"Ich hatte eine gute Zeit, aber jetzt brauch' ich auch erst mal was zu trinken."
Nachdem er sich mit einem Bier zu mir gesetzt hatte, starrten wir eine Weile schweigend vor uns hin. Schließlich wurde Douglas die Stille zuviel.
"Tut mir leid, die Bemerkung mit den Spiegeln. Aber du solltest dich wirklich mal sehen. Als wärst du einem Gespenst über den Weg gelaufen.."
Mühsam unterdrückte ich den Impuls, ihm von meinen Erlebnissen zu erzählen. Aber ich hatte mir geschworen, keine Silbe zu irgendwem auch immer verlauten zu lassen. Also schüttelte ich nur den Kopf.
"Es war wirklich häßlich. Der Regen ging mir fast durch bis auf die Haut und der Sturm machte ein freies Herumlaufen beinahe unmöglich. Da braucht es keine Geister, um so auszusehen wie ich."
Er sah mich an, als ahnte er, daß da mehr dahinter steckte. Dann grinste er.
"Wie kommst du bei mir zurecht, wenn du immer wieder in Spiegel kucken mußt?"
Obwohl meine Reaktion in keiner Weise bewußt war, schien mein Blick so zu sein, daß Douglas erschrocken zusammen zuckte. Ich wischte seine Worte mit einer Handbewegung weg.
"Mach' dir da mal keine Gedanken. Bei dir hängen ja genug davon herum, so daß ich gar nicht darum herum komme, immer mal wieder in einen zu blicken. Und zu Hause brauche ich einfach keinen, bis auf den kleinen Rasierspiegel im Bad. Da gibt es keine geheimnisvollen Gründe!"
Natürlich steckte mehr dahinter, aber darüber wollte ich selbst mit Doug nicht reden. Er ließ das Thema auf sich beruhen. Ich holte mir jetzt auch ein Bier und wir überlegten, was man bei dem miesen Wetter heute noch unternehmen konnte. Wir einigten uns schließlich darauf, nach Penzance zu fahren. Das war nicht so weit von St. Ives und die meisten anderen Örtlichkeiten hier entfalteten ihre malerische Wirkung erst im Sommer bei etwas besserer Witterung als heute. Außerdem verbot sich ein Ausflug zu entfernter gelegenen Zielen im Norden und Osten, da Douglas, wie er mir erzählte, für heute abend noch einen Bekannten eingeladen hatte, der erst kürzlich angefangen hatte zu malen. Jener Nahood MacLugllun - mein Gott, was für ein Name! - war vor nicht allzu langer Zeit nach St. Ives gezogen und ein Freund von Stephen. So hatte Douglas ihn auch kennen gelernt und gleich auf Anhieb gemocht. Jener MacLugllun war nun ein paar Wochen weg gewesen, heute früh zurück gekommen und mein Freund wollte unbedingt, daß ich MacLugllun auch noch kennenlernte. Zuerst aber entschieden wir uns, vor unserer Weiterfahrt schnell etwas essen. Wir wählten beide die Lamb-Pie mit Minze-Sauce, Erbsen und Pommes Frites. Es schmeckte sehr gut; besonders die Erbsen; diese tief-grünen, süßlichen, großen Erbsen liebte ich, die man in England aber nicht in Deutschland bekommt, - während ich unsere verschmähte. Dazu genehmigten wir uns noch ein Bier. Nachdem wir gegessen und ausgetrunken hatten, fuhren wir los. Da es gerade nicht regnete, gelangten wir sogar trocken zum Wagen.
Während der Fahrt hingen wir beide unseren Gedanken nach. In mir hallte dieser eigentümliche Name wieder: Nahood MacLugllun. Ein weiterer Freund von Douglas und diesem eigentümlich zugeknöpft wirkenden Stephen Brantworth. Und dann ging mir mit einem Mal wieder der gestrige Abend durch den Sinn. Ich hatte ihn genossen, aber da war auch etwas gewesen, was mir erst jetzt in der Rückbesinnung auffiel. Außer Douglas und mir waren noch 15 weitere Männer anwesend, wenn ich mich recht erinnerte. Mein erster Eindruck war gewesen, daß sich alle gut kannten und miteinander befreundet waren. Aber das konnte so nicht stimmen. Zwar ließen die Altersspanne von Mitte sechzig bis etwa Mitte achtzig, das Benehmen und die äußere Erscheinung der Anwesenden mich zuerst auf eine mehr oder weniger homogene Gruppe schließen, die sich da versammelt hatte. Je intensiver ich mir jedoch den Abend vergegenwärtigte, desto deutlich wurde mir, daß es sich um zwei Gruppen gehandelt hatte. Sieben der Anwesenden waren Maler und Galerie-Besitzer aus St. Ives gewesen. Die anderen acht, zu denen auch jener Colonel Brantworth gehörte, malten teilweise auch, aber mehr als Hobby. Es handelte sich um Rentner, ehemalige Offiziere, Kapitäne der Handelsmarine und Kaufleute, die sich in und um St. Ives niedergelassen hatten. Gesprächen konnte ich entnehmen, daß einer von ihnen in Newquay und ein anderer sogar noch weiter nördlich aus Port Isaac kam. Obwohl ich es nicht belegen konnte, war diese "Rentner"-Gruppe viel geschlossener aufgetreten, als die andere. Es war deutlich zu spüren gewesen, daß sich diese acht Männer sehr gut kannten und daß sie fast mehr als Freundschaft verband - was allerdings, vermochte ich nicht zu sagen. Hatten die anderen manchmal sogar recht lautstark miteinander und bisweilen auch mit den Rentnern kommuniziert, so hatten sich die älteren Männer streckenweise nur nonverbal ausgetauscht. Ein Wink hier, ein Heben der Augenbrauen da und schon reagierte ein anderer von ihnen - sei es, dem Betreffenden einen Drink zu holen oder sich mit ihm in eine Ecke zu setzen. Während mir das alles durch den Kopf ging, merkte ich, wie wenig faßbar meine Eindrücke waren, wie schlecht ich sie in Worte kleiden konnte und wie das meiste nur auf einem Gefühl beruhte; ein Gefühl aber, das mich aus einem mir unerklärlichen Grund beunruhigte. Ja, es war so gewesen, als verbände diese alten Männer ein Geheimnis - und kein angenehmes. Unwillkürlich mußte ich den Kopf schütteln. Meine Phantasie drohte wieder einmal, mit mir durch zu gehen.
Die Fahrt über Camelford, Wadebridge und Redruth verlief glatt und gemütlich. Douglas besaß nur einen kleinen Toyota und genoß das behagliche Reisen in meinem Luxus-Coupe. Da ich auf den breit ausgebauten Hauptstraßen fuhr, kamen wir auch schnell voran. Die engen Nebenstraßen hier mit ihren hohen Hecken und Erdwällen, die ich schon ein paarmal hatte nehmen müssen, und die so gut wie keine Sicht auf etwaig herannahenden Gegenverkehr ermöglichen, stellten für mich dagegen eine Herausforderung dar. Ich drehte das Radio an und wir ließen uns von irgendwelchen Pop-Songs berieseln. Nach etwa zwei Stunden erreichten wir die Außenbezirke von Penzance. Die Stadt ergoß sich vor unseren Augen hinunter zum Meer. Hier war das Wetter ganz anders als an der Atlantikküste im Westen. Zwischen vereinzelten Wolken am blauen Himmel leuchtete die Sonne auf uns herab. Wir mußten an einer Ampel halten. Im Radio kamen gerade die Nachrichten. Erst das Hupen der Autos hinter mir riß mich aus meiner Erstarrung. Douglas tippte mir auf den Arm.
"Ist dir schlecht, Amos?"
Ich fuhr langsam an und konnte nur den Kopf schütteln.
"Es war kein Unfall, es war Mord."
Ich sah ihn nicht an, aber spürte, wie Douglas mich anstarrte. Ich gab mir einen Ruck und fuhr bei der erstbesten Parkmöglichkeit links ran. Dann atmete ich tief durch. Meinen Vorsatz, mit niemandem über die Geschehnisse sprechen zu wollen, konnte ich einfach nicht mehr aufrecht erhalten. Ich blickte geradeaus. Meine Worte kamen stoßweise.
"Hast du das eben in den Nachrichten gehört?"
"Ja, natürlich - die übliche Scheiße. Wer kümmert sich schon darum?! Was, verdammt, ist los?"
"Ich meine, hast du das am Schluß gehört, die letzte Meldung?"
"Klar, ein alter Mann ist heute tot aufgefunden worden. Irgend so ein blöder Unfall, in - in - oh, mein Gott - in Tintagel. Er ist beim Castle die Klippen hinunter gestürzt. - Ach, du Scheiße - warst du in der Nähe? Hast du ihn gesehen?"
"Es war kein Unfall, Doug. Er ist nicht gestürzt. Ich hab' es gesehen. So deutlich, wie ich die Palmen da vorne erkennen kann. Er wurde hinunter geworfen - von einem anderen."
Für einen Augenblick herrschte Totenstille im Wagen. Es war, als habe Douglas den Atem angehalten. Als er wieder sprach, war seine Stimme ganz leise, seine Worte vorsichtig, zögerlich.
"Das Wetter war dort oben hundsmiserabel. Das hast du mir selbst gesagt. Und ich hab's ja auch bemerkt. Man konnte nicht viel sehen. Ich weiß, wie es dort oben ist, wenn die Elemente losgelassen scheinen. Die Sicht ist schlecht. Der Regen macht einen halb blind. Man hört alles mögliche, merkwürdig klingende Geräusche, die einem manchmal wie Stimmen vorkommen. Versteh' mich jetzt um Gottes Willen nicht falsch, alter Kumpel. Aber bist du dir da wirklich sicher, absolut sicher? Die Winde machen dort oben manchmal Kapriolen, sie spielen deinen Sinnen Streiche. Sie bauschen Mäntel auf, lassen sie flattern und du meinst, du siehst zwei Leute, wo doch nur einer ist. Aber - " er hob abwehrend die Hände " - wenn du absolut sicher bist, daß der alte Mann umgebracht wurde, dann müssen wir jetzt wohl oder übel zur Polizei fahren. Da hilft alles nichts."
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