Simone Lilly - Es ist genug

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Sie sind die Götter der Erde. Des Wassers, des Landes, der Lüfte und des Eises. Schon mehrere Hundert Jahre haben sie ein Auge auf das Treiben der Menschen, beten und leiden mit ihnen.
Doch nichts ist mehr wie früher. Menschen haben sich verändert. Durch ihr Verhalten beschließt Lair, Gott der Lüfte, ihrem Dasein und somit der gesamten Welt ein Ende zu setzen. Dass seine Brüder dagegen sind, ist ihm egal. Sodass er sich schon bald von ihnen zu entfremden droht.
Erste Zweifel ereilen ihn, als einer der Menschen, der Mächtigste noch dazu, ihm seinen einzigen Lebensinhalt zu nehmen droht. Jetzt muss er sich entscheiden: lässt er alle hinter sich oder rächt er sich für dieses Vergehen?
Die Welt bewegt sich dem Abgrund zu und sie müssen in ihrem Kampf gegen die Menschheit mehr ertragen, als ihnen bewusst war.
Es heißt sie sind unbesiegbar, doch sind sie das wirklich?

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August 2000 - Australien

Zum wiederholten Mal strich seine Mutter seine widerspenstigen blonden Haare nach hinten. Der Kamm schmerzte und er biss die Zähne zusammen.

Es war gerade August geworden. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel und ein neues Schuljahr begann. So auch für ihn. Er war sechs Jahre alt. Alt genug, um dieses Jahr einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Seine Schultüte lag wartend auf einem Schemel zu seiner Rechten, seine Mutter Kathrin war geduldig hinter ihn getreten und sorgte dafür, dass er an diesem Tag gut aussah.

„Benjamin“, sagte sie glücklich, trat zurück und betrachtete ihr Werk. Er trug eine kurze Caprihose und ein weißes, fein gebügeltes Hemd, hatte plattgedrückte Haarsträhnen auf dem Kopf und eine kugelrunde Brille auf der Nase. So sollte er in seine neue Klasse gehen? Benjamin seufzte. Nicht schon wieder.

„Du bist fertig!“ Kathrin ging aus dem Raum, um einen Fotoapperat zu holen, erst als sie ihm die grüne Schultüte in die Hand gegeben hatte, machte sie das Bild. Wissend, dass nun alles von Neuem beginnen würde, und das für alle Zeit, ließ er sich von ihr und seinem Vater hinaus, ins Auto und zur weit entfernten Schule bringen.

August 2000 – Schweden

Dass es einmal ein Jahr geben würde, in welchem die Schule im August begann, hätte er nicht erwartet. Routiniert nahm er seine Schultüte in die Hand, als er sich langsam auf eine der fünf aufgestellten Bänke setzte. Seine neue Schule war schön, sie besaß nicht viele Klassenzimmer, doch eine große Turnhalle. Und Sport war das einzige, was er über alles liebte.

Nach und nach füllte sich die Halle in der er saß mit mehr und mehr neuen Schülern. Nervös wurde er nicht. Oder selten. Er hatte es viel zu oft durchgestanden, um noch Aufregung zu empfinden. Hinter ihm hatten sich in einiger Entfernung seine Eltern, Brigitt und Alf Nimmsons aufgestellt und warteten nur auf eins. Dass ihr Sohn eingeschult wurde, dass er von der Lehrerin aufgerufen wurde und zu seiner zukünftigen Klasse ging. Flüchtig blickte er zu seiner Mutter: „Du kannst das, Nils“, flüsterte sie und legte ihre Hände stolz auf ihre Lippen. Er grinste in sich hinein. Ja er konnte es, zu gut, wenn er ehrlich war.

August 2000 – Spanien

„Alejandro Protas!“

Das war sein Stichwort. Eilig sprang Alejandro auf und stackselte auf die freundliche Lehrerin, die ihn aufgerufen hatte zu. „Hallo.“, nuschelte er schüchtern.

„Hallo, willkommen an unserer Schule, geh bitte hier rüber.“

Er gehorchte und stellte sich schon bald neben drei andere Jungen in seinem Alter. Von seiner Position konnte er seine Eltern und Geschwister sehen. Klein und in sich zusammengesunken standen sie in einer Reihe anderer Eltern und blickten unsicher umher. Sie waren komisch. Wenn er versuchte sich zu erinnern, dann musste er leider festellen, dass er in seinem gesamten Leben, noch niemals so seltsame Eltern wie diese zwei gehabt hatte. Möglicherweise waren das die anderen Zeiten. Alles war moderner geworden, anders, schneller und…. Seltsamer. Die Menschen hatten sich verändert. Alejandro klammerte sich fester an den Karton seiner Tüte. Es war eine Veränderung, welche ihm nicht gefiel. Ganz und gar nicht...

August 2000 – Russland

„Nikolai? Kann ich neben dir sitzen?“ Vor ihm stand ein kleines Mädchen mit roten Sommersprossen. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu Zöpfen geflochten und anscheinend ihr bestes Kleid angezogen. Sie mochte Pferde, denn ihre Schultasche war davon übersäht. Matt nickte er.

Sofort rückte sie mit dem Stuhl, hing ihre Jacke über die Lehne und nahm Platz. „Ich bin Rika“, freundlich lächelte sie ihm mit ihren vielen Zahnlücken entgegen.

„Ich bin Nikolai.“, antwortete er, obwohl er wusste, dass sie seinen Namen bereits kannte, denn er hatte schon ein Namensschild erhalten.

Gelangweilt wandte er sich von ihr ab und trommelte mit den Fingern auf dem abgenutzen Holztisch. Seine Gedanken galten nicht dem bevorstehenden Schuljahr, sie galten auch nicht Rika, nein, sie galten einzig und allein den anderen Dreien. Was war mit ihnen? Wie war ihr erster Schultag? Hielten sie es noch lange aus? Zwar kannten sie es nicht anders, doch musste Nikolai sich eingestehen, dass er müde wurde, erschöpft. Immer wieder als ein kleines Kind in die Schule zu kommen, von anderen Eltern großgezogen zu werden, alt zu werden, das Leben zu leben, nur um wieder eingeschult zu werden, machte ihn krank. Zumal die Welt nicht besser wurde. Im Gegenteil.

2020

Wie war dein Tag bis jetzt? Haben dich wieder welche geärgert? War er anstrengend? Je öfter Alejandro diese Fragen dachte, desto mehr kam ihm in den Sinn, seine Eltern hätten sie wirklich gestellt. Doch das hatten sie nicht. Ihm war schon klar geworden, dass sich niemand von seiner Familie für ihn interessierte. Besonders nicht seine Eltern. Seine Schwester Millie war sechzehn gworden, und schwanger. Seine andere Schwester Mellissa hatte bereits ein kleines Kind, das Tag und Nacht schrie. Ununterbrochen. Genau das war es, was auch Alejandro wollte. So etwas Schlimmes hatte er schon zwnanzig Jahre lang durchmachen müssen.

Zusammen mit der Familie wohnte er in einem kleinen Reihenhaus. Es glich vielmehr einer Hütte. Es war ein reiner Plattenbau und grau gestrichen. Die Wände waren modrig und wann immer die Sonne auf das Blech schien, sonderte es einen ätzenden Geruch zu ihnen und es dampfte fürchterlich. Wenn er im Sommer nach draußen ging, schlug ihm eine Mauer aus solchen Gerüchen enrtgegen, die noch vom erhitzen Müll auf den Straßen ergänzt wurden. Noch nie in seinem Leben hatte er in solcher Armut gelebt. Noch nie. Vielleicht war es auch gut so, denn so konnte er es einmal nachvollziehen. Dagegen unternehmen wollte er nichts. Noch nicht.

„Also dann. Ich bin mal weg.“, entschuldigte er sich, stand auf und verließ das Zimmer. Oben in seinem angekommen zog er sich ein frisches Hemd über und betrachtete sich im Speigel. Er war nicht groß gewachsen, hatte ein schmales Gesicht, braune Haare, grüne Augen und eine provisorische, heruntergekommene Zahnspange.

Bevor er zur Arbeit in einer Kleiderfabrik ging, schnellte sein Blick hinüber zu Fabienne, seiner zweijährigen Nichte. Mit rot verfärbten Backen richtete sie sich in ihrem Laufstall auf, als sie ihn sah. „Na, Fabi“, feixend ging er auf sie zu. „Es ist viel zu warm nicht?“

Sie nickte, während ihr eine Schweißperle die Stirn hinunter rann.

Mitleidig sah Alejandro sich um. Niemand war da. „Und du verrätst mich nicht, oder?“ Er lachte und schloss mit einer flüchtigen Handbewegung die Tür am anderen Ende des Zimmers. Wind kam auf, er spürte wie die Kraft durch seinen Arm strömte, seine Finger warm wurden und die Tür ins Schloss fallen ließen. Dann, wartete er, ob nicht jemand dabei war, zu ihnen zu kommen. Alles blieb beim Alten. „Na, komm, Fabi.“, beruhigte er das Mädchen, hob seine Andere Hand und ließ dicke, kalte Tropfen aus seinen Fingerspitzen auf sie herabfallen. Die Kälte des Wassers ließ sie ruhiger werden und fröhlich glucksen. Verträumt beobachtete er das Mädchen und ließ seine Hand nach getaner Arbeit wieder sinken. Warum tat er es eigentlich? Was war aus ihm geworden? Egal wie oft er sein Leben schon gelebt hatte, egal, wie anders er ein jedes gestaltete, Fakt war, dass jedes Jahrhundert schlechter zu werden schien, als das vergangene. Und er war machtlos, dass obwohl er, Alejandro Protas war. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als er sich nach hinten fallen ließ, jedoch vom eigenen Wind in der Luft gehalten wurde. Er war Leau, war schon seit er existierte mächtig, so mächtig, dass er alles drehen und wenden konnte wie er es wollte . Sofort wurde er wieder ernst und ließ sich schmerzhaft fallen. Er hoffte der Schmerz würde ihn wachrütteln. Er war gefangen, gefangen in der Welt, die er selbst erschaffen hatte. Obwohl es außer ihnen keine vergleichbaren Wesen gab, mussten sie machtlos mitansehen, wie alles zerbrach. Alles, auch die Welt, die sie sich geschaffen hatten.

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