Immer diese Träume, die ich gehabt habe! In letzter Zeit traten sie gehäuft auf und ich musste etwas unternehmen. Alle erdenkliche Situationen, die ich phantasiert habe, wie ich sie anspreche und wo! Das alles ist nun vorbei.
Endlich sind die Träume in der Wirklichkeit angekommen. Und es ist noch viel schöner und aufregender, als ich gedacht habe.
Als ich je zu hoffen gewagt habe.
Der Traum ist wahr geworden. Mein Traum. Unser Traum.
Sie hatte wieder geweint, nein nicht richtig geweint, aber ich habe es gesehen. Mir entgeht so etwas nicht! Rosemarie weint nicht laut, ihre Tränen fließen leise und rinnen in feinen Fäden über ihr wundervolles Gesicht und ich befürchte, sie bemerkt es nicht einmal mehr. Alles ist so schlimm für sie, dass sie es sogar verlernt hat, richtig zu weinen.
Ich verstehe das, aber aushalten kann ich es nicht. Aber vielleicht waren diese lautlosen Tränen im Supermarkt ja ein Zeichen für mich, ein von einer höheren Macht geschicktes Zeichen endlich zu handeln.
Ja, so muss es gewesen sein! Sie wurde ruhiger, als ich ihr mit diesen dämlichen Saucenpackungen geholfen habe, die sie für ihren noch dämlicheren, so genannten Ehemann holen sollte. Beim bloßen Gedanken an ihn wird mir schlecht.
Alles nur eine Frage der Zeit, und meine Zeit, mich mit ihm zu befassen wird ganz sicher kommen.
Ich darf nicht ungeduldig werden, muss vorsichtig sein mit ihr.
Zuerst wird sie wahrscheinlich noch erstaunt sein, wird vielleicht denken, ich habe sie verwechselt.
Aber ich habe dich nicht verwechselt, mein Herz. Wie könnte ich?
Schließlich gibt es eine Frau wie dich nur ein einziges Mal auf der ganzen Welt.
Sie wird es zunächst nicht glauben können, weil sie es nicht gewohnt ist zu glauben.
Das dort jemand ist, der sie wunderschön findet.
Aber eines Tages, so hoffe ich von ganzem Herzen, da wird sie mir vertrauen.
Zuerst werde ich die anderen Sachen ausführen.
Die Vorbereitungen!
Nicht immer würde es so einfach laufen wie bei dem Fettsack! Mein Gott, einfach mein Auto an die Straße stellen, die Motorhaube auf und warten. Irgendwann musste er ja nach Hause fahren. Ich gebe zu, dass ich etwas aufgeregt war, vielleicht eine Art Vorfreude. Schließlich würde es nur noch Minuten dauern, bis der Scheißkerl endlich krepierte und niemand mehr wehtun konnte.
Dann war es soweit und ich wurde ganz ruhig.
Ich habe ihn kommen sehen. Hat der dämliche Idiot nicht mein Fernrohr gesehen, das ich um den Hals hängen hatte, als ich ihn zu Anhalten zwang. Kam ihm das nicht komisch vor? Ach, nein, ich hab es ja ganz vergessen! Ich habe ihm keine Zeit zum Nachdenken gegeben.
Karla blickte nachdenklich aus ihrem Bürofenster im zweiten Stock. Der Sommer war vorbei. Bald würde der Herbst in schnellen Schritten heraneilen. Die ersten Blätter begannen bereits sich von den Bäumen zu lösen. Tagsüber war es in der Sonne noch recht warm, aber abends hatte es sich empfindlich abgekühlt.
Drei Wochen war es jetzt her, seit Fritz Olischewski einem Tötungsdelikt zum Opfer fiel. Drei Wochen, in denen sie keinen Schritt weiter gekommen waren. Die Obduktion war einen Tag nach dem Vorfall in der nächst größeren Stadt durchgeführt worden. Sie war dabei gewesen, obwohl die Anwesenheit bei einer Leichenöffnung zu ihren unliebsamen Aufgaben gehörte. Schon mehrmals, vorzugsweise während ihrer Ausbildung, hatte sie dies mitgemacht, aber man konnte wohl nicht erwarten, dass sich in irgendeiner Weise eine Gewöhnung einstellte und das war sicher auch gut so.
Schon wenn sie das Gebäude der Rechtsmedizin betrat, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Sie meinte jedes Mal, diesen eigenartigen Geruch schon in der Eingangshalle wahrnehmen zu können, auch wenn das natürlich Blödsinn war. Dr. Jacobs war in diesem Fall der leitende Rechtsmediziner. Karla kannte ihn schon einige Jahre. Er war ungefähr Mitte fünfzig, aber immer noch sportlich, drahtig, hatte eine Halbglatze und trug eine Brille. Karla hatte den Eindruck, dass er gar nicht alterte. Immer wenn sie ihm über die Jahre hinweg begegnete, sah er gleich aus. So empfing er sie auch diesmal wieder mit seinem gewohnt distanzierten Lächeln und beantwortete jede ihrer Fragen mit großer Kompetenz und routiniertem Fachwissen.
Karla nahm sich noch einmal den Obduktionsbericht vor. Irgendjemand musste Fritz Olischewski dort draußen auf der Landstraße zum Anhalten gezwungen haben, ja regelrecht auf ihn gewartet haben. Sie hatten fremde Reifenspuren in dem Acker am Straßenrand gefunden, deren Profil auf einen Kleinwagen hinwies. Aber Herr Olischewski war nicht ausgestiegen, oder er hatte keine Chance zum Aussteigen bekommen. Der Schuss war von seitlich vorne abgegeben worden, ging durch die Frontscheibe, bohrte sich bei dem Opfer durch Herz und Lunge und blieb in der rechten Schultermuskulatur stecken.
Hatte Fritz Olischewski in der letzten Sekunde seines Lebens geahnt, was ihm blüht, oder war er völlig ahnungslos gewesen? Noch immer grübelte Karla über das mögliche Motiv. Wer könnte diesen Mann so gehasst haben?
Von seiner Frau und ihren angereisten Eltern hatten sie nicht viel erfahren, und doch hatte Karla ein eigenartiges Gefühl gehabt, was die Frau betraf. Trotz der Tatsache, dass ihr Ehemann erschossen wurde, und dabei handelte es sich schließlich um keine sanfte Methode um aus dem Leben zu scheiden, blieb sie erstaunlich ruhig und ganz weit weg mit ihren Gedanken. Vielleicht der Schock, überlegte Karla, vielleicht war aber die Ehe der Olischewskis auch nur eine saubere Fassade, ähnlich wie die sterile Wohnung oder der Vorgarten. Wer blickte schon hinter so manches augenscheinliche Familienidyll?
Das Klingeln des Telefons riss Karla aus ihren Gedanken. Dr. Schiller, der Leiter ihrer Polizeibehörde war am Apparat. Forsch wie immer dröhnte seine laute Stimme durch den Hörer: „Frau Albrecht!”, rief er und Karla hielt den Hörer automatisch weiter von ihrem Ohr entfernt. „Das ist ja eine seltsame Sache, die dort draußen im Wald passiert ist. Wie denken Sie darüber?” „Ja.”, setzte Karla zum Reden an. „Ich hab mich gleich dafür eingesetzt, dass sie uns einen fähigen Kollegen aus der Stadt schicken.”, polterte er dazwischen und ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. „Schließlich kommen wir so nicht weiter. Die Presse macht uns auch Druck. Es wird übrigens der Herr Weinfeld sein, ein noch junger Kollege bei der Mordkommission, aber sehr clever, hab ich mir sagen lassen. Er wird morgen mit dem Zug anreisen. Also sorgen Sie dafür, dass er eine gute Unterkunft bekommt, na ja natürlich eine bezahlbare, kleiner Scherz, und schauen Sie, dass alle Kollegen gut mit ihm zusammenarbeiten. Wir wollen uns ja nicht blamieren. Also, ich verlass mich auf Sie, Frau Albrecht. Und viel Erfolg!” „Ja, geht klar!”, konnte sie gerade noch antworten, als sie bereits das Klicken auf der anderen Seite der Leitung hörte. Aufgelegt! Super!
Der Herr Weinfeld also! Auch sie hatte schon von ihm gehört. Es handelte sich um einen Kollegen der Mordkommission aus der Stadt, Anfang dreißig, arrogant und so eine Art Emporkömmling. Muss ich mir das gefallen lassen, dachte sie wütend. Ihr Chef hatte sie mit der Nachricht völlig überrumpelt. Und jetzt sollte sie auch noch eine Unterkunft für diesen Kerl besorgen.
Aber sie hatte sich wohl damit abzufinden. Wann kam hier mal ein Mord vor? Da war es doch selbstverständlich, dass man einen Kollegen aus der Stadt mit dem Fall vertraut machte, oder?
Karla nahm den Obduktionsbericht und warf ihn enttäuscht auf einen Stapel Unterlagen.
„Mist!“, schimpfte sie laut.
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