Senenmut war unbemerkt hinzugetreten und hatte die Situation erfasst. Es amüsierte ihn, dass sich Chep-Ra in Senenmuts vermeintlicher Abwesenheit gleich zum „Herrn“ befördert hatte. Die beiden Streithähne hatten ihn noch nicht bemerkt. Die anderen Soldaten, fünf an der Zahl, beobachteten interessiert die Reaktion ihres Anführers. Der warf wutschnaubend sein Schwert in den Sand und ging direkt auf Chep-Ra los.
„Um dich den Willen der Götter zu lehren, brauche ich kein Schwert!“ Er griff mit beiden Händen nach dessen Hals, aber Chep-Ra wich ihm schnell aus und landete mit seiner Faust einen Treffer im Magen. Der Offizier knickte leicht ein und bot sein Kinn zu einem weiteren Treffer, der sogleich erfolgte. Erst flog der Kopf nach hinten, dann folgte der massige Körper nach und stürzte kraftlos in den Sand. Jetzt zogen die anderen Soldaten ihre Schwerter und machten Anstalten, auf Chep-Ra einzudringen. Senenmut hatte genug gesehen und trat hinzu. „Genug jetzt! Halt im Namen des Pharaos! Wenn einer von euch Lust auf einen Kampf hat, soll er es mit mir tun. Und jetzt wird das Korn gewogen und verzeichnet!“
Chep-Ra war erschrocken und erfreut zugleich über Senenmuts Beistand. Er hatte ihn nicht hier erwartet. Die Soldaten steckten murrend ihre Schwerter weg. Im gleichen Moment nutzte ein nubischer Sklave das Durcheinander und warf den schweren Krug mit Korn, den er auf seiner Schulter trug, auf seinen Bewacher. Der taumelte und stürzte. Der Nubier entriss ihm sein Schwert und schlug es dem Unglücklichen über den Schädel. Die restlichen Soldaten starrten fassungslos auf die Szene, bevor sie ihre Schwerter erneut zogen und die anderen Sklaven im Zaum zu hielten. Der Nubier eilte nun mit dem Schwert in der Hand auf den unbewaffneten Offizier zu, der gerade wieder dabei war, sich auf den Knien aufzurichten.
Voll Entsetzen registrierte der, dass er ja sein Schwert weggeworfen hatte. Senenmut hatte die gefährliche Situation als Erster begriffen und sprang zu dem Schwert, das noch immer im Sand lag. Er riss es nach oben und warf sich dem Nubier entgegen. Der hatte den Offizier erreicht und holte zum tödlichen Schlag aus. Unfähig sich zu bewegen, mit vor Angst geweiteten Augen, erwartete er den Tod. Scharf zischend schoss die Klinge nach unten. Im gleichen Moment trafen die Schwerter krachend aufeinander. Funken sprühend verfehlte der Hieb sein Ziel. Mit einem wütenden Schrei holte der Nubier erneut aus. Senenmut hielt mit aller Kraft dagegen. Durch den wuchtigen Zusammenprall zerbrach das Schwert des Nubiers. Senenmut wollte den Nubier schonen, aber der versuchte einen erneuten Angriff mit dem stumpfen Rest. Senenmut stieß zu und versenkte seine Klinge in der Brust des Angreifers.
Er zog das Schwert wieder heraus. Ungläubig stierte der Nubier auf das Blut, das aus seiner Brust quoll, dann brach er tot zusammen. Schwer atmend warf Senenmut dem Offizier das Schwert vor die Füße.
„Und jetzt räumt hier auf! Und seid gewiss, dass ich dem Pharao Bericht erstatte, wenn Ihr meinem Verwalter nicht gehorcht.“
„Ja, Herr. Ich stehe in deiner Schuld“, stammelte der Soldat verlegen.
Senenmut ging ins Verwaltungsgebäude und widmete sich den Aufzeichnungen. Er konnte von draußen die Stimme Chep-Ras vernehmen, dem es alle Freude der Erde bereitete, die Soldaten zu kommandieren. Schon nach kurzer Zeit brachten ihm andere Sklaven die Papyrusrollen mit den Aufzeichnungen. Den ganzen Tag lang folgte nun eine Kornlieferung nach der anderen. Langsam befürchtete Senenmut, dass die Lager voll seien, aber die neuen Kornspeicher erwiesen sich als sehr geräumig. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn trotzdem. Er rief Chep-Ra zu sich.
„Ich will wissen, ob das nubische Korn essbar ist!“ Chep-Ra blieb gelassen.
„Das habe ich auch bedacht, Herr. Ich habe zuerst den nubischen Sklaven davon zu essen gegeben. Wenn sie es vergiftet haben sollten, werden die Götter sie strafen.“
Senenmut war beruhigt. „Du hast meine Gedanken erraten, Chep-Ra. Du hast dir deine Freiheit verdient. Woher hast du den Faustkampf gelernt?“
„Von dem Sohn des minoischen Gesandten. Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Aber Ihr versteht dagegen etwas davon, das Schwert zu führen, Herr. Der Soldat wäre jetzt bei Osiris ohne Euch.“
„Danke für dein Kompliment. Aber woher hast du den Sohn des minoischen Gesandten kennengelernt?“
„Wir haben uns als Kinder am Nilufer getroffen. Er ist plötzlich aus dem Papyrus aufgetaucht wie Sobek, der Nilgott. Er hat mir einen geheimen Gang gezeigt, aus dem er kam. Er endet im Palast!“ Senenmut staunte nicht schlecht. Scheinbar war der Geheimgang doch nicht so geheim.
Ihr Gespräch wurde von einem Diener aus dem Palast unterbrochen.
„Herr, ich habe frohe Botschaft für Euch. Unser aller Herr, der von den Göttern gesegnete Pharao Thutmosis, lädt dich zu einem Fest im Hof des Palastes heute Abend. Wir wollen den Sieg gebührend feiern.“ Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich wieder. Senenmut war geehrt, an den Hof geladen zu sein. Es war das erste Mal. Rasch vollendete er sein Tagwerk und eilte in den Tempel, um sein Abendgebet zu verrichten. Danach ging er nach Hause, um sich zu waschen. Vor dem Eingang des Hauses wartete Inet, die Amme auf ihn. Sie drückte ihm ein großes, mit Leinen umwickeltes Bündel in die Hand.
„Meine Herrin schickt dir dies, mit Grüßen von ihr!“, erklärte sie geheimnisvoll und war schon wieder enteilt. Neugierig öffnete er es sofort, nachdem er die Tür verriegelt hatte. Ein kostbares, fein plissiertes Gewand kam zum Vorschein. Seine Farbe war strahlend weiß. Es war eine besondere Kunst in Ägypten, den Stoff so aufzuhellen, dass er fast leuchtete. Die Ränder und Säume waren dagegen mit Tiermotiven verziert, die aus farbigem Stoff und Perlen geschaffen waren. Die größte Überraschung aber war ein Halskragen, der im Stoff eingewickelt war. Er bedeckte die ganze Schulter sowie die Brust und war aus Gold und kostbaren Steinen hergestellt. Sie leuchteten in allen Farben um die Wette. Senenmut schlüpfte rasch in das Gewand, nachdem er sich gereinigt hatte, und legte den Halsschmuck an. Das Armband, das ihm der Pharao geschenkt hatte, trug er ebenfalls. Dann ging er voller Stolz zum Hof des Pharaos.
Schon von Weitem konnte er die Stimmen der Feiernden hören. Sie mischten sich mit den Instrumenten, die in hellen Tönen die Freuden des Sieges priesen. Der Innenhof des Palastes war erhellt von Fackelschein und war zum Bersten gefüllt mit den Festgästen, die aus allen Teilen des Reiches gekommen waren, um Thutmosis zu huldigen. Tänzer führten ihre mystischen Riten auf, die in den Sagen des alten Reiches ihren Ursprung hatten. Auf riesigen Feuerstätten wurden ganze Ochsen am Spieß gedreht. Der Duft des gebratenen Fleisches drang in Senenmuts Nase und machte Appetit auf mehr. Sklaven bedienten die Gäste und kamen kaum mit dem Füllen der Weinpokale nach. Gaukler und Artisten boten Kurzweil und vertrieben die Zeit, bis jeder etwas zu essen hatte.
„Seht hierher, Herr!“, wurde Senenmut von einem Magier abgelenkt. Er hielt Senenmut am Arm fest und deutete mit der anderen Hand nach oben. Eine weiße Taube flatterte plötzlich in seiner Hand und erhob sich in die Luft. Alle Umstehenden klatschten begeistert Applaus. Senenmut wollte weitergehen, aber der Magier hielt ihn fest.
„Wo ist denn dieses schöne Armband geblieben?“, fragte ihn der Zauberer. Senenmut erschrak und merkte, dass sein Arm leer war.
„Was habt ihr da?“ Schneller als er etwas sagen konnte, griff ihm der Zauberer hinter das Ohr und hielt das Armband in der Hand. Die Zuschauer johlten begeistert. Senenmut fand es alles andere als witzig. Wenn das Armband verloren gewesen wäre, hätte er sich zu Tode geschämt. Er hätte niemals dem Pharao wieder unter die Augen treten können. Verärgert entriss er dem Magier das Armband und legte es wieder um. Er würde diesen Kerl nicht mehr zu nahe an sich heranlassen.
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