Simone Lilly - The Guards

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Jeder will sie haben, die Formel ihres Vaters, des erfolgreichen Wissenschaftlers Adam Cooperman.
Nina weiß das.
Zwar sind sie schon oft umgezogen, doch entschließt ihr Vater sich nach einem mysteriösen Drohbrief dazu, seiner Tochter Leibwächter zur Seite zu stellen.
Gegen ihren Willen erduldet Nina die seltsamen Männer. Doch sie sind ihr ein Dorn im Auge.
Von nun an muss sich Nina nicht nur mit Mädchen, die sie ärgern, mit ihrem Schwarm Andrew und mit ihrem Gewicht, sondern auch noch mit ihnen herumschlagen.
Eine Klassenfahrt soll Abhilfe schaffen und ihr helfen sich mit ihnen abzufinden.
Nina hat alle Hände voll zu tun, sodass sie ihre Verfolger nicht bemerkt.
Doch wo sind nun ihre tollen Leibwächter?
Bald schon beginnt Nina an allem zu zweifeln und stellt sich eine Frage: Sind ihre Leibwächter und ihre Verfolger möglicherweise ein und dieselbe Person?

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1.

Zum wiederholten Mal ging sie in die Knie, lies sich auf den knarrenden Holzboden fallen, nahm ihre Tasche zur Hand und überprüfte, ob sie auch wirklich alles eingepackt hatte. Ein Federmäppchen, ihr Mathematik-, Deutsch-, und Englischheft, ihre Sporttasche, etwas zu Trinken und schließlich noch ihren großen Zirkel. Ja, sie hatte alles. Zerknirscht erhob sie sich wieder, ging hinüber zu ihrem Bett und setzte sich. Direkt ihr gegenüber konnte sie in einen großen Spiegel, der an ihrem Schrank angebracht war, blicken. Er war mit Fotos und Stickern verziert und lange nicht mehr geputzt worden.

Nina hasste es ihr Gesicht und überhaupt sich selbst wann immer sie hineinblickte zu sehen. Eigentlich würde sie nicht einmal schlecht aussehen, sie war groß gewachsen, hatte aber ein rundliches Gesicht, das von Sommersprossen geradezu übersät war. Sie musste seit einem Jahr eine unhandliche Zahnspange tragen, die man immer wenn sie sprach sehen und sogar hören konnte. Sie hatte eine Brille, eine ziemlich runde mit dickem Gestell. Auch mit ihrem Bauch war Nina unzufrieden. Zwar war sie nicht dick, doch hatte sie schon kleinere Speckröllchen angesetzt. Gereizt stand sie auf und ging zu ihrem Kalender. Es war Mitte Juni in genau einem Monat würde sie 18 werden. Vor diesem Tag graute es ihr schon seit Wochen. In ihrer Gegend, in ihrer Stadt, verlangte es praktisch danach, dass man zu seinem 18. Geburtstag ein großes Fest gab, und alle seine Freunde und deren Freunde dazu einlud. Das Problem war nur: Nina hatte keine. Sie hatte keine Geschwister, ihre Eltern arbeiteten Tag ein Tag aus in der Firma ihres Vaters und Nina war allein. Schuld an ihrer Einsamkeit gab sie einzig und allein ihrem Vater. Besser gesagt seinem Beruf. Sie waren dank ihm reich, sehr reich. Sie lebten in einer Villa nahegelegen dem Meer. Nina trug immer die neuesten und teuersten Sachen. Ihr Vater, Adam, war Wissenschaftler-Forscher und Erfinder. Er verdiente nicht schlecht und war seit Wochen an einem Projekt beschäftigt, dass angeblich ein und dasselbe Mittel war, doch alle Krankheiten der Welt heilen konnte. Oder zumindest fast alle Krankheiten, mit einigen Abschweifungen. Nina war es egal, es interessierte sie nicht. Auch nicht, dass sie in großer Gefahr lebten. Sie war es gewohnt. Schließlich war sie so aufgewachsen, mit dem Wissen, dass so gut wie jeder versuchte an die Erfindungen oder Entdeckungen ihres Vaters heranzukommen. In ihr Haus einbrachen oder sogar versuchten Ninas Mutter zu entführen. In den vergangenen Jahren hatten sie mehrere Male umziehen müssen, was ihr nicht schadete, denn Freunde hatte sie sowieso nie gehabt.

Die Sommerferien waren vorüber und morgen würde ein neuer Schultag und somit auch wieder ein neues Schuljahr beginnen. Nichts spektakuläres, sie würde wieder alleine, von allen abgeschottet in der Ecke sitzen, würde auf die verhasste Mädchenclique treffen, würde ihrem Schwarm begegnen und würde wissen, dass sie zwei Sachen niemals sein würde: erstens akzeptiert und zweitens, seine Freundin. Also, wozu sich Sorgen machen, wenn die Rollen schon lange verteilt waren? Die Sache war nur die, dass sie sich Sorgen machte, und das schon viel zu lange. Vor jedem Tag wurde ihr übel, so übel, dass sie sich meistens auf der Toilette erbrechen musste. So übel, dass ihr ihre Knie zitterten, so übel, dass sie manchmal sogar lieber sterben würde.

2.

Der Morgen kam für Nina viel zu schnell. Zwar war sie nicht müde, wollte aber trotzdem in ihrem großen, warmen Bett liegen blieben, sich die Decke über den Kopf ziehen und warten. Darauf warten, dass es Abend wurde, dass der Schultag verging.

„Schläfst du immer noch?“, die Frage ihrer Mutter, die ihr Zimmer rasch betreten hatte, klang schnippisch. „Es ist zehn nach acht, los, los! Nicht das du wieder zu spät kommst und ich in die Schule muss.“

Nina reagierte nicht. Wenn das ihre einzigen Sorgen waren, brauchte sie keine Kraft daran zu verschwenden, indem sie ihr eine Antwort gab. Durch ihr dickes Kissen, dass sie sich genervt über den Kopf gezogen hatte, hörte sie, wie ihre Mutter mit ihren sündhaft teuren Schuhen über den Holzboden, bis hin zum Fenster stöckelte, das Rollo nach oben zog und das Fenster

öffnete.

„Es ist warm draußen.“, stellte sie fest und schloss es wieder. Nina reagierte immer noch nicht, sie begann schon wieder etwas zu dösen. Ihre Mutter verlor allmählich die Geduld. „In zehn Minuten bist du unten, verstanden?“

Sie hatte es verstanden. Klar und deutlich. Und doch brauchte sie ganze zwanzig Minuten, um aufzustehen, sich aus ihrem Schrank etwas Passendes zum Anziehen rauszusuchen und um sich so gut es ging hübsch zu machen.

So saß sie wenig später gelangweilt am halb abgeräumten Frühstückstisch. Ihre Haushälterin Miriam hatte ihn, nachdem ihre Mutter und ihr Vater das Haus verlassen hatten, bis auf ihren Teller, einem Käsebrot und einer Tasse Milch, abgedeckt. Schnell hatte Nina gegessen, trug die übrigen Sachen in die Küche zurück und ging missmutig wie jeden Morgen aus dem Haus. Sorgen machte ihr ihr Schulweg nie. Er war noch eines der schönen Dinge an ihrem Schultag. Zumindest wenn die Sonne schien.

Nina genoss die Ruhe, solange sie noch konnte. Da sie in einer ziemlich reichen und auch vornehmen Gegend wohnte, begegneten ihr hier selten Schüler ihrer Klasse. Ein Punkt, der ihr an ihrem neuen Haus sichtlich gefiel. Die Straße war lang, führte einen kleinen Hügel hinab und mündete beinahe direkt in der Stadtmitte. Es war praktisch, man konnte schnell dorthin gelangen ohne sich einen besonderen Weg merken zu müssen. Links und rechts von ihr erstreckten sich die Villen ihrer Nachbarn, nicht sehr viele und dennoch kannte Nina keinen einzigen von ihnen.

Verträumt blickte sie in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel und begann sogar ein Lied, das sie über ihren IPod nano hörte, zu summen. Im Sommer war es immer tropisch warm, doch dieses Jahr übertraf alles, was Nina je erlebt hatte. Dicke Luft umgab sie, von morgens bis abends, von allen Seiten, ganz gleich wohin sie ging. Sie war sogar so dick und sengend, dass man sie als flimmernden Schleier ausmachen konnte. So flimmernd und erdrückend heiß, dass die Abgase der Autos und Gerüche aus Küchen, Bahnstationen und Abwasserkanälen beißend in der Luft lagen und gerade so vor sich hinzuköcheln schienen.

Der Weg wurde breiter, die Menschenmasse dichter. Hob sie aufmerksam den Kopf, konnte Nina vor sich das gewaltige Schulgebäude erkennen. Das große, gelb gestrichene Mittelhaus und die zwei kleinen, vermutlich nachträglich angebauten Ost-und Westflügel. Für Nina Zeichen genug jetzt ihren Kopf und Blick zu senken, stur in ihre Klasse zu gelangen, am besten auch noch unerkannt auf ihren Platz.

Gebückt erreichte sie den grünen Vorplatz auf dem sich Schüler vor oder nach dem Unterricht trafen. Sie redeten miteinander, beachteten Nina nicht. Ihr war es recht. Als sie den kühlen Schulflur betrat und zu ihrem Spint ging, wagte sie kurz aufzusehen. Da sie wie jeden Tag viel zu früh gekommen war, war es noch angenehm leer. Das billige Metall ihrer Spinttür hallte laut durch das wenig belebte Gebäude. Nina liebte die Ruhe vor dem Sturm. Entspannt wickelte sie das lange Kabel ihres IPods um dessen Schutzhülle und legte ihn zusammen mit ihrer Jacke hinein. Im Spint war viel Platz, denn Nina zog es vor, ihre Schulsachen jeden Tag mit nachhause zu nehmen.

Die Glocke läutete, sie läutete einmal, zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn, und sagte den Schülern, dass es an der Zeit war das Schulhaus zu betreten. Sie läutete auch ein zweites Mal, bei Unterrichtsbeginn. Noch bevor sie die Horde an Jugendlichen, die nun durch die Türen quollen einholen konnte, war Nina schon längst in ihrem Klassenzimmer verschwunden. Dort saß sie auf dem hintersten Platz. Hinten rechts und am Fenster.

An einem Tag wie diesem folgte sie dem Gerede des Lehrers überhaupt nicht, lieber sah sie aus dem Fenster, auf den Pausenhof, den Sportplatz und auf die angelegte Grünfläche. Ihre Abwesenheit war nur dann schlimm, wenn sie unerwartet aufgefordert wurde, etwas zu sagen. Immer dann, wenn Nina in ihren tiefsten Träumereien versunken war, wurde sie abrupt gestört, und anschließend wenn sie es nicht wusste, belächelt. Alle Köpfe drehten sich zu ihr nach hinten und musterten sie argwöhnisch und abwartend.

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