„Was ist mit …?“fragte Julius‘ Vater verblüfft.
„Später,“antwortete Julius, und sein Vater nickte nur.
Jacqueline führte ihren Schwiegervater in den Salon, während Julius sich schnell anzog. Dort stand auch die Wiege mit dem Kleinen. Gerald machte große Augen, trat näher, blickte Jacqueline an, die nur nickte. Er strich seinem Enkel sanft über die Wange, setzte sich dann schwer atmend.
„Und was Deine erste Schwiegertochter betrifft,“sagte Jacqueline leise,„so ist sie tot und ihr Name in diesem Haus ein Tabu.“
Gerald nickte nur. Er konnte Julius verstehen.
„Wie heißt der Kleine?“
„Julius,“lächelte Jacqueline.
„Ein schöner Name,“lächelte Gerald.
Jetzt kam auch sein Sohn wieder dazu.
„Hast also Deinen Enkel schon kennengelernt?“fragte er.
„Dazu werde ich wohl noch etwas brauchen,“entgegnete Gerald,„aber ich freue mich für Dich. Du scheinst einige Dinge in Deinem Leben besser auf die Reihe bekommen zu haben als ich.“
„Leider erst sehr spät,“bekannte Julius, faßte die Hand seiner Frau.„Der Sheriff mußte mir helfen.“
„Hat Sie es so schlimm getrieben?“fragte Gerald, ohne den Namen zu erwähnen.
„Sie wurde aus der Stadt gejagt,“erklärte Jacqueline nicht ohne eine gewisse Befriedigung. Gerald nickte. Er hatte die ersten beiden Ehejahre seines Sohnes mitbekommen.
„Bei mir reichte der Sheriff nicht,“seufzte er.„Mir mußte Gott durch das Ableben Deiner Mutter helfen. Sie starb vor vier Monaten, und ich wollte danach nur noch weg.“Er lächelte.„Und da die gesamte Finanzwelt Deinen Namen kennt, warst Du nicht schwer zu finden.“
„Du hast also das Haus verkauft?“
Gerald nickte nur:„Ich wollte meine letzten Jahre an einem besseren Ort verbringen.“
„Ich richte Dir erst einmal das Gästezimmer.“Jacqueline stand auf.„Essen ist in einer halben Stunde, und heute Nachmittag erwarten wir Besuch zum Tee. Du hast vorher noch Zeit für ein Bad.“Sie verschwand lächelnd.
„Gut gemacht, Sohn,“nickte Gerald.
„Danke, Dad,“antwortete Julius.
Nachmittags stand Gerald früh genug auf, um sich für den Besuch anzukleiden. Sein Sohn hatte beim Essen den Termin als „informell“ bezeichnet. Aber was bedeutete informell hier oben? Gerald entschied sich für das Mittelmaß. Man wußte ja nie, wer kam.
Als er den Salon betrat, richtete seine Schwiegertochter gerade den Tee. Er betrachtete sie eingehender als am Vormittag. Wo hatte Julius nur diesen heißen Feger her? Er mußte ihn auf jeden Fall fragen.
Kurz vor vier kam auch Julius wieder nach Hause.
„War gut, daß ich die letzten Telegramme durchgesehen habe,“meinte er.„Hat uns das Geld für den Neubau gerettet.“
„Neubau?“fragte sein Vater.
„Wir wollen noch ein paar mehr Kinder,“grinste sein Sohn,„und dann wird es hier eng.“
„Ihr wollt also ein neues Haus bauen,“stellte Gerald fest.
„‚Haus‘ ist da wohl eher der Oberbegriff,“stellte seine Schwiegertochter verlegen fest, holte ein paar zusammengerollte Pläne hervor und rollte diese auf einer Tafel aus. Gerald pfiff durch die Zähne.
„Jetzt verstehe ich,“lachte er.„Dieser Klotz fällt wirklich nur noch unter den Oberbegriff ‚Haus‘.“Er blickte seinem Sohn in die Augen.„Und für diesen Prachtbau hast Du heute das Geld verdient?“
„Sagen wir 'mal, ich habe ein paar Fallen gestellt,“grinste sein Sohn,„und wenn die zuschnappen, haben wir die 50000 für den Bau im Sack.“
Gerald schaute seinen Sohn verblüfft an:„Ich sehe, Deine Geschäfte gehen besser als meine.“
„Es geht,“meinte Julius, und Gerald ließ das Thema auf sich beruhen. Seinem Sohn ging es gut, für den Enkel war gesorgt, und er selbst hatte endlich wieder eine Familie. Warum sich also Sorgen machen?
Jacqueline brachte die Pläne wieder weg, ordnete den Teetisch ein letztes Mal. Gerald zählte sieben Gedecke. Der kleine Julius lag schon wieder in seiner Wiege, war jetzt wach und spielte mit einem Mobilé, das vom Wiegenhimmel hing. Gerald ging vorsichtig hin, nahm seinen Enkel aus dem Bettchen auf seinen Arm. Julius war die neue Situation offensichtlich behaglich. Er lächelte, griff nach den Knöpfen auf Geralds Weste. Nach ein paar Minuten legte sein Großvater ihn lächelnd wieder in die Wiege.
Es klopfte an der Tür. Sally öffnete, sagte:„Guten Tag, Mrs. Merman.“
„Guten Tag, Sally,“kam die Antwort.„Die Herrschaften sind im Salon?“
„Ja, Ma’am.“
Nur einen Augenblick später kam der Körper zur Stimme durch die Tür, eine Dame ungefähr in Geralds Alter, die noch völlig ohne Stock ging und sehr anziehend lächelte, zumindest für Gerald.
„Ethel Merman,“stellte Julius vor,„und mein Vater Gerald.“
Gerald ergriff die gebotene Hand, sagte „Enchanté!“ und küßte sie mit einer eleganten Verbeugung. Jacqueline hatte Ethel noch nie zuvor rot werden sehen, aber offensichtlich war dies auch mit über achtzig Jahren noch nicht vorbei.
Nach einigen Zeilen Smalltalk wich auf beiden Seiten die Befangenheit. Gerald wurde mutiger und sagte:„Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich Sie zu dem Maskenball heute Abend auffordern, wenn der nicht sowieso nur für die jungen Leute ist.“
Die drei Einheimischen sahen sich an, lächelten dezent, während Gerald klar wurde, daß er wohl aus irgendeinem Grund einen dicken Pudel geschossen hatte.
„Nicht war, Vater,“fragte Jacqueline,„Du hast bei Deiner Ankunft eine junge Dame mit breitem Hut, Staubmantel, Hosen, zwei großen Revolvern und einem Sheriffstern gesehen?“
„Ja,“gab Gerald unumwunden zu.
„Der Stern und die Colts sind echt, Dad,“grinste Julius.„Miss Robinson ist unser Sheriff.“
„Ein verzeihlicher Irrtum,“erteilte Ethel ihre Absolution.„Ich nehme es als Aufforderung für die nächste Gelegenheit.“
„Sehr verbunden, Ma’am,“verbeugte sich Gerald.„Aber erstaunlich: Sie sah mir aus, wie – allerhöchstens – sechzehn.“
„Vierzehn, Vater,“korrigierte Jacqueline.
„Ich glaube, ich halte jetzt besser die Klappe, bevor ich noch mehr Unsinn rede,“meinte Gerald.
„Du lernst sie heute Nachmittag kennen, Dad,“erklärte Julius.
„Und Sie haben eben einen imponierenden Scharfsinn bewiesen,“lobte Ethel.„Unsere Situation ist eben ungewöhnlich.“
Draußen klopfte es. Sally öffnete wieder, führte ein Ehepaar in den Salon.
„Reverend Arthur Morton Robinson nebst Gattin und Sohn Aaron,“stellte Julius vor.
„Gerald Granger-Ford,“sagte der alte Mann, und Marge erlebte einen Handkuß, den sie sonst nur von ihrem Ehemann kannte. Arthur revanchierte sich bei Jacqueline auf die gleiche Weise.
„Wo ist Mary-Rose?“fragte Julius.
„Kommt gleich nach,“grinste Arthur, wies mit dem Daumen hinter sich.„Gab gerade noch Ärger vor Grands Laden. Mußte kurz schlichten.“
„Ärger?“fragte Ethel.
„Irgend so ein Fremder meinte, die Preise wären zu hoch,“berichtete Marge,„und wollte das mit seinem Revolver korrigieren, sowie gleich auch noch das zuviel erhobene Geld aus der Kasse haben.“
„Meinte dann auch noch, Mary-Rose wollte zum Maskenball,“lachte Arthur. Ethel nickte Gerald lächelnd zu, als es auch schon klopfte. Sally öffnete, und der Sheriff rauschte herein.
„Tag, Sally,“sagte sie.„Mann, war das ein sturer Kerl! Joe mußte mir beim Einbuchten glatt helfen.“Sie atmete tief durch.„Jetzt sind alle drei Zellen belegt. Könnte wirklich einen Deputy brauchen.“
„Wenn sich einer traut, unter Dir Deputy zu sein,“erinnerte sie Ethel, während Arthur seiner Tochter heimlich das Zeichen des Hutabnehmens machte.
„Oh!“bemerkte der Sheriff, nahm Hut und Mantel ab, reichte sie Sally, die die Sachen nahm.„Danke, Sally.“
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