1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Zunächst berichteten sie es Kirsa und verabredeten, sobald sie schrie, würde Pollugs die Nähe von Suteman suchen und mit dem gemeinsam zu Hilfe kommen. Und gegen Nachmittag geschah es. Kirsa hielt sich allein am Mast auf, und Sanherib wähnte den Moment günstig und rief nach Pollugs. Aber Pollugs dachte nicht daran, gleich hin zu eilen. Habiru näherte sich ihr, ohne die Falle zu ahnen. Er baute sich mit einem frechen Grienen vor Kirsa auf und langte der ungehobelt zwischen die Beine. Kirsa strafte ihn mit einer schallenden Ohrfeige. Wie ihr Pollugs eingeschärft hatte, rief sie nach Suteman. Der rote Handabdruck auf des Egypters Wange sprach für sich, und Pollugs packte Habiru am Oberarm, worauf der es mit der Angst bekam. „Was ist denn hier passiert“, bellte Suteman und nickte grimmig, als sei ihm das durchaus klar. Sein Blick wurde streng. „Ich habe euch gewarnt“, fuhr er Habiru an. „Du wirst dich erinnern. Und du weißt: Ich bin kein Freund leerer Drohungen.“
Dadurch drohte das Kielholen nicht Pollugs, sondern Habiru wurden die Hände gebunden und die Füße zusammengeschnürt. Er wünschte sich, er hätte auf den eigenen Verstand gehört, doch gab es kein Erbarmen bei den Schwertfischern. Früh am Morgen legte man ein Seil vom Bug bis zum Heck und ließ es, mit Bleiklümpchen beschwert, von der Bordwand ins Meer sacken, bis es unter den Kiel griff. Er wurde daran gebunden und mit den Füßen voran unter den Bug gezerrt. Der Mannschaft fiel die Aufgabe zu, ihn mit vereinter Kraft unter das Schiff hindurch zu ziehen. Eile war geboten - alle gaben auf Deck ihr Bestes, ebenso Houke und Pollugs. Doch es war zuviel für den schwächlichen Mann vom Nil. Seepocken und Muscheln können schneiden wie Messer, und die triefende Leiche, die sie am Heck aus dem Meer zogen, war blutig, als hätte man sie den Tatzen eines Tigers entrissen. Nichts konnten sie mehr für den Armen tun und übergaben ihn dem Strom, der in seiner Heimat Welt und Unterwelt schied.
„Das habe ich nicht gewollt“, schluchzte Semiris.
„Ich auch nicht“, erklärte ihr Pollugs. „Der Falsche musste es büßen. Es war Sanheribs Plan und der von Anuhlada. Das kannst du mir glauben oder nicht. Habiru war bloß der Esel, den sie benutzten, es in die Tat umzusetzen.“
„Glaubst du, die geben jetzt Ruhe?“, fragte Houke leise.
Pollugs runzelte die Stirn. „Glaubst du das?“
„Nein“, gestand er.
Beunruhigt streiften Pollugs‘ Augen hinüber in das angespannte Gesicht von Semiris. „Sanherib wird auf Rache sinnen. Kirsa soll sich vor dem Laderaum hüten. Mach ihr das klar. Sonst wird sie bald wieder belästigt.“
Erschrocken blickte Kirsa nieder. Sicher verstand sie das Wenigste von dem, was die Männer so aufgeregt besprachen, aber dass man sie meinte, wurde ihr bewusst. Pollugs sah sie bedeutungsvoll an. „Ich wäre gezwungen, einzugreifen“, erklärte er. „Wie könnte ich dir denn in dem Moment sonst helfen? Und dann ginge Sanheribs Plan doch noch auf.“
Kirsa schluckte. Ob sie ihn verstanden hatte?
Houke dachte nach, und ihm fiel ein, sie würden in zwei Tagen den Hafen von Memphis erreichen. Dort sollten die beiden Mädchen an Land gelassen werden, denn Weiberbekanntschaften wie die, die sich ihm und Pollugs erschlossen, waren an der Tagesordnung bei den Schwertfischern. Es war ungeschriebenes Gesetz, diese währten höchstens bis zum nächsten Hafen. „Ob Hasdrubal uns für zwei Tage sein Kämmerchen im Laderaum überlässt?“, überlegte Houke bei diesen Aussichten. „Ich hätte da vier Kupferstücke im Wert von einem egyptischen Deben anzubieten, oder drei Ringe im Beutel, oder ein fingerlanges Silberstück.“
„Mitunter“, sagte Pollugs, „hast du gute Ideen. Das Silberstück sollte allerdings ausreichen für den Zweck, wenn du so gut schachern kannst wie nach dem Blutstrich werfen.“
Semiris fiel ihm dafür um den Hals. „Ich hätte kein Auge zugetan bis Memphis“, hauchte sie, und Houke ging sofort zum Steuermann.
Zum Abend stiegen sie, mit ihrer wuchtigen Truhe beladen, in den Schiffsrumpf hinab. Der Verhau von Kabine enthielt eine Pritsche und einen alten Korbsessel. Dicke Luft schlug ihnen entgegen, vom Dunst einer Tranlampe, von wohlriechenden Salben und von verschüttetem Wein. Auf einer kleinen Kiste erhob sich ein spitzer Berg zerflossenes Wachs mit einer aufgetropften Kerze, von denen unzählige im Laderaum lagerten. Pollugs’ Blick schweifte zur Tür, und Houke legte den Riegel vor und kramte aus der erbeuteten Kiste ein Bärenfell hervor, während die Mädchen die Pritsche mit einer Brokatdecke bezogen, um sich anschließend gemeinsam auf dem Lager niederzulassen. Pollugs sah, wie eng es wurde und verweilte an der Tür. „Ich werde erstmal Archi fragen, wie es um die Stimmung an Bord steht, nach dieser Seebestattung.“
Als er die Tür hinter sich zudrückte und Houke den Riegel vorlegte, ergriff Semiris das Wort. „Ich möchte am liebsten nie wieder auf Deck“, vertraute sie Houke an und verkrampfte die auf dem Schoß liegende Hand in das Bärenfell, mit dem sie sich zudeckten.
Kirsa flüsterte ihr etwas ans Ohr, wechselte zum Korbsessel hinüber, dass der zu schaukeln begann, und erweckte den Anschein, sie fühle sich geborgen und wollte nichts mehr als schlafen und das genießen. Die eintretende Stille spürte nicht nur Houke, aber der schnaufte, als wäre ihm eine Laus über die Leber gekrochen. Genau einmal versuchte er, sich einem Mädchen zu nähern, und es blieb in seinem Gedächtnis haften, da ihm Alda erklärt hatte, wie leicht man mit Zärtlichkeiten eine Freundschaft zerstören kann, und was das Werben angeht, hatte er sich wie ein Stümper abkanzeln lassen. Die Furcht erwachte, er könnte mit den falschen Worten das gewonnene Vertrauen zerstören, und das lähmte ihm die Zunge. Was er auch sagen würde, es könnte nach Abschied schmecken, denn ihre Wege würden sich bald entzweien.
„Ich wuchs Am Rande einer Wüste auf“, erinnerte er sich. Und manchmal ist es als würde die brütende Hitze aus den Dünen auf die Stadt übergreifen. Jede Kreatur meidet an solchen Morgenden die Sonne. Ich floh gewöhnlich in den Fischerhafen von Aschkelon. Und dann kamen mir die Stunden wesentlich länger vor als um die Jahreswende, wenn keine Karawanen mehr gehen und bitterkalte Nächte anbrechen.“
„Na ja“, sagte sie, „wie es einem eben vorkommt.“
„Nein, es kam mir öfter als einmal so vor. Und ich habe öfter als einmal auf Ebbe und Flut geachtet, saß ich an meiner gewohnten Stelle bei den Steinen am Fischersteg.“
Semiris fing an, ernsthaft darüber nachzudenken und lernte ihn heute um einiges besser kennen. Er entdeckte einen kleinen Stapel Kerzen in der Ecke der Kabine, brach die gebrauchte Kerze vom Wachsberg, um sie gegen eine neue auszutauschen und gab das Flämmchen daran weiter. „Es wird gerade dunkel. Wir wollen mal sehen, wie viele Kerzen herunterbrennen, bis der nächste Morgen anbricht.“
„Warum?“, wollte sie wissen.
„Um bei Tagesanbruch eine neue Kerze aufzupflanzen. So können wir nach einem Tag sehen, ob Tag und Nacht stets gleich lang dauern, oder…“
Verwundert betrachtete sie ihn. „Wo ich geboren bin, preisen sie das Helioskind, das mit seinem Sonnenwagen die Welt erleuchtet, aber es verdrängt immer bloß für einen Tag die Finsternis, denn über die Nacht gebietet Selene, seine Schwester. Ihr Name verbindet sich bei uns mit Erde, Grab und Totenwelt, und sie treffen sich nie.“
Houke hielt irritiert die Luft an. „Na, auf jeden Fall haben wir genug Kerzen, uns diesen Spaß erlauben zu können.“ Er blickte befangen auf ihre nackten Füße. Sie lehnte an der Holzwand und hielt ihre Knie umschlungen, und er fragte sich, ob er sich jetzt etwas einbildete, denn Kirsa schnarchte. Zwar leise wie eine Katze, aber sie schnarchte. Endlich waren sie unter sich.
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