Von ihren Ermahnungen genervt, winkte Nathan ab und betrat den Raum, in dem er und Jake für die nächsten Tage wohnen sollten.
Er war ziemlich groß. Hell und besaß ein sicherlich bequemes Doppelbett, dass mit einem grauen Bettlaken bezogen worden war. Weiche Kissen waren darauf gelegt worden. Alles in allem sah es sehr gemütlich aus.
Geschafft ließen sich die beiden Jungen hineinfallen. Mit allen Vieren von sich gestreckt, starrten sie an die Decke.
„Jake, wir sind auf der Titanic! Ist das zu glauben?“
Verträumt wischte dieser sich eine Wimper aus seinem rechten Auge. „Nein, ist es nicht. Wirklich nett von deinen Eltern, dass ich und Catherine nach Amerika mitkommen dürfen.“
„Du bist mein bester Freund. Natürlich darfst du mit.“, freundschaftlich richtete er sich auf. „Also, was machen wir jetzt? Auspacken können wir nachher. Komm, gehen wir an Deck!“
Unachtsam stoben sie aus ihrem Zimmer, hinaus auf den hell beleuchteten Flur. Dort, prallten sie, als sie die Treppe zum Oberdeck erklimmen wollten, gegen eine, ihnen entgegenkommende Gruppe anderer Passagiere.
„Entschuldigen Sie!“, brüllte Nathan als Entschuldigung und heftete sich erneut an Jakes Fersen. Lachend und mit den Armen wedelnd stießen sie an die frische Mittagsluft.
Das Schiff war noch nicht abgefahren. Strahlender Sonnenschein erstreckte sich über ihnen und über den Ozean. Bald würden sie von allem was sie kannten weit entfernt sein. Ein Punkt, nicht größer als ein Staubkorn.
Menschenmassen tummelten sich unter ihnen am Hafenrand. Einige verabschiedeten sich von Verwandten und Freunden. Andere waren selbst im Begriff, die Titanic zu betreten.
Interessiert reihten die Beiden sich in die Schlange, die an der Reling stand, und ihnen zuwinkte.
Laute Rufe waren von Draußen durch das Kajüten Fenster zu hören. Still und stramm stand Sven nun schon seit Minuten zusammen mit den anderen Männern in einer Schlange neben dem Steuerrad und wartete, bis die Unterredung und die Einführung des Kapitäns vorüber waren.
Kapitän Smith. Bei dem Namen rollten sich ihm die Fingernägel nach oben. Schroff biss er die Zähne zusammen. Liebend gern wäre er dem Mann an die Kehle gesprungen, hätte ihn hin-und her geschüttelt und ihm zu verstehen gegeben, dass 2200 Menschen an Bord waren. 2200 Menschen, die bald sterben würden. Durch ihn. Mühevoll konnte er sich davon abhalten, ihm an den Kopf zu werfen, den letzten Kessel des Schiffes nicht zu beheizen. Denn schließlich, war dadurch das bisher größte Unglück der Geschichte entstanden.
„Meine Herren.“
Mit seiner Rede am Ende, nahm er das Steuerrad symbolisch in die Hände. „Diese Jungfernfahrt ist keine Gewöhnliche. Männer, mit ihr werden wir in die Geschichte eingehen. Sie, ich und dieses prachtvolle Schiff.“
Ein heftiger Würgereiz überkam Sven. Eilig versuchte er ihn zu überspielen, indem er laut hustete. Es war ein Gemisch aus Belustigung und Grauen. Genau diese Worte würden eintreffen. Unvergessenheit. Das würde es sein. Unvergessen.
„Kommst du mit?“, aufgewühlt winkte Maurice ihn zu sich. „Sehen wir uns mal dieses „prachtvolle“ Schiff an.“, belächelte er die letzten Worte des Kapitäns und ging geradeaus auf das Oberdeck.
„Hier“, mit ausgestrecktem Finger wies er auf die bunten Punkte in der Ferne. „Sie alle beneiden uns. Wir sind diejenigen, die hier sein dürfen. Auf ihrer ersten Fahrt.“
Wenig begeistert nickte Sven. Sein Blick glitt umher. Wenige Menschen waren bei ihnen. Abgesehen von denjenigen, die ihren Bekannten und Verwandten unten am Hafen zu winkten.
4.
Lachend lehnte Nathan am Geländer. Alles war bereit. Bald würde das Schiff in See stechen. Nervös blickte er zu Jake. Dessen Blick ruhte nicht auf ihm, sondern auf etwas, das sich hinter ihm befinden musste. Jakes Miene wurde ernst. „Dreh dich um“, zischte er und stellte sich aufrechter hin.
„Hallo, Jungs.“
Es war Sven.
Erstaunt gab Nathan ihm die Hand. „Sie sind das...“, sein Auge huschte über sein Namensschild. „Mr. Carlsson. Wir haben sie lange nicht mehr gesehen. Sie arbeiten hier?“
Stolz nickte dieser. „Ja, aber es ist meine erste Arbeit auf einem Schiff.“
Nun meldete sich auch Jake verlegen zu Wort. „Danke nochmal, für damals. Das war sehr nett von Ihnen.“
Belächelnd winkte er ab. „Ach bitte. Nenn mich ruhig Sven.“
Laute Freudenschreie drangen an ihr Ohr. Das Schiff hatte sich zum ersten Mal langsam in Bewegung gesetzt und steuerte vorsichtig aus dem Hafen, hinaus aufs offene Meer.
„Wir sehen uns später beim Abendessen, ich habe noch zu tun.“
Eigentlich wollte er ihnen zum Abschied die Hand reichen. Doch plötzlich, begann seine Brusttasche heftig zu vibrieren. Auf Jake und Nathans erschrockenen Blick hin, schlug er seine Hand hastig dagegen und stürmte davon. Viel zu schnell und auffällig gelang es Sven, sich in die Toiletten, die sich auf dem Deck befanden zu flüchten. Rasch hatte er kontrolliert, ob sich in ihnen Passagiere befanden. Und nahm, als er allein war, sein Telefon aus der kleinen Tasche und presste es angespannt an sein Ohr. „Bist du wahnsinnig?! Mich hier anzurufen? Beinahe hätte man mich damit entdeckt! Und was das für Auswirkungen gehabt hätte, muss ich dir wohl nicht sagen!“, rasend vor Wut, wartete er auf eine Antwort, während er immer wieder um die Ecke spähte. Langsam, entspannten sich seine Gesichtszüge.
Schließlich nickte er einverstanden und steckte das Handy wieder zurück in seine Tasche. Dann, blickte er sich geheimnisvoll um. Niemand war zu sehen. Eilig ging er in eine Kabine und ging zielstrebig auf die Toilette zu. Anstatt gegen sie zu stoßen, verschwamm das Bild vor seinen Augen. Helle Lichtblitze zischten ihm um die Augen und fuhren ihm durch die Haare. Schon nach wenigen Sekunden formte sich das Bild neu und vor seinen Augen bildete sich ein Raum. Lächelnd wurde Sven dort von einem Mann empfangen.
„Max! Hallo.“
Sofort wurde ihm ein Sessel zur Verfügung gestellt, auf dem er dankbar Platz nahm.
„Was gibt es Neues?“, fragte er.
Jetzt war es ein anderer Mann, der sich zu Wort meldete. Hierzu schaltete er einen wandgroßen Bildschirm ein, der das Bild der Titanic und den Ort, an dem Sven sich zuletzt befunden hatte, zeigte.
„Nun, Sven. Wir haben neue Erkenntnisse erhalten.“
„Und die wären?“
Seine rechte Augenbraue schnellte neugierig nach oben.
Der Mann setzte sofort zur Antwort an, indem er die Kamera auf Nathan und Jake lenkte. „Die letzten Seiten, wir haben sie gefunden.“
Überrascht setzte er sich auf und nahm fiebernd drei zerknitterte Blätter, die ihm von seinem Kollegen überreicht wurden, entgegen. Die Schrift war schnörkelhaft und sehr ordentlich. Altmodisch. Flüchtig überflogen seine Augen das Geschriebene.
„Sven“, es war Max, der seine Hand väterlich auf seine Schulter legte. „Egal was du tust. Sag mit keinem Wort, wie das Schiff enden wird. Wir bitten dich alle inständig. Auch wenn es dir schwer fällt. Das darfst du nicht. Kümmer dich nur um diese Jungen.“
Er deutete über sich auf Nathan und Jake, die lebensgroß auf der Leinwand zu sehen waren. „Sie sind wichtig, nicht die anderen.“
Genervt schüttelte er seine Hand von sich fort. „Ich weiß. Ich weiß das, seit ich den Plan entworfen habe. Keine Sorge, es wird nichts schief gehen.“
„Gut, dann schlage ich vor, du ruhst dich etwas aus. Bis zum Essen sind es noch fünf Stunden. In der Zeit kannst du dich auch etwas einarbeiten, damit du weißt, was du zu tun hast.“
Unter Strom erhob er sich, verabschiedete sich von ihnen, und war schnurstraks in sein „Arbeitszimmer“ gegangen.
Es war einfach ein mittelgroßer, luftig eingerichteter Raum. Mit einer gemütlichen Couch, einem Schreibtisch und einem Koffer. Seinem Koffer.
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