Der Schlüsselmeister meldete Vollzug, übergab ihr jeweils drei neue identische Schlüssel für die Vorder- und Hintertür und kassierte 120 Dollar für seinen Einsatz, von denen Molly nicht mal einem müden Cent hinterherweinen würde. Als sie dann auch noch die gepackten Kisten säuberlich am Rand der Auffahrt aufgereiht hatte - sie legte sogar noch eine farbbespritzte Plastikplane von der letzten Renovierungsaktion darüber, denn es sah nach Regen aus - bereitete sich Molly eine Tasse Kaffee und ließ sich mehr oder weniger zufrieden in ihren geliebten Ohrensessel sinken.
Nicht einmal zwei Stunden, nachdem sie ihn erwischt hatte, war Steven Jacoby draußen ... war Geschichte - finito - raus - erledigt ... nicht mehr der Familie zugehörig. Die Trennung war, zumindest von Mollys stolzer irischer Seite aus, vollzogen.
Die Ruhe und der Kaffee schafften schließlich, was die Arbeitswut unterdrückt hatte. Der Katzenjammer über ihre verpatzte Beziehung brach mit der Wucht eines Tornados über Molly herein. Die Tränen kullerten, das Schluchzen wurde immer lauter und wütender, die Erkenntnis, dass sie von nun an wieder die unscheinbare, allein lebende Molly sein würde, die kaum einer zweimal ansah, gab ihr den Rest. Nicht einmal die Erwartung der bestimmt sehenswerten Szene, wenn ihr Noch-Ehemann seine Habseligkeiten in der Auffahrt finden würde, konnte sie trösten. Das würde nur eine schaffen. Molly brauchte ihre Mom, um sich aufrichten zu lassen.
Sie verließ ihren bequemen Sessel, die Tasse klapperte auf den Tisch. Nach einem kurzen Erfrischungsstopp im Bad schnappte sie sich ihre Tasche und einen der neuen Schlüssel. Nur am Rande registrierte sie, dass das gerade eingesetzte Schloss nicht annähernd so viele Zicken machte wie das alte. Im Gegenteil, der Mechanismus funktionierte wie geschmiert.
An den gepackten Kisten vorbei steuerte sie ihr altes Auto rückwärts auf die um diese Zeit nahezu unbelebte Straße und machte sich auf den Weg zum Haus ihrer Eltern fünf Straßen weiter. Insgeheim hoffte sie, dass ihr Bruder Daniel im Dienst und nicht zu Hause sein würde, denn der hätte zu der ganzen Sache nur eins zu bemerken: Ich hab's Dir ja gleich gesagt !
Und darauf konnte Molly im Moment nun wirklich gut verzichten.
Ein tiefer Fall führt oft zu höherem Glück
(William Shakespeare)
Ohne anzuklopfen stürmte Molly durch die offene Gartentür in das Haus ihrer Eltern und damit direkt in die Küche. Verwundert musterte ihre Mutter mit einem triefenden Kochlöffel in der Hand den unerwarteten Gast, der so völlig ankündigungslos ihr kleines Reich enterte.
"Molly, Schätzchen … was machst Du denn hier? Und das um diese Zeit. Ist etwas passiert?"
Die sorgenvolle Miene ihrer Mutter, die gewohnte Gemütlichkeit der Küche, all das ließ Mollys erzwungene Beherrschung zusammenbrechen. Mit einem "Ach Mama …" fiel sie auf den nächst besten Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen, um schließlich jämmerlich zu schluchzen. Moira Flannagan warf den Kochlöffel aus der Hand, drehte die Herdplatte herunter und eilte an die Seite ihres mittleren Kindes. Erschüttert über den Ausbruch ihrer Tochter strich sie ihr ratlos übers Haar und wartete darauf, dass Molly ihr Problem mit ihr teilen würde. Erfahrungsgemäß konnte das bei diesem Spross der Flannagans etwas dauern. Schon als Kind hatte Molly erst einmal alle Gefühle ungebremst herausgelassen, um sich danach ihre Kümmernisse ruhig und präzise von der Seele zu reden. Einen solchen Zusammenbruch hatte es allerdings schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Außerordentlich beunruhigend.
Fünf Minuten später war Molly fertig mit Weinen, die Schluchzer kamen nur noch vereinzelt, von einem heftigen Schluckauf und der Suche nach einem Taschentuch unterbrochen. Moira übernahm das Zepter. "Molly-Schatz, jetzt sag mir endlich, warum du dich hier so aufführst. Was ist denn um Gottes Willen passiert?"
Mit vom Heulen verquollenen Augen blickte Molly in das Gesicht ihrer Mutter. Beinahe wären ihr erneut die Tränen gekommen, als ihr bewusst wurde, dass sie nun ihr Versagen eingestehen musste. Ihr Versagen, einen Mann dauerhaft an sich zu binden, ihn glücklich und zufrieden zu machen. "Mama, Steven hat mich betrogen und ich weiß es ganz genau, weil ich's selbst gesehen hab."
Moira Flannagan runzelte ungläubig die Stirn. "Was hast du gesehen? Vielleicht hast du dich geirrt."
Schniefend erteilte Molly Bericht. "Na, ihn, Steven, mit seiner Sekretärin beim … na, du weißt schon. Sie waren mitten dabei, als ich ins Büro kam. Sie lag mit dem Bauch auf dem Schreibtisch und er stand mit heruntergelassenen Hosen dahinter. Da kann man beim besten Willen nichts missverstehen."
"Was hat der Scheißkerl gemacht?" Die dunkle Stimme, die von der Tür zum Wohnzimmer herüber schallte, gehörte zu Mollys Bruder Daniel und klang ausgesprochen wütend. Resigniert drehte sich Molly in seine Richtung. In diesem Haus konnte man eben nie etwas nur einem Familienmitglied im Vertrauen erzählen, immer war noch jemand anderer in der Nähe, der in der Regel mehr hörte, als er sollte.
"Hallo Daniel. Steven hat mich mit seiner Sekretärin betrogen und ich hab's gesehen." Mitfühlend kam nun auch ihr Bruder an ihre Seite und zog sie in eine bärenstarke und tröstende Umarmung. "Ich hab gleich gewusst, dass du viel zu gut für den Kerl bist. Mach dir nicht zu viel draus, wir regeln das. Ich ruf nur schnell Junior und Brian an, damit sie mir helfen. Dann schmeißen wir den Mistkerl aus deinem Häuschen, und zwar in hohem Bogen. Das versprech ich dir, Schwesterchen."
Bevor er losrennen und die Truppen verständigen konnte, klammerte sich Molly an seinem Hemd fest. "Halt! Das hab ich schon gemacht. Ich hab seine Sachen gepackt und in die Auffahrt gestellt. Die Schlösser sind auch schon ausgewechselt. Dieser Mann betritt mein Haus nie wieder."
Entschlossenheit hatte die trübe Stimmung Mollys abgelöst, ihre immer noch verquollenen Augen funkelten, ihre Wangen wiesen einen gesunden rosigen Farbton auf, der die unnatürliche Blässe bei ihrer Ankunft ablöste. Die angeborene Tatkraft hatte wieder die Oberhand, Molly war wieder sie selbst.
Mit einem Schmunzeln, dass er verbarg, indem er sein Gesicht in ihren Haaren vergrub, stellte sich Daniel das Ganze bildlich vor: Seine Schwester, die wie eine Furie alle Klamotten ihres Anvertrauten auf die Straße schmiss und damit dafür sorgte, dass der untreue Gatte gleich neben seinen Plünnen seine neue Wohnung bezog - draußen . Zu gerne wäre er dabei gewesen, leider hatte er diesen Part verpasst. Aber wenigstens konnten er und seine Brüder nun dafür sorgen, dass der Blödmann anstandslos Leine zog, das gebot schon die Familienehre.
"Okay, Schwesterchen, das hast du gut gemacht und wir werden ihm helfen, seinen Kram beiseite zu schaffen, damit du wieder nach Hause kannst. Gib mir den neuen Schlüssel." Noch während er sprach, griff er sich den immer noch einzelnen Schlüssel, den Molly ihm anstandslos überließ und nestelte schon beim Verlassen der Küche sein Handy aus der Hosentasche, um seine beiden älteren Brüder anzurufen.
Diesen Spaß wollte er sich lieber nicht allein gönnen, schon deshalb, weil er sonst diesem betrügerischen Mistkerl wahrscheinlich an den Kragen gehen würde, wenn er niemanden hatte, der ihn zurückhielt. Wer die Töchter der Flannagans angriff, hatte automatisch die Söhne der Flannagans am Hals, das war ein ungeschriebenes Gesetz.
***
Patrick Junior, Brian und Daniel kamen nahezu zeitgleich vor Mollys Haus an. Von dem gerade Hinausgeschmissenen war allerdings weit und breit noch nichts zu sehen. Als die drei Brüder Mollys Werk in der Auffahrt bewunderten, konnten sie trotz des Ärgers, den sie empfanden, ein herzliches Lachen nicht unterdrücken. War sie doch tatsächlich so fürsorglich gewesen und hatte die Kartons unter einer Plane gesichert, die den leichten Regen wirkungsvoll abhielt. Patrick wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln …
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