"Meine Frau ist vor einigen Jahren gestorben. Sie war sehr krank."
"Oh - das tut mir leid."
"Danke; ach, es ist vorbei. Und du malst immer noch diese großen Bilder ganz in Schwarz, Rot und Weiß?"
Sie sah mich ernst an und ich versuchte mühsam, mich vor ihrem Blick aus diesen tiefblauen Augen zu wappnen.
"Nein, schon eine ganze Weile nicht mehr. Ich stelle Fotocollagen zusammen, die ich übermale, um ihnen den Ausdruck zu geben, den ich in den Fotos erkannt habe."
"Das erinnert mich an Arbeiten von Andy Warhol."
Sie lachte laut auf, wobei sich zwei süße Grübchen links und rechts ihres breiten Mundes zeigten.
"Das ist ein irrer Vergleich. Aber nein, mit ihm würde ich mich nicht unbedingt messen lassen wollen. Erst einmal ist er ein Mann und zweitens bin ich noch nicht halb soweit wie er. Aber besuch' mich doch mal in meinem Atelier in Lübeck. Dann kannst du dir selbst ein Bild machen. Du sammelst doch noch immer, oder? Und wenn du mit deinem tollen Auto vorfährst, dann kann ich nachher auch damit angeben, was für reiche Kunden ich habe!"
Spitzbübisch lächelte sie mich an. Doch mit einem Mal spürte ich so etwas wie eine ganz leichte Irritation. Ich kann nicht sagen, warum, aber irgend etwas ließ mich plötzlich auf der Hut sein.
"An mein Auto erinnerst du dich auch?"
"Ich bitte Dich, Amos - allzu viele Leute fahren nicht mit solchen Nobel-Wagen bei uns durch die Landschaft. So habe ich übrigens auch gemerkt, daß du auf dem Schiff bist. Ich habe deinen Rolls-Royce in der Warteschlange vor dem Einchecken erspäht. Wenn man Wohlstand so zur Schau stellt wie du - "
Sicher, ich begriff, daß sie mich nur necken wollte, aber ich hatte keine Lust, ihr die Geschichte von der Erbschaft meines Schwiegervaters zu erzählen, die es ihm wiederum ermöglicht hatte, uns diesen Wagen vor zwölf Jahren zur Hochzeit zu schenken. Sonja bemerkte offenbar, daß ich innerlich etwas auf Distanz ging. Sie lächelte mich verheißungsvoll an.
"Wollen wir uns auf Deck noch etwas die Beine vertreten? Die Nacht ist so wundervoll mild."
Einerseits war ihr Angebot verlockend, aber ich konnte nicht, wollte nicht.
"Nimm es mir nicht übel, Sonja, aber ich bin jetzt einfach zu müde. Die Fahrt nach Harwich war sehr anstrengend und ich muß in die Falle. Aber ich verspreche dir, bald nach Lübeck zu kommen und dich zu besuchen - o.k.?!"
Sie nahm es scheinbar gelassen, äußerte noch ein paar verständnisvolle Worte, betonte, daß sie auf meinen Besuch baue und verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuß auf die Wange. Mein Glas war leer und ich ging in meine Kabine.
Nachdem ich geduscht und mich in die Koje gelegt hatte, konnte ich lange nicht einschlafen. Mich noch erkundigen zu wollen, wie jener gräßliche Deutsche aus Kabine 5521 hieß, hatte ich völlig vergessen. So hatte meine überraschende Begegnung mit Sonja wenigstens ein Gutes gehabt. Die "Krimi"-Geschichte war für mich erledigt. Dafür war anderes in mir aufgerissen worden. Wer weiß, möglicherweise hätte ich heute abend die Basis für ein Verhältnis legen können. Die Versuchung war groß gewesen und Sonjas Verhalten - wenn mich nicht alles täuschte - recht eindeutig. Sie schien einer näheren "Bekanntschaft" nicht abgeneigt gewesen zu sein. Doch das war mir einfach nicht möglich. Es ist nicht leicht zu beschreiben, was in mir vorging, denn es waren so viele Dinge gleichzeitig. Erneut hatte ich an diesem Abend festgestellt, daß ich immer noch jede Frau, die ich traf, ganz unwillkürlich mit Aviva verglich. War sie so schön, so klug, so unabhängig, so stolz, so liebevoll wie sie? Meistens wurde mir diese "Musterung" erst später, im Nachhinein, bewußt. Aviva war mehr als nur eine Studentin für mich gewesen. Ich glaube heute, sie war die einzige Frau, die ich je wirklich aus tiefstem Herzen geliebt habe. Und dass sie mich so einfach verlassen konnte, hatte eine tiefe Wunde in meinem Inneren hinterlassen, dessen Narbe immer noch sehr schmerzte. Ich traute meinen eigenen Gefühlen nicht mehr und wollte nicht - auch nur ansatzweise - erneut das Risiko eingehen, so auf dem Bauch zu landen. Und zwischen die Gestalten Sonjas und Avivas drängte sich unvermittelt auch noch das Gesicht Patricias. Ich sah sie einerseits im Koma liegen - so still und friedlich - und dann ihren anklagenden Blick, als unsere Ehe in die Brüche ging. Sie hatte mich wirklich geliebt - seit wir uns in einer Psychologie-Vorlesung während des Studiums in München kennen gelernt hatten. Aber meine Gefühle ihr gegenüber waren wohl eher die eines Beschützers als die eines Liebenden gewesen. Und wie hatte ich sie beschützt? Gar nicht - fallen gelassen hatte ich sie. Es schüttelte mich. Nein, ich wollte keine Frau mehr in mein Leben lassen. Entweder hatten sie mir kein Glück gebracht oder ich hatte ihr Leben ruiniert. Manchmal sehnte ich mich nach der Nähe eines Menschen, nach diesem befreienden, intimen Zusammensein, nach einem Aufwachen neben einer Frau, die ich liebte, aber ich wußte, daß ich dafür noch lange - wer weiß wie lange - nicht bereit sein würde. Mit der strengen Eigenermahnung, jetzt nur nicht in haltloses Selbstmitleid zu verfallen, bin ich dann wohl eingeschlafen.
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