1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 „Ja“, sagte er leise, „ich komme mit. Aber du musst Geduld aufbringen.“
Von dem Moment an hätte Semiris ihm keine Bitte mehr abgeschlagen. Zufrieden streckte sie sich auf dem Bett aus. So dringlich war es mit der Flucht jetzt gar nicht mehr, dass man nicht das Pläne schmieden auf einen späteren Zeitpunkt verschieben könnte.
Mit einem gelösten Schmunzeln merkte sie wie er die Hand auf ihr Knie verlagerte und das Leinenkleid nach oben schob, sodass es sich über ihrem Bauchnabel bauschte. Das Haar an ihrem Schoß war so dunkel wie das unter ihren Achseln. Semiris empfand keinerlei Scham, doch das Herz klopfte ihr wie an dem Tag, an dem sie ihre Unschuld verlor, und sie erinnerte sich der Zeit, die sie bei Nikia in Agia Photia zubrachte, im Haushalt eines alten Gutsherren auf Kreta. Dessen Berührungen hatten sie nie erregen können. Von Houkes Hand ging ein Reiz aus, unter dem sie erschauerte. Sie strich um ihre Schenkel und suchte die Lenden - und plötzlich lagen sie übereinander, küssten sich, und fühlten, wie sehr sie zusammengehörten. Niemand hörte sie seufzen in dieser Stunde, aber Semiris fühlte sich geliebt – eine ganz neue Erfahrung für sie. Lieber wäre sie gestorben, als Houke danach noch wieder aufzugeben.
Es geschah, während Kirsa leise aber hörbar im Hintergrund schnarchte, fast wie ein zur Kabine gehörendes, kleines Kätzchen. Die erste Kerze war heruntergebrannt, es war Mitternacht, und sie lagen danach nebeneinander und starrten zur Holzdecke empor, auf der Schritte umherwanderten, weil jemand übers Deck schlich. Sehr genau ließ sich sagen, oben hatten sich einige aus der Mannschaft am Mastbaum getroffen und warfen Gegenstände wie Ringe und Steinchen nach einem fast verblichenen Strich. In ungleichen Abständen kullerte immer wieder etwas klackernd über die Decke der Kabine.
„Um was sie wohl werfen?“, rätselte Houke und tropfte die nächste Kerze fest.
Da klopfte es. Er nahm den Riegel ab, und Pollugs trat ein. „Diesmal geht Suteman anders vor. Sie haben sich geeinigt, das nächste Schiff, das diesen Arm des Deltas nimmt, zu kapern. Sie wollen kein Getreide, sondern Schmuck. Schmuck ist nun einmal das beste Zahlungsmittel.“
Houke holte betreten Atem, denn es war viel, was Pollugs da an Neuem brachte. Beim letzten Entern hatte er seine Angst vergessen, sagte er sich, aber das half ihm wenig, wenn es darum ging, der nächsten Kaperfahrt gefasst entgegen zu sehen. Er erneuerte nur in Gedanken den Bund mit Pollugs. Pollugs war perfekt mit seiner minoischen Doppelaxt und bei seiner Geschicklichkeit so gut wie unverwundbar. Durch ihn würde er auch den nächsten Kampf überstehen. Er wünschte, es läge schon hinter ihm.
Pollugs’ Blick fiel auf die brennende Kerze. „Das weckt Erinnerungen“, bemerkte er, „an die Kaperzüge, von denen keiner aus der Bruderschaft gerne erzählt.“
„Du vergisst das Erz, das sich zu den Kerzen noch anfand. Das sind mindestens zwanzig Deben.“
„Stimmt. Eisenerz ist wertvoller als Gold“, gab ihm Pollugs Recht. „Aber ich habe schon erlebt, dass wir ein Schiff geentert haben und nur einen Laderaum voll Weinfässer gewannen. Die Leute stolperten nachher mit roter Nase an Deck umher, bis Suteman anordnete, den Laderaum zu bewachen. Den Rest haben wir in Anheba verhökert - gegen zwanzig Schekel in Silber.“
Houke und Semiris hielten sich die Bäuche vor Lachen, und Kirsa, die nicht so recht wusste, ob Lachen angebracht war, kicherte leise. Pollugs fügte hinzu: „Ein anderes Mal fanden sich zwei Hände voll Eunuchen im Laderaum. Aber Hasdrubal hat in Ugarit immerhin fünfzehn Schekel Silber dafür herausgeschlagen.“
Houke nickte nur, denn ihm fiel wieder ein, was Suteman als nächstes plante. „Mir ist flau bei dem Gedanken an Morgen“, erklärte er.
Pollugs betrachtete ihn einen Augenblick wie ein Vater, der sich fragt, ob sein Sohn schon selbstständig ist, und sagte, „ich habe auch ein ungutes Gefühl. Ich glaube, morgen sterbe ich.“
Houke stand auf einmal aufrecht vor ihm in der Kammer. „Werde nicht sentimental Pollugs. Visionen sind den Priestern vorbehalten - du denkst, es könnte so sein, und hast dich da böse in etwas hineingesteigert.“
Es kränkte ihn nicht, Pollugs lachte ihn an. „Du kannst es mir glauben – oder nicht. Was in mir vorgeht, bilde ich mir nicht ein. Es ist ein Gefühl, wie es eine Blume haben könnte, die sich schließen will.“
„Du sprichst manchmal eine seltsame Sprache“, entgegnete Houke. Durch das tägliche Zusammensein mit Pollugs war er in den letzten Tagen aufgeblüht zu einem freieren Menschen. Durch ihn verstand er es mittlerweile meisterhaft, nach dem Blutstrich zu werfen. Machte er mit, gewann er jedenfalls meistens. Ja, sein Ansehen hatte zugenommen – nur die Beliebtheit litt. Als er zurückrechnete zu dem Tag, an dem das Schiff seines Vaters brennen musste, lag das 22 Tage zurück. Eine Stimme in seinem Hinterkopf riet ihm, nicht länger als bis Memphis dabeizubleiben. Der einzige Freund, auf den er neben Pollugs rechnen konnte, war Archaz, der Armenier. Doch was konnte er von dem erwarten? Und Larban? Der lächelte zwar wohlwollend, sahen sie sich manchmal von Ruderbank zu Ruderbank an, zeigte ihm jedoch oben eher die kalte Schulter, und Houke wurde unwohl bei der Vorstellung, Pollugs könnte wirklich etwas zustoßen.
Der Felsen, in dessen Schatten die Bireme vor Anker lag, leuchtete in der Vormittagssonne wie Kreide, und an den Kräutern, die hier und da an der Steilwand blühten, summten wilde Bienen. Houke hatte das langatmige Warten schon einmal durchgemacht und musste an die Kerze denken, die unterdessen in der Kammer weiterbrannte.
Die Mädchen beobachteten verträumt die Wasserspiele einer Schar wandernder Delfine, deren elegante Spindelkörper sich spielend auf und nieder schwangen, und Pollugs erklärte ihnen; „das sind im Delta ungern gesehene Gäste. Die wollen sich in den reichen Fischgründen des Nils die Bäuche vollschlagen.“
Houke strich über das blanke Leder, das ihn umgab. Nach dem letzten Entern entschloss er sich auf Pollugs Drängen, sich künftig vor jedem Kaperzug in den Harnisch eines Hopliten zu zwängen. Zufällig schaute er zur Flusskurve, als eben ein hoher Steven zum Vorschein kam. Er stieß Pollugs an, da rief Archaz schon aus der Mastkorbtonne: „Eine Feluke – kommt vom unteren Nil!“
Zwei Leute holten in Windeseile den bronzebeschwerten Anker ein, das Segel entrollte sich, und Houke stürzte wie die anderen zu den Ruderbänken. Jetzt hieß es kräftig die Riemen durchziehen. Kaleb nahm schon seinen Platz vor dem Eichenblock ein und schlug den Takt. Wer wo saß, das gab die Hackordnung vor; die Besten besetzten die vorderen Bänke, um schneller beim Handgemenge mitwirken zu können. Da waren zunächst Chaqu, der Mann in flammendem Rot aus Kardesch und Tamuraz, den sie den Berber nannten. Dazu Abbin Jussuf und Karsim, beide aus Sidon, sowie Anuhlada, dessen feuchte Schulter schimmerte wie Pech. Sie und der Assyrer gehörten mit Hiram am längsten dazu und entledigten sich einst auf hoher See des ursprünglichen Eigners des Schiffes.
Die Verfolgung dauerte nicht lange. Suteman fuhr noch einmal flüchtig mit dem Daumen über die Klinge seiner Axt und lauerte mit Hiram auf eine Gelegenheit zum Überspringen. Schon krallte sich knirschend der Enterhaken in die fremde Bordwandung, das Seil spannte sich. Hasdrubal lachte wölfisch auf. Kaum prallten die Schiffe aneinander, schwang er sich an einer gelösten Stage hinüber.
Man hätte keinen Apfel essen können, bis die wenigen Decksleute überwältigt waren. Nur ein Gegner in Leder und einem blauen Lendenrock verblieb. Er hatte hellblondes lockiges Haar wie die Menschen des Seevolks aus dem Westen. Suteman selbst knöpfte sich ihn vor. Doch jener duckte sich flink vor dem anschwirrenden Enterbeil und war mit einem Satz bei ihm. Suteman hatte plötzlich keine rechte Hand mehr. Erstaunen stand in seinen Augen. Er hob fassungslos den Arm, doch statt einer Hand ragte ein glänzender Stumpf in die Höhe. Hellrotes Blut sprudelte heraus wie aus einer frischen Quelle, und er mahlte mit den Zähnen, während Kaleb sein Hemd in Streifen riss und damit provisorisch den Stumpf umwickelte. Schnaufend vor Schmerz schickte er Abin Jussuf, Karsim und Tamuraz gegen den Jüngling im blauen Hüftrock. Der sprang in ihre Mitte und wirbelte das Schwert schneller als Houke die Bilder registrierte. Zwei fielen mit dem Kopf voran auf die Planken. Tamuraz verlor beim Schlagabtausch sein Bronzeschwert und zog sich schleunigst zurück.
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