MacLugllun lächelte.
"Das glaube ich sofort, nachdem ich Sie nun kennen gelernt habe. Aber ganz allein - Douglas hat mir erzählt, daß Sie Witwer sind - so ganz allein ist es doch auch nichts. Ich selbst habe zwar nie geheiratet, da ich während meines Berufslebens nie Gelegenheit dazu hatte, aber jetzt bin ich doch froh, daß mir meine Schwester den Haushalt führt."
Das Thema gefiel mir nicht, aber bevor ich etwas anderes anschneiden konnte, kam mir Douglas zuvor. Er hob seine Augen in gespielter Verzückung zur Decke.
"Das ist glattes Understatement, Amos. Nahomee pflegt die beste cornische Küche weit und breit. Sie könnte bestimmt sofort in einem Fünf-Sterne-Hotel anfangen, schwöre ich dir."
MacLugllun lächelte voller Stolz.
"Douglas sagte, daß Sie morgen leider schon wieder abfahren müssen, Amos. Aber wenn Sie das nächste Mal hierher kommen - und das ist hoffentlich bald! - dann müssen Sie unbedingt zu uns zum Dinner kommen. Nahomee wird glücklich sein, für Sie - und natürlich auch Dich, Doug, alter Vielfraß! - kochen und ihre Künste zeigen zu können."
Wir mußten alle lachen. Ich bedankte mich. Für eine Weile drehte sich die Unterhaltung jetzt um Lokale in der Gegend, die mir nichts sagten. Auch wenn seine Schwester - ich mußte mal rauskriegen, woher diese merkwürdigen Vornamen Nahood und Nahomee stammten, ging mir durch den Kopf - eine so vorzügliche Köchin war, wie die beiden behaupteten, so kam Nahood doch offenbar ganz gut rum. Er kannte sogar Lokale, von denen Douglas noch nichts gehört hatte. Und das wollte etwas heißen, denn entgegen Nahoods wohl witzig gemeinter Bemerkung war mein Freund ein Gourmet und kein Gourmand. Ich betrachtete die weiß-blauen andalusischen Kacheln, mit denen Douglas den Fußboden ausgekleidet hatte, ließ meinen Blick hoch zu seinen diversen impressionistischen und abstrakten Gemälden schweifen, mit denen er scheinbar willkürlich die Wände vollgehängt hatte und schaute schließlich hinaus in die Dunkelheit. Meine Gedanken begannen zu wandern.
Offenbar schienen die beiden meine geistige Abwesenheit bemerkt zu haben, denn MacLugllun sprach mich plötzlich unvermittelt an.
"Sie malen nicht auch zufällig, Amos? Douglas hat zwar nicht davon erwähnt, aber das besagt nicht viel."
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
"Nein, ich habe keinerlei künstlerische Veranlagung und schon gar kein Talent zum Malen oder Zeichnen."
Douglas winkte energisch ab.
"So macht er das immer. Er meint dann, bescheiden zu sein, aber ich finde, er kokettiert damit. Talent zum Zeichnen hast du vielleicht nicht, Amos - auch wenn ich mir da gar nicht mal sicher bin - aber zu sagen, du hättest keinerlei künstlerische Ader, ist schon sehr untertrieben. Du mußt wissen, Nahood, daß Amos eine wirklich phantastische Kollektion zeitgenössischer Kunst besitzt. Er ist vielleicht kein Sammler im engeren Sinne, aber er hat ein Händchen dafür, von noch unbekannten Genies Werke zu kaufen und staunt dann selbst, wenn die ein paar Jahre später ungeheuer viel wert sind. Und dann verschenkt er ab und zu ein paar dieser Werke an Freunde zum Geburtstag oder anderen Feiern. Museen haben ihn schon gebeten, ihnen etwas aus seiner Sammlung zu verkaufen."
"Nun übertreib‘ aber nicht, Doug! Einmal hat eine kleinere Galerie bei mir angefragt. Mehr war da auch nicht. Mich fasziniert einfach diese Form des Ausdrucks. Gedanken, Gefühle, Vorstellungen - alles in eine statische Form gebracht, die nicht aus Worten besteht; den Augenblick festgehalten - oder eine Entwicklung in einen Moment gebannt. Ach, verdammt - ich weiß selbst nicht. Das klingt so furchtbar aufgeblasen, wenn ich das erklären will. Und eigentlich will ich es gar nicht erklären. Es macht mir einfach Freude. Und jetzt ist auch mein Bierglas leer, Doug und ich bin immer noch durstig."
Die beiden lachten. Douglas ging in die Küche, weitere Getränke zu holen. MacLugllun musterte mich mit einem neugierigen Ausdruck in den Augen. Als mein Freund wiederkam und uns nachgeschenkt hatte, beugte sich Nahood mit einem Mal vor, als sei ihm gerade etwas eingefallen.
"Wart Ihr eigentlich schon in der Newlyn Art Gallery? Die ist ja nicht weit von Penzance entfernt. Ich habe da erst vor zwei Wochen tolle Bilder von - "
Das Läuten des Telefons unterbrach ihn. Douglas hob entschuldigend die Hand und ging in den Flur, wo der Apparat stand. Er sprach nicht viel und die wenigen Worte waren so leise, daß wir nichts verstanden. Hauptsächlich schien er zuzuhören. Das Gespräch dauerte nicht lange. Als er wiederkam, war sein Gesicht ernst. Er trank einen Schluck Bier und sah mich dann einen Augenblick mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht an, bevor er sich an Nahood wandte.
"Wo wir eben von Sammlungen und Galerien geredet haben - hast du zufällig gehört, was heute passiert ist?"
MacLugllun sah ihn fragend an und schüttelte den Kopf. Douglas fuhr sogleich fort.
"Du kennst doch Thomas Donegal, oder? Er besitzt diese Weinhandlung mit Galerie in der Nähe des "Sloop Inn" an der Wharf. Kürzlich hat er doch ein paar Bilder von Eric Ward ausgestellt. Wir haben sie uns zusammen angeschaut und dabei auch ein paar Worte mit Eric gewechselt haben - erinnerst du dich, Nahood?"
Der Angesprochene nickte nur und wartete wie ich auf die Fortsetzung.
"Am Telefon eben, das war Russell. Sie haben Thomas Donegal heute mittag gefunden - tot. Er ist beim Tintagel Castle die Klippen runter gestürzt."
Ich saß da wie erstarrt, während mir gleichzeitig durch den Kopf schoß, daß ich mir jetzt auf keinen Fall etwas anmerken lassen durfte. Betont ruhig griff ich nach meinem Glas und trank einen Schluck Bier. MacLugllun blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
"Das ist ja furchtbar. Er war doch noch gar nicht so alt. Wie konnte das denn passieren?"
Douglas zuckte mit den Schultern.
"Es muß dort heute furchtbar gestürmt haben. Wahrscheinlich hat er die Balance verloren. Auf dem Weg nach Penzance haben wir sogar davon im Radio gehört, aber sie haben keinen Namen genannt und so wußten wir nicht, daß es sich um Donegal handelte."
Ich warf Douglas einen beschwörenden Blick zu, aber das war nicht nötig. Er hielt sich auch so an sein Versprechen, nichts von dem zu verraten, was ich ihm erzählt hatte. Geschickt lenkte er das Gespräch von den Ereignissen heute weg.
"Sicher, es ist immer furchtbar, wenn ein Mensch so ums Leben kommt, aber er war immerhin schon über 90 Jahre alt - da hast du dich verschätzt, Nahood. Und außerdem ist es - möge er in Frieden ruhen - um diese Galerie auch nicht besonders schade. Vielleicht macht sein Nachfolger mehr daraus."
Entrüstet fuhr MacLugllun auf.
"Wie kannst du so etwas sagen, Doug'?! Seine Weine waren die besten weit und breit!"
"Ha - seine Weine, ja! Aber die Bilder, komm, das war doch nur etwas, um die Touristen ins Geschäft zu locken. O.k., O.k. - die Ausstellung mit Erics Bildern war gut. Aber so etwas stellte doch bei ihm die absolute Ausnahme dar. In der Regel verhökerte er diese preiswerten Drucke, diese naiven Bilder von Häusern mit Katzen hier aus St. Ives. Das war nun wirklich nicht die Welt. Seine Weine, ja - die waren schon etwas Besonderes. Mal sehen, was der junge Timothy daraus macht."
Nahood schüttelte erneut den Kopf.
"Es ist einfach furchtbar. Er kannte sich doch aus. Wie konnte das nur passieren?"
"Kommt, jetzt trinken wir etwas ganz Besonderes auf Donegals Ableben. Das gehört sich so."
Douglas stand auf und ging in die Küche. MacLugllun starrte auf seine Füße. Ich sah ihn an. Merkwürdig, daß der Tod dieses alten Mannes ihm so nahe ging. Hatte er ihn näher gekannt? Mir konnte das gleich sein. Gedankenverloren kramte ich in meinen Taschen und zog eine Packung Zigaretten heraus. Gerade als ich mir eine anzünden wollte, hörte ich sie. Nach so langer Zeit, erklang sie laut und deutlich in meinem Innern, diese Stimme, die ich liebte und haßte und von der ich so inständig gehofft hatte, sie nie wieder zu vernehmen:
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