Mr. Brown senkte den Kopf. „Wie du willst. Ich habe es versucht.“
Mit diesen Worten und mit gesenkter Stimme, griff er erneut nach dem Schlüssel und drehte ihn im Schloss. „Auf Wiedersehen.“
Äußerst irritiert und verunsichert, nahm er seine Jacke von der Garderobe und betrat schon bald darauf, gebückt und unter sie gehüllt, den verregneten Pausenhof. Dort, unter einen alten Baum geschlüpft, wartete Jake auf ihn.
„Hey…“, zögernd kam er auf ihn zu. „Wo warst du denn so lange?“
„Ach, Mr. Brown wollte nur noch schnell mit mir reden.“
Erstaunt und neugierig begann Jake zu rennen. „Und was wollte er von dir? Ich dachte, du hast ihn noch nie vorher gesehen.“
„Das hab ich auch nicht!“, brüllte Nathan durch den immer lauter werdenden Regen.
„Aber er dich anscheinend schon“, sofort hielt sein Freund in seinem Satz inne. „Da ist Catherine.“
Jetzt sah auch Nathan sie. Ein heller Punkt der durch den stärker werdenden Regen strahlte. Seine Lippen kräuselten sich.
Freudig wurde er von Jake umarmt und setzte zum Gehen an.
„Viel Spaß euch zwei. Und ich verlange danach einen vollständigen Bericht von dir!“, er zwinkerte verschwörerisch.
Noch einmal atmete Nathan tief ein, während er zu dem Mädchen, das, in einen grellen Regenmantel gehüllt, auf ihn wartete, zueilte. Er mochte sie. Wie eine Schwester. Genau das war sein Problem.
Ermüdet hatte er sich auf den bequemen Stuhl, der sich neben dem Pult befand, fallen lassen und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.
Es gab sie. Vier Stück. Sicherlich hatte er auch noch mehrere ausfindig machen können. Zahlreiche. Doch waren diese Vier die entscheidenden.
Nur zu diesen Zeitpunkten konnte er Nathan verfolgen. Das war alles. Enttäuscht setzte er sich wieder auf und musterte die leere Klasse. Sie wirkte gespenstisch, ohne die Schüler, die sie erfüllten. Nachdem er bei den letzten Zwei versagt hatte, blieben ihm nur noch zwei. Zwei. Das war zu wenig.
Sven, reiß dich zusammen. Tu es einfach.
Seine Stimme klang wenig aufmunternd. Im Gegenteil. Sie nahm ihm noch mehr den Mut an der Richtigkeit seiner Mission. War es das überhaupt? Sich in fremde Leben einzumischen, wurde nie für gut geheißen.
1.
An diesem Abend herrschte ein angenehmes Klima. Der Himmel färbte sich nach und nach feuerrot und versetzte alles in eine romantische Abendstimmung. Besonders an der Küste, dort wo er sich befand.
Schnellen Schrittes erklomm er eine kleine, steinerne Treppe, die von den Seitengassen hinauf bis zu den Strandcafés führte. Kaum oben angelangt, wurde er in einem davon auch schon erwartet.
„Hallo, Sven.“
Ein freundlicher Mann mittleren Alters, schlug ihm in die Hand und bot ihm sofort an, sich an seinen Tisch zu setzen.
„Hallo, Max.“, dankbar nahm er Platz und bestellte sich einen Kaffee.
Zuerst, starrten beide Männer gebannt auf das klare Wasser, das in sanften Wellen gegen die vor Anker liegenden Schiffe schlug.
Max, der seinen Hut abgesetzt hatte, meldete sich nachdenklich zu Wort. „Und? Hast du schon etwas erreicht?“
Geknickt nippte er an seiner Tasse, die ihm unsanft von einer mürrischen Kellnerin überreicht worden war. „Nein, hat es etwa den Anschein?“
„Ich wollte mich nur erkundigen.“
„Schon in Ordnung.“
Ein lauter Vogelschwarm sammelte sich über ihnen.
„Sven, du bist fast wie mein eigener Sohn, erlaube mir deshalb diese Frage: Warum tust du das?“
Fragend sah er Max in die Augen.
„Ich meine nur, er hat sein Leben gelebt. Ich bin mir sicher, dass es nicht so schlimm war. Oder?“
Ratlos fiel sein Blick auf ein besonderes Gebilde, das sich vor ihnen erstreckte und in der tiefstehenden Sonne glänzte. Fasziniert verbrühte er sich seine Lippen und zog genervt seinen Mund zurück.
„Siehst du das.“
Stolz nickte Max. „Oh ja. Die Titanic. Ist sie nicht prachtvoll? Sie einmal vor sich zu sehen?“
„Ja. Das ist meine letzte Gelegenheit. Zwei habe ich schon versäumt. Die nächste denke ich, wird mir auch nicht gelingen.“
Max beugte sich zu ihm über den Tisch. „Hör mir genau zu. Sven…“, warnend packte er ihn an den Schultern. „Hör mir zu. Da man dich davon nicht mehr abbringen kann, möchte, muss ich dir eines sagen: Tu nichts anderes! Gerade bei…“ , er nickte in Richtung Schiff. „Du weiß, worauf ich hinaus will.“
Sven nickte. Ja, er wusste es. „Das wird nicht passieren.“
„Wer kann sagen was sein wird? Wenn du die Chance bekommst? Wer weiß, was du tun wirst.“, flehte Max und riss ihm die Tasse aus der Hand indem er sie lautstark auf die Untertasse knallte.
Entschuldigend hob Sven die Hände: „Ich weiß es. Ich kenne die Regeln. Und ich kenne die Folgen.“
Beinahe beleidigt, wich Max von ihm ab und verschränkte die Arme vor seiner gut gebauten Brust. „So sieht es für mich nicht aus. Ich möchte dir nur helfen. Das kann ich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr.“
Männer, in Latzhosen und mit dicken Gummistiefeln strömten, von ihrem Tagewerk ermüdet, in kleinen Grüppchen an ihnen vorbei. Einige, setzten sich an andere Tische.
Ein schlürfendes Geräusch kündigte ihm an, das seine Tasse leer getrunken war.
„Sven…“
„Was ist?“
Vorsichtig, drehte Max seinen Kopf in beide Richtungen und winkte ihn näher an sich heran. „Du weißt, dass ich das nicht darf, aber ich möchte dir helfen. Ein letztes Mal.“
Nun wurde er neugierig. Vielleicht, wäre er bald am Ziel.
Die Falten auf Max‘ Stirn verhärteten sich. „Am besten wäre es, wenn du an allen Berührungspunkten suchst. Verstehst du. Konzentrier dich nicht auf einen.“
Verständnislos schüttelte Sven seinen Kopf. „Ich verstehe nicht. Ich habe doch mit vier Punkten begonnen…“
„Siehst du das?“, mit ausgestreckter Hand überging Max seine Aussage und deutete hinüber, zur RMS Titanic. „Einer allein, kann nichts erreichen, es sind alle zusammen, die daran mitwirken, bis sie auf dem Ozean fahren kann.“
Langsam begriff er, worauf sein Gegenüber hinauswollte. „Ich verstehe.“
„Dann habe ich hier nichts mehr verloren.“
Sofort stand Max auf und legte ihm einen sauberen Schein in die Hände. Dennoch konnte er sich einen sarkastischen Unterton nicht verkneifen. „Und du hast es auch nicht.“
Eigentlich wollte er gleich nachdem Max gegangen war, gehen. Doch er tat es nicht. Gebannt starrte er in den mit Sternen besprenkelten Himmel. Alles wirkte ruhig. Beruhigend und friedlich. Unglaublich, dass diese Sterne, schon so vieles überdauert hatten.
Seiner Arbeit müde atmete Sven tief durch. Es war herrlich seine Lungen mit frischer Luft zu füllen.
Max hatte recht. Es waren viele, die ein Bild zusammenfügen konnten. Nicht nur einer. Das hieß, dass er sich nicht nur auf Nathan konzentrieren durfte. Dies war ihm zunächst -und immer als logisch erschienen. Nie hatte er daran geglaubt, dass es noch andere Wege gab. Um sein Vorhaben neu zu ordnen, brauchte er von jedem Punkte. Verschiedene. Das war am besten.
Das Gemurmel wurde lauter. Angetrunkene Leute begannen, durch die Nacht zu grölen und zu prahlen. In der Ferne, wurde eine Schlägerei ausgetragen.
Endlich erhob auch Sven sich und machte sich auf den Weg, zurück in sein kleines Appartement. Er brauchte Schlaf. Erst danach, in den frühen Morgenstunden war er in der Lage, sich sein weiteres Vorgehen zu überlegen.
März 1912
„Hey, Nathan! Komm runter und hilf mir mal, mit der Dekoration!“
Der Anblick der sich ihm bot, als er ungestüm die Treppen hinunter in den großen Vorgarten geeilt kam, war zu komisch. Jake, hing mit einem Bein auf einer dicken Sprossenleiter, Arme und das andere Bein wild mit einer Lichterkette verstrickt.
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