1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Merit setzte ihr Tablett auf den Boden, lief zu Bessara und umarmte sie. Die drei Mädchen hatten nur sich selbst, um sich umeinander zu kümmern. Niemand sonst hatte bisher Interesse an ihnen gezeigt. Ob es ihnen gut ging, ob sie Sorgen hatten, das schien bisher niemanden zu interessieren. Deshalb redeten sie viel miteinander und teilten ihre Gedanken.
Auch wenn sie einmal ärgerlich aufeinander waren, versuchten sie immer rasch, sich wieder zu vertragen. Sie waren Freundinnen, sie waren wie eine Familie.
Merit konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass sie über alles berichten würde, was in der letzten Nacht geschehen war. Schon bei dem Gedanken daran wurde sie rot im Gesicht.
An der Kochstelle ließen sich die Mädchen nieder und Bessara und Noala teilten ihr restliches Morgenmahl mit Merit, weil diese doch keine Zeit gehabt hatte, selbst eines zu richten. Merit sah mit einem Stirnrunzeln im Gesicht, dass ihre Freundinnen schon wieder grinsten. Nun erwarteten sie einen Bericht.
In dem Bestreben, möglichst wenig zu erzählen, gelangte Merit von einer Verlegenheit in die andere. Bessara und Noala bemerkten dies und drangen nicht weiter in sie.
Stattdessen begann Noala zu erzählen, wie es ihr mit Farik erging. Auch Noala erzählte nicht alles, das wusste Merit nach den Erfahrungen der letzten Nacht. Noala konnte dennoch ausdrücken, dass sie Farik zugetan war.
Merit lernte dadurch, wie sie ihre Worte in ähnlicher Weise wählen konnte. Das was im Inneren in ihr vorging, konnte sie als Geheimnis bewahren, es war ihr größter Schatz.
Als Stephen am nächsten Samstag erschien, strahlte er über das ganze Gesicht, während er am Eingang stand
„Also hattest du eine gute Woche, vermute ich.“ Kayla lächelte. Stephen strahlte noch mehr.
„Es war einfach großartig! Wir hatten so viel zu tun, weil ich zwei Wochen weg war. Das hielt uns alle beschäftigt. Und alle waren so freundlich. Ich fühlte, dass ich das Richtige machte. So wollte ich es haben.“
Sie gingen in Kaylas kleines Wohnzimmer. Der Tee stand schon dort.
Kayla sah ihm in die Augen. „Weißt du, warum alles so perfekt gelaufen ist?“
„Vielleicht wegen der Meditation, die ich letzte Woche gemacht habe. Ich hatte den Wunsch, eine wundervolle Woche zu haben.“
„Ja, aber konntest du fühlen, was es mit dir gemacht hat?“ Stephen war sich nicht sicher, was Kayla von ihm hören wollte.
Sie half ihm. „Du hast Energie in deinen Wunsch gelenkt. Du hast dich auf deinen Wunsch konzentriert. Deshalb hast du diese wundervolle Woche geschaffen. Du hast das ganz allein getan.“
„Also muss ich mir nur etwas wünschen und dann bekomme ich es? Das kann nicht sein. Wie oft habe ich mir etwas gewünscht und es dann nicht bekommen. Was ist der Trick dabei?“
Kayla lachte. „Nun, es gibt ein paar Regeln, wenn man sich etwas wünscht. Erstens kannst du dir Dinge wünschen, die du selber erschaffen kannst mit deiner Energie. Du hast das vergangene Woche getan. Zweitens, du kannst dir nicht wünschen, im Lotto zu gewinnen und dann darauf warten, bis du das Geld bekommst. Wenn es nicht vorgesehen ist, dass du gewinnst, weil es nicht gut für dich wäre, dann wirst du nicht gewinnen. Drittens, wünsche dir niemals, dass jemand anderes etwas für dich tun soll. Andere Personen haben ihren eigenen freien Willen. Sie müssen nicht tun, was du von ihnen möchtest. Du wirst lernen, die besten Wünsche für dich zu finden.“
„Warte mal, hab ich das richtig verstanden? Ich kann mir nichts wünschen, was nicht richtig für mich wäre? Aber woher weiß ich, was richtig ist?“ Stephen war irritiert.
„Du kannst dir nichts wünschen, wenn andere daran einen Teil übernehmen sollen. Wie bist du Schauspieler geworden? Ich vermute, du hast dein Bestes gegeben und deshalb haben andere Leute dir geholfen, weiter zu kommen. Zuerst gab es deine Energie. Sie hat dich in die richtige Richtung gelenkt. Aber du musstest warten, bis andere Menschen dir eine Chance gegeben haben, weil sie dein Talent erkannt haben. Du hast sie nicht gezwungen, so zu entscheiden.“
„Das ist richtig. Ich erinnere mich. Ich war so voller Freude und Stolz, als ich meine erste Rolle erhalten habe.“
„Und du bist von einer Energiewelle getragen worden, weil du diese Freude verspürt hast, stimmt’s?“, fuhr Kayla fort.
„Ja!“ Stephen war erstaunt. „Woher weißt du das? Es war so einfach, meine Rolle zu spielen. Ich hab mich gefühlt, als ob ich auf einer Welle reite. Es hat überhaupt keine Mühe gekostet, das zu spielen, was man von mir verlangt hat.“
„Das ist ein energetisches Gesetz. Die Energie fließt, wohin deine Gedanken sie trägt.“
Stephen war für eine Weile still und so beendeten sie schweigend ihre Teezeit. Das war das Gute an Kayla. Man musste nicht die ganze Zeit reden, nur um sie zu unterhalten. Sie konnte warten, wenn man sich über etwas Gedanken machte.
Sie erinnerte ihn an seine Mutter. Stephen und seine Mutter hatten oft schweigend nebeneinander gearbeitet, wenn sie etwas in ihrem Haushalt erledigt hatten, ohne die Notwendigkeit, etwas zu sagen. Irgendwie fühlte er sich bei Kayla wie zu Hause.
Nach einer Weile begann er wieder zu sprechen. „Kayla, letzte Woche hast du etwas gesagt, über das ich dauernd nachdenken muss. Du glaubst, dass du schon mehrmals zuvor gelebt hast. Woher weißt du das?“
Kayla konnte sehen, dass ihn das Thema wirklich beschäftigte. „Ich hab es in Meditationen herausgefunden. Man nennt es Rückerinnerung.“
„Kann ich das auch lernen? Vielleicht habe ich auch schon mehrmals gelebt. Dann würde ich es gern wissen, auch wenn ich es mir noch nicht recht vorstellen kann. Ich meine, ich müsste doch irgendeine Ahnung haben, oder so.“
Stephen sah sie fragend an. Kayla zögerte einen Moment. Sie wusste, dass Stephen dies bemerkte. Doch weder sie noch Stephen waren im Augenblick bereit dafür, auch wenn Stephen das noch nicht wissen konnte.
Er sah sie noch immer erwartungsvoll an. Sie versuchte ein unbeteiligtes Gesicht zu wahren, während in ihrem Inneren mehrere Gefühle im Widerstreit lagen. Wenn er das wirklich wollte, dann sollte es wohl so sein. Es ging hier nicht nur um sie selbst.
„Nun, vielleicht später“, meinte sie schließlich. „Zuerst musst du einige Techniken kennen. Wir werden einen Schritt nach dem anderen machen.“
Stephen sah enttäuscht aus.
„Hör zu, Stephen. Es gibt dafür keine Abkürzung. Es ist wie das Alphabet lernen, bevor du ein Buch liest. Du musst geduldig sein. Kannst du das?“
Stephen fühlte ihren aufmerksamen Blick und gab nach. „Also gut, wir machen es wie du sagst. Also, was kommt als nächstes? Eine Meditation, oder möchtest du, dass ich dir etwas im Haus helfe. Das ist ein Teil unserer Abmachung.“
„Ich freue mich, dass du nicht vergessen hast, was ich über Ausgleich von Energien gesagt habe. Also, wir werden jetzt erst eine Meditation machen. Danach kannst du mir im Garten helfen, bevor du gehst.“
„Wir beginnen mit dem Atmen.“
Stephen seufzte. Hatte er das nicht schon auf der Parkbank gelernt? Aber er sagte nichts. Er hatte versprochen, es richtig zu machen.
„Wir werden das immer wieder tun, in jeder Meditation.“ Kayla sprach sanft zu ihm. „Es ist dein Schlüssel für alles, was danach kommt.“
In den kommenden Wochen lernte Stephen die Grundlagen der Meditation. Nach einiger Zeit musste er bestimmte Meditationen allein durchführen, während Kayla ihn beobachtete. Sie wusste immer, wenn er sich nicht konzentrieren konnte, oder seine Gedanken vom Thema abglitten. Stephen wunderte sich oft, wie sie das herausfand, aber sie wollte es ihm nicht sagen.
Konnte es sein, dass sie hellsichtig war? Vielleicht war sie ein Medium. Oder steckte da noch mehr dahinter? Er versuchte immer noch, es herauszukriegen. Aber wer glaubt schon an Hexen? Stephen staunte selbst über seine Gedanken. Noch vor wenigen Wochen, bevor er Kayla kennengelernt hatte, wäre er nie auf derartige Ideen gekommen.
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