Alle Kraft zusammennehmend drückte Suteman den Stoff gegen die offenen Adern, um nicht zu verbluten. Sein Gesicht war kalkweiß, und Pollugs kümmerte sich um ihn.
„Komm, wir müssen zur Zerberus“, empfahl er Suteman. „Hast du Nähfaden in deinem Baldachin, um die Armbeuge sauber abzubinden?“
Damit fiel es Hiram zu, den Fremden, dem es Suteman verdankte, irgendwie unschädlich zu machen. Auf einmal verfügte der über zwei Schwerter, und Chaqu drang auf ihn ein. Jeris der Hebräuer agierte unter dem Schellen winziger Glöckchen mit einer acht Fuß langen Peitsche, und Chaqu hieb immer verbissener zu, während aus dem Hintergrund dann und wann die Peitsche vorknallte. Dann taumelte Chaqu zurück, hielt sich den Bauch und wandte sich auf Deck, dass Houke es nicht mitansehen mochte. Im nächsten Augenblick traf es auch Jeris. Tamurazs Kurzschwert haftete in seiner Hüfte, und er brach lautlos zusammen und regte sich nicht mehr. Der Gegner war einfach zu wendig. Mit dem Ellbogen wischte er eine lange Locke aus seiner hohen Stirn, hielt nun in jeder Hand eine Klinge und erwartete breitbeinig den nächsten Angreifer. In seinen stahlblauen Augen blitzte ein gefährlich wacher Geist.
„Was ist denn das für einer?“, fragte Hiram entgeistert die um ihn Versammelten. Der Mann, der ihnen solche Schwierigkeiten bereitete, hatte ein sauber rasiertes Gesicht, wie man es eher von Mädchen oder Kindern kennt. Sein goldenes Haar, befremend kurz geschnitten, abgesehen von einer kühnen Stirnlocke, ließ seine Züge seltsam kantig und nackt wirken.
„Ein Phryger vielleicht oder einer von dem Seevolk aus dem Westen“, raunte Sanherib. „Aber bartlos könnte auch einer von euch so aussehen.“
Houke wünschte, er hätte sich eben mit Pollugs in die Deckskabine verdrückt. Nur hätte das bei allen den Eindruck geweckt, er könnte an Pollugs Rockzipfel kleben. Er rieb sich fahrig die Stirn. Suteman war ihr stärkster Mann und im Handumdrehen kampfunfähig gemacht worden. Wie dieser Mann im tiefblauen Hüftrock mit zwei Schwertern hantierte, grenzte an Zauberei.
Die anderen wechselten unschlüssig Blicke. Dann sprang ihm Anuhlada mit seiner drei Ellen langen Keule entgegen. Wieder wich der Mann aus, als sei er nicht aus Fleisch und Blut. Sein Gegenstoß erfolgte so geschwind, man nahm ihn kaum wahr. Houke sah noch den Nubier vor ihm auf die Knie stürzen und sodann lang auf das Deck schlagen. Danach blieb dem blonden Jüngling nur noch ein Schwert. Das andere steckte in Anuhlada.
Larban, der Glatzkopf mit dem Walrossbart, der so lange dabei war wie Houke, fand endlich einen Weg, den Punier oder Phryger, oder was auch immer er für ein Landsmann sein mochte, unschädlich zu machen. Während sich dann Sanherib mit ihm maß, kehrte er mit einem Fischernetz zurück, das im Laderaum schon Staub ansetzte, weil keiner etwas damit anzufangen wusste. Sanherib ließ kraftvoll seine zweischneidige Axt kreisen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, da warf jemand von halber Höhe des Mastes das Netz. Der Assyrer sprang geschwind aus dessen Reichweite und senkte, mit sich zufrieden, die Waffe. Nun war es vorbei mit dem Widerstand des Unbesiegbaren. Seine Streiche führten nur dazu, dass er sich völlig in dem Netz verhedderte. Schließlich fiel er auf die Planken und hatte sich völlig darin verstrickt. Hiram kniete an seinem Kopf und hielt ihm ein Kurzschwert an den Hals. „Du stirbst, wenn du es darauf anlegst“, drohte er. „Wie heißt du?“
Der Mann im Netz spuckte Hiram ins Gesicht. Die Zähne bleckend wische der sich die Wange ab und schluckte die Demütigung herunter. „Hast du jemanden, der für dich Gold gibt?“
Er erhielt keine Antwort. Hiram erhob sich, und trat zornig auf den Liegenden ein. „Willst du wohl antworten, du Hund“, schrie er ihn an. „Unsere Leute würden dir am liebsten die Haut über die Ohren ziehen. Aber ich schenke dir das Leben, falls du bei uns mitmachst.“
Der Gefangene presste stur die Lippen aufeinander.
Die meisten wohnten neugierig diesem Schauspiel am Heck des geenterten Schiffes bei, während Hasdrubal und Tjalf, der Beutelschneider, in den Laderaum hinab stiegen. Ein fürchterliches Fauchen hub an, als hätte man einem Löwen am Schwanz gezogen. Hasdrubal kehrte mit blutigem Arm an Deck zurück und warf hastig die Klappe zum Laderaum hinter sich zu. „Dort unten tobt eine gestreifte Bestie herum, groß wie ein Löwe und flink wie ein Leopard.“
„Ein Tiger“, bemerkte Hiram. „Mann, Hasdrubal, wo ist Tjalf? Der war doch mit runter.“
Die Bestie nimmt ihn gerade auseinander.“
„Na wenigstens hast du überlebt“, tröstete ihn Hiram.
„Das schon“, stieß Hasdrubal über die Zähne hervor und blickte angestrengt atmend auf seinen Unterarm. Der war grausig zerfleischt, und der Verband, den ihm Kaleb anlegte, durchgeblutet, bevor er vermochte, ihn zu verknoten.
Suteman fiel für Stunden aus, doch Hiram bewahrte den Überblick. „Ist Gold oder anderes Erz im Laderaum? Etwa Zink, Kupfer oder Bronze?“, fragte er mit vor Aufregung bebender Stimme.
Hasdrubal schüttelte den Kopf. „Nein, auch keine Waffen oder wertvolle Stoffe; nichts außer einer gereizten Raubkatze.“
Darauf lud sich Kaleb den Eingewickelten über die Schulter als wäre er ein Leichtgewicht und sie verließen ohne Beute die zum Heck hin mit Gefallenen gepflasterte Feluke. Im Laderaum blieb ein Tiger zurück, und bevor sie sich von der Bordwandung lösten, flog ein Brand hinüber.
Unsagbar erleichtert stimmte es Houke, denn Pollugs hatte das Handgemenge unbeschadet überstanden. Sein Lendenschurz war mit Blut verschmiert, aber es war nicht sein eigenes. „Siehst du“, begrüßte er den Freund, „manchmal täuscht uns unser Gefühl.“
„Der Tag hat erst begonnen“, raunte Pollugs.
Das erinnerte Houke an die Kerze. Er war davon ausgegangen, zur Mittagshitze müsste die nächste angesteckt werden. Die Sonne würde jedoch noch geraume Zeit brauchen, ehe sie den Zenit erreichte, und der Wachsberg war zerronnen, das Holz darunter rußig angekokelt. Hätte der Kampf ein wenig länger gedauert, wäre ihr Schiff abgebrannt. Denn die beiden Frauen sahen vom Bug aus zu und erschienen erst nach ihnen in der Kammer. „Semiris“, sagte er bestürzt, „ich hatte gehofft, du behältst die Kerze im Auge.“
„Ich… hatte Angst… um dich“, erwiderte sie stockend, und er zog sie in seine Arme. „Jetzt bleiben uns höchstens noch ein paar Stunden, fürchte ich. Ehe die Sonne untergeht laufen wir ein in Memphis, der Hauptstadt des alten Reiches.“
In dem Moment klopfte es. Als Houke öffnete war es Hiram. „Räumt die Kammer“, befahl er.
Es half nichts, sich auf die Abmachung mit Hasdrubal zu berufen. „Wir haben einen Gefangenen und brauchen die Kabine für den“, erklärte Hiram und gab ihnen so lange, wie es bedurfte, die Decken und Felle zusammen zu raffen und eiligst ihre Habseligkeiten in der Kiste zu verstauen.
Houke und die Mädchen drückten sich auf dem Flur an die Wand mit ihren Sachen, weil ihnen schon Archaz und Kaleb mit dem eingenetzten Fremden entgegen torkelten, gefolgt von Pollugs; denn den hatte Suteman zur ersten Wache eingeteilt. Sie beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten, holten den Korbsessel auf den Flur und warfen Decken und Felle zu einem Lager auf dem Bretterboden aus. Wo Pollugs war, fühlte sich Kirsa sicher und vergaß ihre Scheu. Auch ohne ihre leicht quakige Sprache zu verstehen, bemerkte er an ihrem Lächeln, wenn sie Luft holte, sie taute auf. Ihn schmerzte, dass er selbst darum nicht mehr zum Zug kam bei Semiris, und er fürchtete sich wahrscheinlich mehr als die Mädchen vor ihrer Ankunft in Memphis. Nur dieser Nachmittag verblieb, mit ihr zu reden, und er sah Kirsa auf den Mund, bis die endlich verstummte.
Als Semiris ihn wehmütig musterte, fehlten ihm die Worte, und er knüpfte an den Versuch mit den Kerzen an. „Es scheint, die Tagstunden sind zur Sommerzeit länger“, stellte er fest, „und die Nachtstunden kürzer.“
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