Nichts ist in Ordnung.
Es gibt keine erklärbare Ursache für das Geschehen in meinem Körper. Mein Blutbild ist in Ordnung. Alle Werte liegen im Normbereich. Alles ist gut! Es findet sich kein Hinweis und es gibt keine Erklärung für das Geschehen in meinem Körper.
Nichts ist gut.
Eine auf dem Röntgenbild sichtbare fleckige Knochenentkalkung findet sich eher selten. Nur bei wenigen der Erkrankten kommt es zur Knochenentkalkung. Meist erst nach Wochen oder Monaten oder Jahren, oder nie.
Die Krankheit verläuft in der Regel ohne Fieberschübe. Die äußerst schmerzhaften einhergehenden spastischen Verkrampfungen sind unerklärlich. Hilfe, mein Fuß dreht sich. Das tut mir weh!
Ich kann meinen Fuß nicht mehr berühren. Es tut so weh. Es gibt keinen Grund warum die betroffenen Gliedmaßen so extrem reagieren. Mein Fuß ist eisig kalt, obwohl die Sonne scheint und ich bequem bei 30 Grad auf dem Gartenstuhl im Freien sitze. Diese massiven, oft stundenlangen immer wieder auftretenden Durchblutungsstörungen sind genauso rätselhaft.
Bis heute.
Die Ursache der Krankheit konnte bis heute nicht gefunden werden.
Punkt.
Eine eindeutige Medikamentenempfehlung gibt es deshalb nicht.
Bis heute.
Genauso wenig gibt es eine einheitliche Therapieempfehlung die bei jedem Erkrankten gut anschlägt. Jeder Patient reagiert anders und jeder Patient benötigt eine individuelle Langzeittherapie.
Bis heute.
Und genauso wenig gibt es eine klare Prognose für CRPS. Bis heute.
Vergeblich sucht man die Anerkennung für CRPS bei den Behörden, den Gutachtern, den Krankenkassen, den Ärzten und vor Gericht. Bis heute.
Vergeblich sucht man Gerechtigkeit. Punkt.
Die meisten Freunde haben oder hatten kein Verständnis für den unsichtbaren Gegner in mir. Sie haben das Interesse an mir längst verloren. Sie finden keine Worte mehr. Sie haben keine Fragen mehr. Und sie brauchen keine Antwort mehr. Das ist traurig, sehr sogar.
Sie haben sich verabschiedet ohne sich zu verabschieden. Diese Erfahrung begleitet mich bis heute. Immer wieder. Immer noch. Auf Wiedersehen, obwohl wir uns nicht wiedersehen werden…
Vermutlich bin ich zu langweilig geworden. Die Geduld der Anderen ist vorbei. Man sieht mir die Krankheit nicht an.
Ich gebe mir Mühe die guten Stunden am Tag auch gut zu nutzen. Ich gebe mir wirklich große Mühe. Leider zeigen so viele Freunde und Bekannte weder Mitgefühl noch Respekt. Sie haben kein Verständnis dafür. Sie können sich das Geschehen in mir nicht vorstellen. Und Sie wollen es sich nicht vorstellen. Sie fragen nicht einmal. Das ist besonders traurig. Das macht mich traurig.
Ich bin tief verletzt. Ja, tief verletzt.
Bis heute bleibt es ein einziger Kampf. Das Feuer und die Eisblitze toben in mir, jeden Tag. Ein Albtraum aus dem es kein Erwachen gibt. Schlafe ich noch?
Eine chronische Erkrankung, bei der es einen Anfang aber kein Ende gibt. Ich sage dazu nur ein einziges Wort:
„Lebenslänglich“.
Und das ist ein Leben lang. Bis heute. Hand in Hand ein Leben lang. Jeder Schritt schmerzt, jede Bewegung tut weh und niemand hilft. Ich gebe nicht auf. Man darf nicht aufgeben. Niemand darf das.
Nie! Niemals!
Die Hoffnung bleibt.
Energie geht nicht verloren.
Dornröschen schläft…
und
Tränen tropfen leise…
Es ist Anfang Dezember 2014. Bald ist Weihnachten. Wir werden, wie jedes Jahr, einen Christbaum aufstellen und mit bunten Glaskugeln und glitzernden Girlanden schmücken. Wir werden, wie jedes Jahr, einen Gänsebraten in der Röhre brutzeln. Und wir werden am 24. Dezember, wie jedes Jahr, den Braten gemeinsam mit der Familie am Abend verspeisen. Wir werden danach Geschenke verteilen und im Wohnzimmer gemütlich zusammen sitzen. Wir werden selbstgebackene Plätzchen essen und einen Glühwein trinken. Die Männer trinken Bier, wie jedes Jahr. So ist der Brauch.
Bevor ich Ihnen mehr erzähle will ich Ihnen verraten, wer wir sind. Wir sind eine ganz normale Familie und wir sind ein gutes Team. Mein Mann Reinhard und ich sind nun schon über 28 Jahre glücklich verheiratet. Ich bin die Cordula. Wir haben zwei gesunde Kinder, welch Glück. Ich liebe sie. Katharina ist jetzt 26 Jahre alt und Alexander 22 Jahre jung.
Und wir hatten so viele wunderschöne Jahre. Tolle Jahre, viele Ideen und Ziele, viele Feiern und Feste, viele Reisen, viel Spaß und was sonst noch so alles dazu gehört. Wir haben ein Haus gebaut. Und dafür haben wir gebloggert, gerne gebloggert (das bedeutet: wir haben gerne dafür hart gearbeitet). Wir haben uns Kinder gewünscht und „Hurra“ wir haben zwei wunderbare gesunde Kinder bekommen. Dafür danke ich Gott. Wir wollten eine Familie gründen. Ja, das war unser gemeinsamer allergrößter Wunsch. Wir haben eine Familie gegründet und wir waren eine glückliche Familie.
Wir sind natürlich immer noch eine Familie, nur das Glück ist nicht mehr unser ständiger Begleiter. Andere Begleiter sind an diese Stelle getreten: die Angst, das Hoffen, das Warten, die Geduld, die Wut und der Ehrgeiz. Das ist nicht einfach, nicht einfach für mich und nicht einfach für meine Familie. Für uns alle bedeutet das eine sehr, sehr anstrengende Zeit. Die wunderbare unbeschwerte Zeit liegt hinter uns. Aber das werde ich zum Glück nie vergessen.
Wir leben etwas außerhalb am Stadtrand von Münchberg, in einem ruhigen Wohngebiet. Der Wald und die Felder liegen nur wenige Meter von unserem Haus entfernt. Wir wohnen im „Grünen“. Hier ist es ruhig. Alles scheint perfekt.
Und zu uns gehört unsere Hündin „Lilly“, seit Mai 2011. Und das nur weil Dr. Greim mir 2011 den Rat gab: „Frau Hübner ein neuer Hund muss her, und zwar schnell. Holen Sie sich einen neuen Gefährten, Sie brauchen einen. Sie brauchen wieder eine Aufgabe. Sie brauchen wieder Leben und Spaß am Tag, gerade wenn Sie alleine zu Hause sind. Gerade dann wenn Ihr Mann in der Arbeit ist oder Ihre Kinder an der Uni sind. Sie brauchen einen Partner an Ihrer Seite.“
Dr. Greim wusste von mir, dass unser vorheriger Hund „Rocky“ gleich zu Beginn meiner Krankheit gestorben war. Deshalb war ich damals sehr traurig gewesen. So kamen damals zu meinem eigenen Schmerz die Trauer und das Alleinsein dazu. Unser Rocky starb am 3. Februar 2011.
Das werde ich nie vergessen. Rocky starb ganz langsam, jeden Tag ein wenig mehr, jeden Tag ein wenig schlimmer. In dieser Zeit lag er immer an meiner Seite, jeden Tag, jede Stunde. Es waren so viele Stunden, unendlich lange Stunden bis zum Schluss.
Rocky starb einige Wochen lang, genauer gesagt fünf lange Wochen, und ich konnte nichts für ihn tun, gar nichts. Manchmal konnte ich ihn nicht einmal rechtzeitig in den Garten hinaus lassen, weil ich selbst nicht aufstehen konnte. Er erbrach neben mir. Er röchelte zum Schluss nur noch und meine Hand streichelte sein struppiges Fell. Mehr konnte ich nicht tun. Ich konnte nur da sein und zusehen, mehr nicht. Ich wurde sehr traurig. Das war eine lange schlimme Zeit.
Als Rocky tot war hatte ich niemanden mehr an meiner Seite.
Nur die Stille hatte mehr Platz bekommen. Kein Laut war zu hören. So viele Stunden der Stille. Viel zu viele. Zu viele. Auch das werde ich nie vergessen.
Als mir damals Dr. Greim den Ratschlag gab wieder einen Hund an meine Seite zu lassen überlegte ich es mir gut. Und ich entschloss mich für einen Hund. Auch meine Familie fand meinen Entschluss gut. Meine Katharina setzte sich sofort über das Internet mit einigen Züchtern in Verbindung. Und so kamen wir dann, nachdem wir uns bei verschiedenen Züchtern umgesehen hatten, zu der wohl besten Entscheidung seit langer Zeit.
Wir hatten unsere „Lilly“ gefunden.
Hier ist Lilly gerade acht Wochen alt.
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