Eigentlich wollte er sich nicht in diesem Maße einmischen. Es war Nathans Leben. Sein Leben und seine Endscheidung.
„Denk bitte darüber nach. Vergiss nicht, es ist dein Leben. Dieses hängt nur von Endscheidungen ab. Du kannst nicht immer die Richtige treffen. Versuch aber wenigstens vorher genauestens zu überlegen.“
Aufmunternd klopfte er ihm auf die Schultern, ehe er sich erhob. „Am besten du drehst unseren Patienten auf die Seite. Dieses Würgen ist für mich kein gutes Zeichen.“
Mit sich am Ende, jedoch zufrieden verließ er die Zwei und durchquerte den Garten. So spät waren nun auch die letzten Gäste gegangen. Um den letzten Punkt würde er nun nicht mehr herumkommen. Egal was er jetzt noch tun würde, er musste auf die Titanic. Ganz gleich was geschehen würde. Das Leben von Nathan und Jake hatte, nur Vier „Berührungspunkte“, wie er sie nannte. Dies waren jene, die ihm am besten bekannt waren, und für das was zukünftig kommen sollte, am relevantesten waren.
An diesem Tag hatte er jedoch mehr erreicht, als er es erwartet hatte. Wenigstens etwas.
3.
Mutlos und antriebslos öffnete er mit seiner linken Hand die Tür zu seiner Wohnung. Sie war nicht sonderlich groß. Lediglich ein Bad, eine kleine Küche und ein Schlafzimmer. Aber, was wollte er mehr? In der Ferne war das Geschrei der Eulen zu hören. Lustlos schnappte er sich eine Limonade aus dem Kühlschrank und warf sich aufs Bett. In seiner Bewegung, streifte er noch rasch seine Schuhe von seinen Füßen.
„Du hast es also wirklich getan?“
Die vertraute Stimme ließ Sven kerzengerade in die Höhe schrecken. Es war Max.
„Du bist wieder hier“, fragte er ungläubig.
„Ja, etwas anderes blieb mir ja nicht übrig.“
Freundlich setzte er sich auf sein Bett.
„Hör zu, Max. Ich muss das tun. Verstehst du das nicht?“
Betreten schüttelte dieser seinen Kopf. „Nein, nein nicht wirklich.“
„Ich habe alles verloren. Von meinem Vater habe ich nur einen Berg Schulden geerbt. Wegen dem er sich letzten Endes das Leben genommen hat. Meine Mutter-du kanntest sie-hat jahrelang unter ihm gelitten. Das Leben meines Vaters war auch alles andere als perfekt.“
Max griff nach seiner Flasche, nahm sie ihm aus der Hand und leerte sie in einem Zug. „Ja, schon. Dennoch. Das rechtfertigt es längst nicht. Ich meine-was willst du tun? Zwar hast du dich auf dem größten Schiff auf Erden als Offizier beworben, weißt aber weder was dieser zu tun hat, noch was du dabei riskierst!“
Sich seiner sicher stand Sven auf und fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe.
„Max, ich habe keine Wahl. Ich weiß, dass ich es nicht riskieren darf. Das werde ich auch nicht. Denkst du, ich renne auf dem Schiff auf und ab und prophezeie ihnen, dass die Titanic sinken wird? Denkst du, sie werden mir glauben?“, wild mit den Armen wedelnd, versuchte er es ihm klarzumachen. „Sie werden mich von Bord jagen, noch ehe ich Eisberg sagen kann.“
„Na, schön.“, Max‘ Stimme zitterte. „Zeit für mich, endgültig zu gehen.“, seine kleinen Augen füllten sich mit Tränen. „Wir sehen uns wieder, wenn du wieder zurück bist.“
Aufmunternd klopfte er Max auf dessen Schulter. Dann, wurde er allein gelassen.
Nachdenklich nahm er sich diesmal eine Flasche Wein aus dem Schrank und ging auf den kleinen Balkon. Von dort hatte er einen spärlichen Blick auf die schäbigen Vordächer der Stadt. Genüsslich nippte er am Glas, das zittrig in seinen Händen lag. Ich werde aber nicht zurückkommen. Niemand wird das.
Finster gestimmt, ließ er seine Finger entspannen, sodass das Glas klirrend auf dem Betonboden zerbrach. Wein besprenkelte das Geländer. Alles, alles hatte er unternommen. Er hatte versucht, Nathan von Catherine zu entfernen. Nichts hatte funktioniert. Nichts.
Morgen
Am beinahe wolkenlosen Himmel schien die Sonne in warmen Strahlen auf ihre Stadt. So hell, dass Sven davon geweckt wurde. Immer noch viel zu müde um aufzustehen, schälte er sich aus dem Bett und zog seine Uniform an. Fast ein bisschen stolz, betrachtete er sich im Spiegel. Auch sein goldenes Namensschild. Sven Carlsson-RMS. Titanic.
Wie majestätisch und prunkvoll es seine rechte Brust zierte. Jeder hier war stolz auf sein Werk. Auf das größte Schiff, das je von Menschenhand erschaffen wurde. Auf die Titanic.
Durstig tapste er zum Eisfach und entnahm ihm ein paar Eiswürfel, warf diese in einen Becher Wasser und rührte gedankenverloren darin herum. Eis, das war es. Malerisch brach sich das Licht der Sonne in den glasklaren Würfeln. Mal stießen sie zusammen, mal trieben sie auseinander.
Seine innere Uhr meldete sich. Er war im Begriff zu spät an Bord zu erscheinen. Hastig packte er seinen Koffer und schloss die Tür hinter sich.
Viel zu viele Menschen hatten sich am Anlegeplatz versammelt. Sven hatte seine Probleme damit, sich durch sie hindurch zu kämpfen. Zum Glück verschaffte ihm seine Aufmachung mehr Autorität. Somit war es ihm ermöglicht, doch noch pünktlich zu erscheinen. Mühsam betrat er als Erster das neue Schiff, die Mannschaftsunterkünfte und schließlich seine Kabine. Diese, teilte er sich mit einem anderen Mann. Mr. Linkley. Maurice Linkley.
„Hallo, Sie sind also ab heute mein Nachbar.“, freudig hielt Maurice ihm seine Hand entgegen.
„Ja, bin ich. Ich bin Sven Carlsson. Aber bitte, nennen Sie mich Sven.“
„Gut, also, Sven. Ich bin Maurice.“
Über diesen Empfang erfreut, ging er zu seinem Bett und stellte seinen Koffer darauf. Maurice, tat dies ihm gegenüber.
Er war kräftig gebaut und hatte-wie er-dunkelblondes Haar. Es war bis auf wenige Zentimeter geschnitten. Er besaß zudem hohe Wangenknochen und ein beinahe unfreundliches Lächeln. Was dennoch überhaupt nicht der Realität entsprach, denn er schien nett zu sein.
Ordentlich faltete er seine Kleidung und legte sie in einen Schrank, den sie sich teilen mussten. Das Zimmer war kahl, hell erleuchtet und nur mit zwei Holzbetten ausgestattet. Den kleinen Schreibtisch und den Schrank mit eingenommen wirkte es trostlos und leer. Aber das kümmerte Sven nicht im Geringsten, schließlich musste er ja nicht seine gesamte Zeit hier verbringen.
Bis sie an Deck gerufen wurden, hatten die Beiden Zeit, sich untereinander bekannt zu machen. Aufgeregt setzen sie sich.
„Wie alt bist du?“, fragte Sven.
„25, du?“
Er nickte. Das genügte als Antwort. „Ist das dein Erster Einsatz auf einem Schiff?“
Maurices Gesicht strahlte. „Ja ist es. Und ich bin mächtig stolz. So wie alle aus meiner Familie. Immerhin, ist es nicht irgendein Schiff. Es ist die Titanic!“
Mit gedämmter Stimmung lächelte er. „Und…“, vorsichtig versuchte er , sich nicht zu verraten. „Angst das das Schiff sinken könnte, hast du nicht?“
„Ach, Unsinn! Warum sollte es? Es heißt doch, dass es unsinkbar ist.“
Gequält nickte Sven erneut. „Ja, dann wird es wohl so sein.“
Eine Glocke ertönte. Sofort sprangen die Männer auf und gingen nach oben.
„Macht schon, macht schon!“, ungeduldig wurde Nathan zusammen mit Jake und Catherine den Eingang hinauf, bis vor ihre Suiten gescheucht.
Seine energische Mutter kramte Zettel aus ihrer Tasche. „Das ist Suite 32 und das hier Suite 31. Nathan, du bist hier, zusammen mit Jake. Und Cathi, du bist hier. Mit mir.“, gestresst wies sie auf beide Türen und nahm ihre schwere Tasche wieder zur Hand, die sie zuvor auf dem sauberen Boden abgestellt hatte. „Komm, wir sehen uns unsere Bleibe an.“
Zufrieden nickten sie.
„Wir sehen uns dann zum Abendessen, Jungs. Stellt mir bitte bis dahin nichts an.“
„Machen wir schon nicht. Aber können wir vor dem Essen noch an Deck?“
Sie überlegte kurz. „Natürlich. Aber passt auf und…zieht euch später eure Anzüge an. Das ist ein vornehmes Schiff.“
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