immer mit frischem, kühlem Wasser gefüllt sein. Sie erhob sich, um selbst einen Schluck zu trinken. Dabei verzog sie das Gesicht. Völlig schal und abgestanden! Wie hatte Shokar das nur trinken können?
Shokar … Ihre Gedanken gerieten ins Träumen. Er hatte Gefühle in ihr erweckt, von denen sie niemals geglaubt hätte, dass diese in ihr ruhen würden. Er hatte erreicht, dass sie sich nicht wie eine Dienerin gefühlt hatte, als er all diese wunderbaren Dinge mit ihr getan hatte.
„Merit, bist du da drin?“ Die Stimme von Noala unterbrach ihre Tagträume. „Komm mit uns, wir wollen endlich unser Morgenmahl haben.“
Es war üblich, dass die Dienerinnen, nachdem ihre Herren gegangen waren, die Reste des Frühstücks für sich nutzten. Dazu gingen sie zu ihrer Kochstelle. Kein Priester würde sich herablassen, dort zu erscheinen. Deshalb blieben die Dienerinnen dort ungestört.
Hastig zog sich Merit an, griff nach dem Tablett und eilte zur Tür hinaus. Noala und Bessara musterten erst sie, dann das Tablett, das nicht nach Frühstück aussah. Dann sahen sich beide an und nickten bedeutungsvoll. Anschließend begannen sie zu grinsen.
„Was ist los?“, wollte Merit wissen, während sie versuchte, zu verbergen, was in ihr vorging.
„Du hast so ein Leuchten in den Augen.“ Es war unmöglich, vor Noala etwas geheim zu halten.
„Hat dich Shokar nun doch auf sein Lager geholt? Natürlich hat er das. Schau nur, Bessara, wie sie strahlt. Du musst uns alles erzählen. Wie war er? Hat er dir Freude bereitet? So wie du aussiehst, hat er nicht nur an sich selbst gedacht. Manche Männer tun das nämlich.“
Mit einem Seitenblick zu Bessara verstummte Noala plötzlich. Das war nicht sehr taktvoll gewesen, wenn man bedachte, wie Kerlak Bessara behandelte.
Merit schaute kurz zu Bessara hinüber und erkannte neue blaue Male auf ihren Armen. Arme Bessara! Während sie, Merit, zum ersten Mal die Freuden des körperlichen Zusammenseins genossen hatte, war Bessara wieder gequält worden. Schuldbewusst senkte sie ihren Blick.
Bessara richtete das Wort an sie: „Hör mal, du kannst nichts dafür. Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe. Es ist nur, ich fühle mich so hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Du warst nur der letzte Tropfen, der den Krug zum Überlaufen brachte Dann habe ich alles herausgelassen, was in mir am Kochen war. Verzeihst du mir?“
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