Aber seine gute Laune wollte er sich auch nicht verderben lassen. Er nahm einen gereichten Weinpokal und nippte daran. Herrlich kühl war er. Sklaven verteilten kleine Miniaturamphoren mit kostbaren Düften, die aus verschiedenen Ölen bestanden.
„Nehmt dieses Parfum, Herr. Er führt Euch zu den Göttern!“ Senenmut bediente sich und nahm eine Amphore. Er musste an die Lotosfrauen denken und schmunzelte. Er hielt Ausschau nach der königlichen Familie. Aber niemand war zu sehen. Wahrscheinlich feierten sie im Palast und würden erst später nach außen in den Hof kommen. Auf der oberen Terrasse vor dem Haupttor war auf jeden Fall ein breiter Tisch gedeckt, der mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.
Senenmut musste sich erst an die reiche Pracht gewöhnen, aber es gefiel ihm sehr bei Hofe. All die interessanten Menschen, die sich hier eingefunden hatten. Die Bewohner der Hauptstadt mischten sich mit den Besuchern aus allen Provinzen des Reiches. Hohe Offiziere aus Memphis in ihren prachtvollen Uniformen. Adlige aus dem Delta mit ihren Familien. Dunkelhäutige Fürsten aus Nubien, die sich als treue Verbündete des Pharaos erwiesen hatten. Statthalter aus Mitanni, deren Gesichtszüge sich deutlich von denen der Ägypter unterschieden. Auch Gesandte aus dem Norden, jenseits des ägyptischen Machtbereiches, konnte Senenmut ausmachen. Das schienen die minoischen Gesandten zu sein, von denen Chep-Ra bereits berichtet hatte.
Senenmut erkannte Hapuseneb unter ihnen. Er war im Gespräch mit einem hochgewachsenen Mann, der mindestens zwei Köpfe größer war als alle anderen Anwesenden. Hapuseneb erkannte ihn ebenfalls und winkte ihn herbei.
„Senenmut, komm zu uns. Darf ich dir einen guten Freund Ägyptens vorstellen? Der Sohn des minoischen Gesandten, Alexandros aus Knossos.“ Der Minoer reichte Senenmut die Hand. Sein Händedruck war fest und stark.
„Ich freue mich, dich kennenzulernen. Die Götter mögen dich segnen, Alexandros!“ Er trug einen Bart, was in Ägypten absolut ungewöhnlich war und Senenmuts Neugier erregte. Noch dazu diese hünenhafte Gestalt. Er war in strahlend weiße Gewänder gekleidet, die seine muskulöse Gestalt betonten. Er trug eine goldene Kette mit einem Fisch auf seiner breiten Brust. Senenmut hatte so etwas noch nie gesehen.
„Auch ich bin erfreut, dich zu sehen. Ich habe vieles von dir gehört. Chep-Ra hat mir in den höchsten Tönen von dir erzählt!“ Seine Stimme war voll und dunkel. Ein Lächeln prägte seine Züge.
„Lasst uns etwas zu essen nehmen!“, forderte Hapuseneb sie auf. Sie nahmen an einer Tafel ihren Platz ein, die sich vor raffinierten Speisen bog. Gemüse und Fleisch aller Art, Früchte und exotische Getränke.
„Lang lebe der Pharao!“ Alexandros hob seinen Pokal. „Lang lebe Thutmosis!“, stimmten alle ein.
„Was ist das für ein Fisch an deiner Kette?“, wollte Senenmut von Alexandros wissen.
„Es ist ein Delfin, das Wappentier unseres Königs!“
„Ich habe noch nie einen solchen gesehen! Warum hat er nicht einen Löwen oder etwas Ähnliches als Wappentier?“
„Weil es bei uns keine Löwen gibt! Aber der Delfin ist ein ungewöhnliches Tier. Er gebärt seine Jungen lebend, so wie wir Menschen. Und wenn wir über das Meer fahren, begleiten die Delfine unsere Schiffe. Es sind sogar schon Männer gerettet worden, die im Sturm gekentert sind. Sie wären ertrunken, aber Delfine brachten sie an Land. Wir glauben, dass sie so wie wir Menschen Verstand haben.“ Senenmut bekam seinen Mund nicht zu. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie Fische ihre Jungen bekommen. Für ihn war es so, dass die Götter die Fische den Menschen geschickt hatten. Und die Geschichten über die Errettung von Schiffbrüchigen waren gewiss erfunden. Aber er war zu höflich, um es anzuzweifeln.
„Wie gefällt es dir in Ägypten?“, wechselte er das Thema.
„Ich bin schon fast ein Ägypter! Mein Vater hat mich als kleinen Jungen mit auf die Reise nach Ägypten genommen. Meine Familie stammt von einer Insel, die sie früher „Kalliste“ nannten. Sie wurde durch einen Vulkanausbruch zerstört.“
Senenmut kam sich etwas dumm vor. Aber er war zu neugierig und hing an den Lippen des Minoers. „Was ist ein Vulkanausbruch?“
„Ein Feuer spuckender Berg! Er speit flüssige Steine und Asche. Er hat die Insel zerstört. Nur ein schmaler Rand der Insel ist geblieben. Der Rest ist im Meer versunken. Aber die Bewohner der Insel konnten sich alle retten. So kamen wir nach Knossos und fanden eine neue Heimat.“ Senenmut glaubte ihm kein Wort. Aber es war faszinierend.
„Auch wir haben unser Mythen in Ägypten. Du wirst sie kennen?“, prüfte er ihn.
„Natürlich. Wir haben unsere Götter. Und wenn man sie vergleicht, sind sie sich sehr ähnlich.“
„Aber unsere Berge spucken kein Feuer!“, entgegnete er ihm.
„Das ist der Gott Hephaistos. Er ist der Hüter des Feuers! Er kann Steine schmelzen.“
Senenmut wusste nicht, ob er einen Schwindler vor sich hatte oder einen Märchenerzähler. Aber wenn es nur einen wahren Kern daran gab, würde er gerne dieses Land kennenlernen.
„Du musst mir bei Gelegenheit mehr von deinem Land erzählen.“
„Gerne, Senenmut. Ich wollte auch morgen bei den Kornspeichern vorbei sehen, um meinen alten Freund Chep-Ra zu begrüßen. Und die neuen Kornspeicher will ich auch sehen.“
„Das ehrt mich, Alexandros. Aber jetzt lass uns trinken!“ Senenmut hob seinen Pokal und prostete ihm zu. Alexandros hob den Pokal.
Fanfaren unterbrachen ihre Unterhaltung. Die Gespräche verstummten und alles blickte auf die Treppe zum Palast. Dort verkündeten die Fanfaren das Erscheinen der königlichen Familie. Alle erhoben sich von den Plätzen. Die breiten Türen wurden geöffnet. Der Hofstaat trat hinaus und machte Platz für den Pharao. Sklaven mit goldenen Lanzen gingen voran. Ein Zeremonienmeister verkündete das Erscheinen.
„Der Sohn des Horus! Der lebende Gott auf Erden! Der Herrscher des roten und des schwarzen Landes! Kniet nieder vor dem Eroberer, dem Einiger der beiden Länder!“ Trommeln und Sistren steigerten die Geräuschkulisse und die Untertanen knieten nieder. Der Pharao trat ins Freie, gefolgt von seinem Sohn Thutmosis und Hatschepsut. Senenmut traf ihr Anblick mitten ins Herz. Ihr Anblick überstrahlte alles Gold des Hofes. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden.
Die Familie des Pharaos nahm Platz an der gedeckten Tafel. Der Pharao und sein Sohn schienen sehr glücklich zu sein. Aber Hatschepsut schien merkwürdig gedrückt. Ihre Blicke suchten ihn. Als sie ihn erblickte, waren ihre Augen fast flehentlich. Die Festgäste jubelten dem göttlichen Herrscher zu, aber Senenmut hatte ein ungutes Gefühl. Die Menge schien sich kaum zu beruhigen.
„Heil dir, Pharao! Heil dir, Thutmosis!“, schrien alle in Ekstase. Thutmosis senkte mit einer beruhigenden Geste beide Arme und gebot, zu schweigen. Alles verstummte und wartete auf die Rede des Pharaos.
„Bewohner von Theben! Volk von Ägypten! Gäste aus allen Provinzen! Freunde und Verbündete Ägyptens! Wir haben einen glanzvollen Sieg errungen. Die Götter waren mit uns. Amun hat uns geholfen, die Maat wieder zu festigen!“ Alle jubelten erneut. „Amun! Amun!“
„Es war sein Wille, uns den Sieg zu schenken! Höret meine Worte! Es soll zum Jubel und Gedenken an den heutigen Tag Folgendes verkündet sein: Ich habe beschlossen, meinen Sohn als meinen Nachfolger zu erwählen. Und er wird eine starke Frau au seiner Seite haben. Die göttliche Linie der Pharaonen wird gesichert sein. Es ist der Wille der Götter, den ich hiermit verkünde! Er soll einst Herrscher über das rote und schwarze Land sein. Und wenn er die Krone der beiden Länder trägt, sollen ihm viele starke Nachkommen geboren werden. Ich gebe ihm mit dem heutigen Tag meine geliebte Tochter Hatschepsut zur Frau!“
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