Als sie alleine war, fiel es ihr erstmals schwer, sich zu entscheiden, wo sie anfangen sollte.
Sie entschied sich dafür, zunächst in dem kleinen Büro mit ihrer Suche zu beginnen. Der zierliche Schreibtisch schien ordentlich und aufgeräumt zu sein, und zu ihrer Überraschung waren alle Schubladen unverschlossen. Sie wühlte in den darin gelagerten Papieren und konnte nichts entdecken, was ihr verdächtig oder ungewöhnlich vorkam. Überwiegend handelte es sich um kirchliche Unterlagen, Entwürfe von Predigten, Bibelstellen, Liedvorschläge für die verschiedenen Messen, Namenslisten von Kommunionkindern und Katecheten, Protokolle von Sitzungen des Pfarrgemeinderates und so weiter. Alles erschien ihr ohne großen Belang über das Berufliche hinaus zu sein. Nichts davon schien auch nur einen entfernten Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Ableben des Pfarrers zu enthalten. Dennoch versuchte sie sich zu merken, welche Unterlagen hier gelagert wurden, um zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht darauf zurückgreifen zu können.
In einer anderen Schublade fand sie persönliche Dinge: Mitgliedsausweis des Tennisvereins, Beitragsquittungen und ... Bankunterlagen und Kontoauszüge!
Bereits ein kurzer Blick in die Kontounterlagen war enttäuschend. Keine außergewöhnlichen Kontobewegungen, keine großen Summen. Dennoch legte sie zwei Stapel Auszüge beiseite, um sie später ordentlich einzutüten.
Insgesamt erschienen ihr die Schubladen eher unergiebig.
Den mitten auf dem Schreibtisch stehenden Laptop hatte sie bisher ungeprüft gelassen. Nun klappte sie ihn auf und schaltete ihn ein. Dazu setzte sie sich auf den bequemen Bürodrehstuhl und wartete geduldig, dass der Rechner startete und das Betriebssystem hochfuhr. Ihre Befürchtung bestätigte sich, als der Startprozess abgeschlossen war und das Betriebssystem die Eingabe eines Passworts verlangte.
Na toll! Wieder mal was für Schmuddel. Hoffentlich bekommt er das Passwort geknackt.
Sie klappte den Laptop wieder zu und nahm sich vor, ihn mitzunehmen und später Schmuddel auszuhändigen.
An einer Seite des kleinen Büros befand sich noch eine Bücherwand. Da es keine anderen zu durchsuchender Behältnisse gab, sie in der folgenden Viertelstunde jedes Buch aus dem Regal und sah nach, ob eventuell darin oder dahinter etwas versteckt war. Frustriert schob sie zum Ende ihrer Durchsicht das letzte Buch wieder hinein, legte die Kontoauszüge auf den Laptop und wandte sich dem nächsten Zimmer zu - dem Schlafraum des Pfarrers.
Ihr erster Eindruck war, dass dieser Raum einen unordentlichen und ungepflegten Eindruck machte. Warum ist das wohl so? Wofür hat er eine Haushälterin, die doch für Ordnung und Sauberkeit sorgen sollte?, fragte sie sich verwundert. Das Zimmer enthielt nichts außer einem recht großen Bett, einem Kleiderschrank und einem Nachttisch neben dem Kopfende des Bettes. Der Boden des Zimmers bestand aus alten Dielen, auf denen ein billiger und abgewetzter Teppich lag.
Das Bett war zwar gemacht, aber es sah nicht so aus, als habe es jemand gemacht, der das gut konnte.
Wenn das die Haushälterin war, ist sie keinen Cent ihres Gehalts wert. Oder aber – ihr schoss ein Gedanke durch den Kopf. Was, wenn die Haushälterin nicht nur dieses Bett nicht gemacht hatte, sondern es sogar gar nicht machen durfte ? Was, wenn der Pfarrer ihr verboten hatte, dieses Zimmer zu betreten? Das gesamte Erscheinungsbild des Raumes sprach dafür.
Das wiederum weckte die Hoffnung, dass sie hier eher etwas finden würde, als in jedem anderen Raum des Hauses. Natürlich ... wenn ich etwas verstecken wollte, bestand aufgrund der Haushälterin überall die Gefahr, sie könnte etwas beim Saubermachen entdecken, selbst ohne gezielt danach auf die Suche zu gehen.
Irina nahm sich vor, dieses Zimmer mit besonderer Sorgfalt zu durchsuchen.
Der Kleiderschrank erbrachte nichts, aber der Nachttisch erwies sich als Schatzkammer ... wenn man es denn so bezeichnen wollte. Bereits in der Schublade entdeckte Irina Visitenkarten verschiedener Hostessenservices und spezieller Damen des ältesten Gewerbes der Welt. Hierbei handelte es sich allerdings um sehr spezielle Damen. In der Hand hielt sie verschiedene Karten mit dunkler Grundfarbe und roter oder violetter Schrift und jeweils dem Bild einer ›Dame‹, die sich als ›Madame eXtreme‹, ›Frau Dr. SeX‹ und ›Chantalle brutal‹ selbst anpriesen. Irina legte die Karten oben auf den Nachttisch. Ansonsten enthielt die Schublade Ölfläschchen, Tempotaschentücher und ... hochglanzpolierte, metallenen Wäscheklammern ähnelnde Dinger mit feinen Ketten daran.
Sie war sich aufgrund ihrer früheren Tätigkeit bei der Sitte, von der sie zur MK II gewechselt war, darüber im Klaren, was diese Utensilien bedeuteten.
Es hätte des Stapels von Pornoheften im unteren Teil des Nachttisches nicht bedurft, um ihr klarzumachen, dass der Pfarrer eine sexuelle Vorliebe für Dominas, Bondage, also Fesselungsspiele, und diverse andere Praktiken des als Sado-Maso bezeichneten Bereichs der Sexualpraktiken gepflegt hatte. Ihre Gefühle wechselten zwischen Zufriedenheit darüber, etwas gefunden zu haben, und Enttäuschung, dass Geistliche eben doch nur Menschen wie alle anderen waren. Sie mochte sich nicht vorstellen, dass Pfarrer Bock die Köpfe von Kommunionkindern mit Händen gestreichelt hatte, die des Nachts ganz anderen Tätigkeiten nachgingen.
Angewidert legte sie den Stapel Hefte auf das so schlecht gemachte Bett.
Das Bett! Irina fiel ein, dass sie es auch noch einer genaueren Untersuchung unterziehen musste. Also legte sie die Hefte auf den Nachttisch und begann, das Bett auseinanderzunehmen. Bereits vor Beginn der Durchsuchung hatte sie dünne, weiße Stoffhandschuhe angezogen, die sie den Latex-Chirurgenhandschuhen vorzog, die viele Kollegen bei Durchsuchungen anzogen. Sie hasste es, wenn sie nach einer zweistündigen Durchsuchung Waschhaut an den Fingern hatte. Mit ihren Handschuhen hatte sie keine Probleme, in fremden Betten zu wühlen, eklige Taschentücher einzutüten oder in Ritzen zu fühlen, ohne zu wissen, was sie darin ertasten könnte.
Sie zog die Bettdecke ab, tastete das Innenleben ab und warf beides danach im hohen Bogen in eine Ecke des Zimmers. Dann zog sie den Bettbezug ab und untersuchte die Matratze. Zunächst hob sie das ziemlich durchgelegene und von Flecken zweifelhafter Herkunft übersäte Teil an einer Ecke an und schaute darunter. Es befand sich kein Lattenrost unter der Matratze, sondern ein aus Drähten und Sprungfedern bestehendes Geflecht, wie sie es sonst nur noch aus Besuchen in der Heimat ihrer Eltern in Russland kannte.
Hier war es unmöglich etwas zu verstecken, denn man konnte durch das Drahtgeflecht bis auf den von zahllosen Staubflusen bedeckten Boden sehen.
Verdammt! Enttäuscht warf sie die Matratze über das Bett hinaus, so dass sie mit der Unterseite nach oben hinter dem Bettrahmen liegenblieb.
Erst jetzt fiel ihr an der Unterseite der Matratze etwas auf, was dort nicht hinzugehören schien. Was sollte ein Reißverschluss quer über den unteren Teil für einen Sinn haben?
Irina ging um das Bett herum und betrachtete den Reißverschluss. Er war von jemandem eingenäht worden, der das Nähen nicht wirklich beherrscht hatte. Ohne zu zögern, zog sie ihn auf ... und verstand zunächst nicht, was sie dort sah. In einer Aushöhlung, die in die Matratze geschnitten war, lag ein kleines Paket in der Größe von zwei oder drei Taschenbüchern, das so dick in Klarsichtfolie eingewickelt war, dass der Inhalt nicht erkennbar war. Sie entnahm das Päckchen seinem Versteck und wickelte es vorsichtig aus.
Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und sie stieß einen überraschten Pfiff aus, als sie entdeckte, was ihr beim Auspacken entgegenfiel: Es handelte sich um mehrere dicke Bündel Geldscheine.
Читать дальше