„Kann ich ihn sehen?“ Es dauerte einige Sekundenbruchteilen bevor er die Worte, die ihn aus seinen Gedanken rissen, zuordnen konnte.
„Natürlich“, stammelte er. „Wie müssen sie sogar bitten, sich die Leiche anzusehen. Um ihn zu identifizieren. Noch wissen wir ja nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, ob er es überhaupt ist“. War das noch nötig gewesen, war das fair hier nochmals Hoffnung zu schüren, obwohl sie sich mit dem Tod ihres Partners schon abgefunden zu haben schien? Schon wieder versemmelt?
„Wir bitten Sie, heute Nachmittag in die Gerichtsmedizin zu kommen. Wann würde es ihnen in etwa passen?“
„Er kann ja doch sprechen“, dachte Max Lohr sarkastisch, nachdem sich Hauptkommissar Strecker offenbar entschlossen hatte, sich doch noch an dem Gespräch zu beteiligen.
„Sie wissen sicher, dass ihr Freund ermordet wurde. Hatte er Feinde?“ Strecker hatte es offenbar eilig, zumindest kam er sofort zur Sache.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Moritz war zwar nicht gerade ein Lamm. Sagte, was er meinte und das meist ziemlich deutlich. Aber das ihn deshalb jemand umgebracht hätte. Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, antwortete Frau Beu.
„Was waren das denn für Auseinandersetzungen?“, hakte Max Lohr nach.
„Also da war wirklich nichts Richtiges dran. Natürlich kam es öfters zu Problemen in der Kneipe. Da wird schon mal mehr getrunken als gut ist. Und dann kommt es zu Meinungsverschiedenheiten oder auch mal zu Handgreiflichkeiten. Dann musste Moritz natürlich schlichten oder auch mal dazwischengehen. Aber da ist nichts hängengeblieben. Wenn die wieder nüchtern waren, hatten die sich alle wieder lieb“.
„Trotzdem geben Sie uns die Namen der Personen mit denen ihr Freund in letzter Zeit Stress in der Kneipe hatte. Mein Assistent wird sich die Namen notieren. Aber was hat ihr Freund denn sonst so getrieben? Wenn er nicht in der Kneipe war?“, fragte Strecker.
„Wenn er nicht in der Kneipe war, war er auf irgendeinem Fußballplatz, mit seinen Kumpeln. Oder er hing vor seinem Computer rum“.
„Die Namen der Kumpel brauchen wir auch. Und wie lief ihre Beziehung? Alles harmonisch?“, bohrte Strecker weiter.
„Ja. Klar!“
„Da haben wir was anderes gehört“, bluffte Strecker zurück.
„Von wem?“, fragte Frau Beu nach.
„Ermittlungsgeheimnis“, konterte Strecker.
„Wer auch immer das behauptet, lügt. Sicher haben wir uns auch mal gestritten. Aber das waren immer nur Kleinigkeiten. Das gibt es doch in jeder Beziehung und es war nie von Dauer.“ „Wie lange waren, sind sie schon zusammen?“, mischte sich Kommissar Lohr in das Gespräch.
„Wie man unschwer hört, bin ich nicht von hier. Ich komme aus Dresden und da habe ich Moritz auch vor vier Jahren kennen gelernt. Ich habe dort in einer Kneipe in der Innenstadt bedient. Nicht weit von der Frauenkirche. Eines Abends kam eine Gruppe von Männern rein. Einer von denen war Moritz, der mit seinen Kumpeln einen Städtetrip gemacht hat. Die meisten waren schon ziemlich betrunken und fingen an, mich zu belästigen. Da hat Moritz sich eingemischt, mich gefragt, ob ich am nächsten Tag einen Kaffee mit ihm trinke. Wir haben uns getroffen, fanden uns sympathisch, haben uns verliebt. Vier Wochen später bin ich dann nach Köln. Seitdem leben wir hier zusammen.“
„Sie sind um einiges jünger als Herr Donner. Und ziemlich attraktiv. Und es gibt sicher auch in Köln Männer, die zudringlich werden, wenn sie zu viel getrunken haben. Da musste ihr Freund sie doch sicher öfters retten“, spekulierte Strecker.
„Ach, das war doch harmlos. Paul war doch total zu und hatte damals Stress mit seiner Karin. Da hat er versucht sich an mich ran zu machen. Auf eine ziemlich plumpe Art. Und ziemlich hartnäckig, jedenfalls wurde ich ihn nicht los. Obwohl ich ihn angebrüllt habe, dass er mich in Ruhe lassen sollte, grapschte er weiter. Dann kam Moritz und hat ihm eine reingehauen, Paul ging zu Boden. Dann war Ruhe. Am nächsten Tag kam er wieder rein, nüchtern, mit Blumen und hat sich bei mir und Moritz entschuldigt. Das war aber auch schon alles, sonst ist nie was passiert.“
„Keine Anzüglichkeiten, kein Grapschen?“, bohrte Strecker weiter.
„Nichts was mir nicht auch auf der Straße passiert“, antwortete die Frau.
„Ok. Dieser Paul kommt auch auf die Liste. Nach ganz oben. Kann ich mich hier mal ein bisschen umsehen, während mein Assistent die Namen aufschreibt?
„Nein, das möchte ich nicht. Eigentlich möchte ich jetzt allein sein. Ich gebe ihnen jetzt noch die Namen und dann gehen Sie bitte!“ sagte Frau Beu.
„Aber sie wollen doch sicher, dass wir den Mord an ihrem Partner schnell aufklären. Oder etwa nicht?“, insistierte Strecker.
„Sie sind doch noch nicht einmal sicher, dass er es überhaupt ist“, brüllte die Frau ihn jetzt an. „Und da wollen sie jetzt schon unsere Bude auf den Kopf stellen? Ich möchte, dass sie gehen.“
Während Max Lohr schon sein Notizbuch aufschlug und einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts fingerte, hakte Strecker ein weiteres Mal nach. „Haben sie denn etwas zu verbergen? Wenn nein, was ist schon dabei, wenn ich mich kurz umsehe?“
„Raus!“, schrie Frau Beu, sprang auf und deutete mit ihrem linken Arm in Richtung Zimmertür.„Die Liste?“ stammelte Max Lohr verlegen.
„Sie können wiederkommen, wenn es wirklich Moritz ist. Ansonsten möchte ich meine Ruhe haben. Bitte gehen Sie“. „Dann kommen Sie bitte heute um 14:00 Uhr auf das Revier. Hier ist meine Karte. Und seien Sie pünktlich, das ist eine Vorladung“, sagte Strecker und erhob sich. Seine beiden Begleiter erhoben sich ebenfalls und folgten ihm zu Wohnungstür.
Anne Beu schloss die Tür hinter den Beamten, ging zurück durch den Flur in Richtung Wohnraum, öffnete allerdings eine Türe an der rechten Seite des Flurs, steckte den Kopf in das sich offenbar dort befindende Schlafzimmer und sagte: „Besser Du verschwindest jetzt. Moritz ist offenbar tot. Ermordet.“
„Wenn Sie wollen können wir uns nun den Tatort ansehen“, sagte Strecker zu dem Fallanalytiker. „Herr Lohr haben sie ihr Handy dabei?“.
„Ja, warum?“ fragte der Kommissar verblüfft.
„Sie können damit doch so schöne Fotos machen. Ich bin mir sicher, ich habe in der Wohnung unserer Witwe Geräusche gehört. Sie war nicht allein. Und wenn ich richtig vermute, wird ihr Besuch bald durch die Haustür kommen. Ich möchte, dass sie sich hier auf die Lauer legen und alle jungen Männer fotografieren, die das Haus in der nächsten Zeit verlassen. Wir treffen uns um Mittag im Präsidium. Den Wagen nehmen wir. Sie können sich ja nachher ein Taxi nehmen. Kommen Sie Herr Sehlmann!“
Bevor der überraschte Kommissar ernsthaft protestieren konnte, zogen die beiden Kollegen auch schon Richtung Wagen davon. „Respekt, wenn er wirklich etwas gehört haben sollte“, dachte sich Lohr. Das würde auch erklären, weshalb Hauptkommissar Strecker Frau Beu so aggressiv angegangen ist. Und sollte tatsächlich ein Besucher durch die Haustür kommen, hätten sie nicht nur eine Spur. Respekt.
Strecker durchtrennte das Siegel mit einem Taschenmesser und öffnete die Tür zu der Werkstatt in dem verlassenen Industriegebiet, die knarrend nach außen schwang, als er daran zog. Der Hauptkommissar trat ein und fingerte an der Wand links von der Tür nach dem Lichtschalter. Nach einigen von leisen Flüchen begleiteten Versuchen zeigte sich ein Erfolg durch von einem Klackern eingeleitetes Flackern mehrerer unter der Decke befestigter Neonröhren. Klaus Sehlmann, der hinter Strecker eingetreten war, blieb gleich hinter der Tür stehen und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Nicht dass er noch etwas Neues zu entdecken hoffte, aber um den Täter verstehen zu können, musste er so viel an Informationen sammeln, wie irgend möglich. Und dazu gehörten nicht nur Fakten, sondern auch Dinge, die eher im Gefühlsbereich anzusiedeln waren. Er war hier um die Atmosphäre des Tatortes aufzusaugen.
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