da Einfluss der litterarischen Gestaltungen auf die
volksthümliche Version anzunehmen, wo, wie bei den
Siebenbürger Sachsen und in unsern finnischen Märchen,
solche Fuchsmärchen auch zu grösseren Cyklen
zusammengefasst erscheinen.18 Das ist gelegentlich
durch einen oder den andern besonders begabten Erzähler
geschehen; im grossen Ganzen laufen die
Thiermärchen nur als einzelne Stücke um. Es ist dem
Zusammenschweissen epischer Lieder zu epischen
Cyklen und weiter der Verbindung mehrerer einzeln
gesungenen Strophen zu längeren lyrischen Liedern
zu vergleichen. Die selbstständig erzählten oder ge-
sungenen einzelnen Geschichten, Lieder und Strophen
kommen immer daneben auch vor.19 Uebrigens will
ich der Mahnung Hrn. Wesselofsky's solche Märchencyklen
mit den litterarischen Bearbeitungen der Thiersage
zu vergleichen durchaus aus nicht entgegen treten;
soweit ich aber sehe, wird eine solche Vergleichung
durchaus nur ein negatives Resultat ergeben.
Die ehstnische Sammlung von Kreutzwald-Löwe
enthält keine Thiermärchen; wohl hat aber schon J.
Grimm in seiner Einleitung zum Reinhart aus andrer
Quelle ehstnische Thiermärchen benutzen können.
Poestion's Uebersetzung lappischer Märchen wird
durch einige Thiersagen eröffnet, von denen die beiden
ersten ebenfalls bekannte Episoden des Reineke-
Kreises enthalten und ebenfalls auf cyklische Märchenbildung
bei den Lappen hindeuten.20 Damit ist
wohl die Nachricht zu verbinden, dass Gustav von
Düben auf seinen Wanderungen durch die schwedischen
Theile von Lappland ein langes Reineke-Fuchs-
Gedicht hörte (Poestion S. 3); leider ist sonst nichts
über dasselbe bekannt geworden. Herrn Kolmaěevsky
sind für seine Studie über das Thierepos die finnischen
Thiermärchen unbekannt geblieben.
Die nicht dem Reineke-Kreise angehörigen Thiermärchen
sind entweder kleine Geschichten, welche
den Ursprung gewisser in die Augen fallender Eigenthümlichkeiten
der Thiere erklären sollen (so unsere
No. 6) oder kleine Schwänke. Das sind die beiden
Gebiete, wo der Erfindungskraft der einzelnen Völker
der weiteste Spielraum gelassen ist. Doch wird man
z.B. in No. 12 (der Kaulbarsch und der Lachs) die bekannte
Erzählung vom Wettlauf des Hasen und des
Swinegels wiedererkennen. Die Fische, welche Meer
und Landseen Finnlands in so grosser Anzahl bieten,
spielen in der Poesie der Finnen wie der Lappen überhaupt
eine hervorragende Rolle; auch in Lappland
wird der betreffende Scherz vom Lachs und Pottfisch
erzählt (Poestion S. 23). Zielinski hat in seiner Abhandlung
über die attische Märchenkomödie wahrscheinlich
zu machen gesucht, dass auch im altgriechischen
Volksmärchen die Fische einen bedeutenderen
Platz einnehmen als bei uns;21 was ja an und für
sich durchaus nicht unwahrscheinlich ist. Ich bin
sonst weit davon entfernt den zum Theil an allzu dünnen
Fäden hängenden Constructionen des Verfassers
überall beizustimmen. Es ist aber erfreulich, dass man
doch die Aufgabe nicht aus den Augen verliert den
Spuren von Volksmärchen in der antiken Litteratur
nachzugehen. Von Friedländer und Rohde sind in dieser
Hinsicht bereits werthvolle Andeutungen gemacht
worden; und wir dürfen noch mehr wahrscheinlich
von Eduard Zarncke erwarten, der in seiner Untersuchung
über das in den plautinischen Miles gloriosus
eingewebte Märchen ein vortreffliches Muster für sol-
che Arbeiten gegeben hat.
Ich will bei dieser Gelegenheit auf ein finnisches
Oedipus-Märchen hinweisen, das im zweiten Hefte
der Rudbeck'schen Sammlung steht. Es ist von der
Uebersetzerin nicht mit aufgenommen worden, findet
sich aber in Erman's Archiv XVII 14 ff. Sein Inhalt
ist folgender: Zwei weise Männer übernachten auf
einem Bauernhofe. Dort war eben ein Schaf im Lammen
begriffen und die Frau in Kindesnöthen. Sie stehen
beiden bei, weissagen aber zugleich, das Lamm
werde von einem Wolfe gefressen werden und der
Knabe werde seinen Vater tödten und seine Mutter
heirathen. Das Lamm wird bei einem Festmahl geschlachtet,
aber eben als man es nach der Suppe auf
den Tisch bringen will, sieht man, wie ein Wolf die
letzten Bissen verschlingt. Nun will der Vater das
Kind tödten, aber auf der Mutter Bitten wird es auf
ein Brett gebunden und ins Meer geworfen; doch hat
es bereits eine kleine Messerwunde an der Brust
davon getragen. Das Knäblein wird an den Strand getrieben
und von dem Abte eines Klosters erzogen. Erwachsen,
macht sich der Bursche auf die Wanderschaft
und tritt als Knecht auf einem Bauernhofe ein.
Er bekommt ein Rübenfeld zu hüten und erschiesst
den Hausherrn, der selbst bei Nacht kommt, um sich
eine Schürze voll Rüben zu holen. Nach einiger Zeit
nimmt die Wittwe den Knecht zum Ehegatten; bei ge-
meinsamem Baden entdeckt sie an der Narbe auf der
Brust, dass er ihr Sohn sei. Voll Verzweiflung macht
sich der Unglückliche auf den Weg, um von den
Schriftkundigen zu erfahren, ob Sohn und Mutter
Vergebung finden könnten. Zwei Mönche, die ihm
verneinend antworten, erschlägt er; von einem dritten
erfährt er, ihnen würde vergeben werden, wenn er
Wasser aus einem Felsen hervorgraben und ein auf
dem Schoosse seiner Mutter ruhendes Schaf weiss
werden würde. Beides geschieht, als er eines Tages
einen Rechtsverdreher so vor die Stirn schlägt, dass er
todt niederfällt.
Poestion's lappische Märchen enthalten zwei Versionen
der Polyphemsage. Die eine derselben (S. 122
ff.) stimmt sehr genau zu der homerischen Darstellung:
der Lappe, der mit seinen Gefährten in die
Höhle des Riesen gerathen ist, blendet ihn mit geschmolzenem
Blei, das er ihm statt einer Augensalbe
in die Augen giesst, gibt ihm als seinen Namen »Garniemand
« an und rettet sich sammt den Andern in den
Häuten geschlachteter Böcke aus der Höhle. Die
andre hat nur einen Zug bewahrt (S. 72): ein Lappe
kommt in die Hütte einer Hexe, gibt ihr als seinen
Namen »Selbst« an und verbrennt ihr das Gesicht mit
kochendem Wasser. Als ihre Genossen sie um den
Grund ihres Wehgeschreies fragen, antwortet sie:
»Selbst mich verbrannte!«
Es ist eine hübsche und dankbare Aufgabe, deren
Lösung nicht mehr allzu lange hinausgeschoben werden
sollte, die Volksmärchen auszuschälen, die in die
homerischen Gedichte Eingang gefunden haben. Hierfür
wird die Vergleichung der Kalevala mit finnischen
und verwandten Märchen eine lehrreiche Parallele
bieten. Schiefner hat nach dem Erscheinen der beiden
ersten Hefte der Rudbeck'schen Sammlung eine sehr
inhaltreiche Anzeige derselben geschrieben, in welcher
er besonders dieser Seite des Gegenstandes gerecht
geworden ist.22 Ein Aufsatz Schiefner's in
Erman's Archiv (XXII 608 ff.) bringt Nachträge zu
dieser Abhandlung. Hier wird auch die gewiss richtige
Beobachtung ausgesprochen, dass »gewisse wesentliche
Erscheinungen in Kalevala erst den Märchencyklen
ihr Dasein verdankten«. Das scheint mir
unzweifelhaft von einigen Zügen der Episode von
dem schon als Kind übermässig starken Kullervo, der
z.B. (in der 33. Rune) ebenso Bären und Wölfe statt
der Heerde nach Hause treibt, wie in unserm dritten
Märchen Mikko Mieheläinen die wilden Thiere an
seinen Schlitten spannt und wie in einem russischen
Märchen Iwaschko Bärenohr einen Bären nach Hause
Читать дальше